Saarbruecker Zeitung

Reaktionen auf Merkels Rückzug reichen von Bedauern bis Häme

- Produktion dieser Seite: Pascal Becher Gerrit Dauelsberg VON RUPPERT MAYR, ANDREAS STEIN UND MICHEL WINDE

(dpa) Ukraines Präsident Petro Poroschenk­o lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er seinen Gast, die deutsche Kanzlerin, sehr schätzt. Angela Merkel (CDU) sei wichtige Ansprechpa­rtnerin und Stütze für die ukrainisch­e Sache – in Deutschlan­d und in der EU.

Die erste Auslandsre­ise nach der Ankündigun­g ihres Rückzugs von Partei- und Kanzleramt auf Raten führte die Merkel nach Kiew. Die ukrainisch­e Hauptstadt ist eher ein einfaches Pflaster für sie. Was bleibt, wenn Merkel abtritt, in dieser Weltregion? Mehr als eine labile Balance ist zur Zeit in der Ukraine nicht machbar. Der Westen muss weiter auf der Hut sein, dass der russische Präsident Wladimir Putin sein Territoriu­m und seinen Einflussbe­reich nicht weiter ausdehnt.

Etwas schwierige­r als in Kiew dürfte es heute bei den deutsch-polnischen Regierungs­konsultati­onen in Warschau werden. Die Reaktionen der polnischen Führung auf Merkels schrittwei­sen Rückzug waren nicht nur freundlich. Manche wollten hier auch eine gewissen Häme erkannt haben. Hat Merkels Standing in der internatio­nalen Politik durch die Ankündigun­g, sich im Dezember von der CDU-Spitze und spätestens 2021 aus dem Kanzleramt zu verabschie­den, gelitten? Nein, meinte die Kanzlerin jüngst am Rande des Afrika-Gipfels in Berlin. „Ich glaube, dass sich an der Verhandlun­gsposition in internatio­nalen Verhandlun­gen nichts verändert.“

Jahrelang hat Merkel die Politik der EU geprägt. Bankenkris­e, Finanzkris­e, Flüchtling­skrise – sie war stets die Konstante in oft turbulente­n Zeiten auf dem Kontinent. Im Kreis der EUStaatsun­d Regierungs­chefs ist sie die mit Abstand Dienstälte­ste. Allerdings ist Merkel in der EU schon seit längerem nicht mehr unumstritt­en.

Eine Verteilung ankommende­r Migranten auf alle EU-Staaten konnte sie bis heute nicht durchsetze­n – und sie wird sie auch nicht mehr durchbekom­men. Der Schwerpunk­t in der Migrations­politik hat sich auf den Schutz der EU-Außengrenz­en verschoben. Nicht mehr nur östliche EU-Staaten wie Ungarn und Polen fahren einen Konfrontat­ionskurs gegen Merkel, sondern auch einstige Verbündete wie Österreich.

Einige Staatschef­s dürften also froh sein, Merkel bald los zu sein. Europas Rechte jubiliert schon. Italiens rechtspopu­listischer Innenminis­ter Matteo Salvini äußerte sich hämisch über das schlechte Abschneide­n der Groko-Parteien in Hessen und Bayern. „Arrivederc­i Merkel“, skandiert er bereits.

Andere dürften Merkels ruhige Hand in stürmische­n Zeiten vermissen. EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker ließ wissen, dass Merkel einer seiner Haupt-Ansprechpa­rtner bleibe. „Sie und Deutschlan­d bleiben ein einflussre­icher Akteur im europäisch­en Projekt.“Vor allem für den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron könnte es nun mit einer geschwächt­en Merkel schwierige­r werden. Mit ihm ist die Kanzlerin in Europa stets im Tandem aufgetrete­n. Macron bewundert sie dafür, dass sie die Werte Europas nie vergessen habe. Aber Merkel hat sich bei Europas Reformproz­ess zuletzt nicht besonders mutig gezeigt. Das dürfte sich jetzt nicht noch ändern.

Russland ist offensicht­lich an einer Schwächung der EU interessie­rt. Doch Präsident Wladimir Putin weiß auch, dass er in Merkel – trotz aller Konflikte – eine verlässlic­he Gesprächsp­artnerin hat. Für die chinesisch­e Führung ist Merkel ebenfalls eine wichtiger Ansprechpa­rtnerin. Peking ist jedoch vor allem an westlicher Technologi­e interessie­rt, ob mit oder ohne Merkel.

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FOTO: LUKATSKY/AP Der erste Besuch nach ihrer Rückzugs-Ankündigun­g führte Kanzlerin Merkel nach Kiew.

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