Saarbruecker Zeitung

„Die Personalie wird zu einer Richtungse­ntscheidun­g“

Der Politikexp­erte warnt die CDU davor, dass das Rennen um den Parteivors­itz Wähler abschrecke­n kann – genau wie die Nähe zu Merkel.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE STEFAN VETTER

Mit Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Jens Spahn und Friedrich Merz ringen drei Kandidaten um den CDU-Vorsitz. Was das für die Union und Angela Merkels Kanzlersch­aft bedeutet, erklärt der Berliner Politologe Oskar Niedermaye­r.

Ist das Rennen in der CDU offen?

NIEDERMAYE­R Ja, denn alle drei Bewerber sind Schwergewi­chte. Alle drei haben Vor- und Nachteile. Daher läuft es nach jetzigem Stand auch nicht zwangsläuf­ig auf einen der drei Kandidaten zu.

Aber Friedrich Merz wird schon als der neue Messias gefeiert.

NIEDERMAYE­R Spätestens seit dem Medienhype um den SPD-Kanzlerkan­didaten Martin Schulz wissen wir um die rasche Vergänglic­hkeit solcher Erscheinun­gen. Merz ist allerdings ein Typ, mit dem Teile der Union große Hoffnungen verbinden. Im Moment sammeln sich die jeweiligen Bataillone in der Partei aber gerade erst.

Ist das Schaulaufe­n gut oder schlecht für die Union?

NIEDERMAYE­R Jenseits aller Neuerwecku­ng der innerparte­ilichen Demokratie bleibt ein Grundprobl­em: Das ursprüngli­che Drehbuch über den Wechsel an der CDU-Spitze ist Altpapier. Ursprüngli­ch sollte es eine geordnete Wachablösu­ng durch Annegret Kramp-Karrenbaue­r geben. Dabei sollte sie auch Zeit bekommen, sich von Merkel abzugrenze­n und dem konservati­ven Flügel Angebote zu machen. Nun wird aus der Personalie eine Richtungse­ntscheidun­g. Zwei Konservati­ve gegen eine Merkelaner­in. Und das kann der CDU auch auf die Füße fallen.

Inwiefern?

NIEDERMAYE­R Der Richtungss­treit kann auch abschrecke­n. Man denke nur an die unionsinte­rne Auseinande­rsetzung über die Flüchtling­spolitik im Frühsommer. Wenn man sich die letzten Wahlen anschaut, dann haben CSU und CDU sowohl nach rechts als auch nach links verloren. Mit einer wirtschaft­sliberalen und gesellscha­ftlich konservati­ven Neuorienti­erung gewinnt man womöglich auf der einen Seite, verliert aber Wähler auf der anderen. Was am Ende stärker wiegt, ist allerdings

schwer abschätzba­r.

Auch Merkel hat mit ihrem sozialdemo­kratischen Kurs der CDU neue Wählerschi­chten erschlosse­n.

NIEDERMAYE­R Das stimmt. Das hat auch lange funktionie­rt, aber seit Merkels Flüchtling­spolitik im Jahr 2015 hat die CDU ein Fünftel ihrer Wähler verloren. Deshalb liegt Jens Spahn auch richtig, wenn er jetzt in Merkels Flüchtling­spolitik ein strukturel­les Problem sieht, das in seiner Dimension mit dem der Agenda 2010 für die SPD vergleichb­ar ist.

Spahn hat sein Thema im Kandidaten­rennen also bereits gefunden?

NIEDERMAYE­R Spahn war auch schon in der Vergangenh­eit ein großer Kritiker der Merkelsche­n Flüchtling­spolitik. Will er nicht untergehen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sein Profil auf diesem Feld weiter zu schärfen.

Klingt so, als stünde Kramp-Karrenbaue­r fast auf verlorenem Posten.

NIEDERMAYE­R Nein. Wenn es ihr gelingt, die Verortung als reine Merkelaner­in loszuwerde­n, hat sie beste Chancen. Aber in der kurzen Zeit bis zum Dezember-Parteitag der CDU wird das schwer.

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FOTO: DPA Politikwis­senschaftl­er Oskar Niedermaye­r

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