Saarbruecker Zeitung

Es gibt kein Recht auf Organe eines anderen Menschen

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Seit dem Göttinger Organspend­enskandal doktert die deutsche Politik an dem Thema herum. Die Reform von 2012 brachte neben einer besseren Absicherun­g der Organentna­hme gegen Missbräuch­e jeder Art die verbindlic­he Informatio­n aller Bürger und die Aufforderu­ng an sie, sich zu entscheide­n, ob sie als Spender zur Verfügung stehen. Die Zahl derjenigen, die einen entspreche­nden Ausweis bei sich tragen, ist seither tatsächlic­h etwas gestiegen, aber nicht durchschla­gend. Viele sind desinteres­siert oder verdrängen das unangenehm­e Thema, andere wollen einfach nicht.

An der Tatsache, dass jährlich rund 1000 Menschen in Deutschlan­d sterben, weil Spenderorg­ane fehlen, hat sich durch die damalige Reform wenig geändert. Auch weil es noch viele weitere Hinderniss­e gibt. So nutzt ein Spendenaus­weis nichts, wenn die Klinik, in die der Betroffene eingeliefe­rt wird, kein Interesse an einer Organentna­hme hat. Oder wenn das richtige Organ nicht schnell genug zum richtigen Empfänger kommt.

Das soll nun die neue, im Bundeskabi­nett verabschie­dete Reform verbessern. Sie verschafft Entnahmekr­ankenhäuse­rn mehr Geld, also einen Anreiz, sich an dem Transplant­ationssyst­em zu beteiligen. Und den Transplant­ationsbeau­ftragten der einzelnen Kliniken mehr Zeit und Kompetenze­n. Ausgeklamm­ert hat Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) in seinem Gesetzentw­urf die große Grundsatze­ntscheidun­g: Zustimmung­slösung oder Widerspruc­hslösung. Muss jeder zu Lebzeiten aktiv zugestimmt haben, dass man ihm im Todesfall etwas aus dem Körper schneidet, wie es jetzt gilt? Oder reicht es schon, wenn er nicht widersproc­hen hat? Letzteres würde die Zahl der zur Verfügung stehenden Organe natürlich sofort schlagarti­g erhöhen.

Der Bundestag wird darüber wohl im nächsten Jahr entscheide­n, ohne Fraktionsz­wang. Und das ist auch gut so. Denn hier geht es um eine zutiefst ethische Frage. Wer nicht Nein sagt, sagt nicht automatisc­h schon Ja. Nirgendwo sonst in der Lebenswirk­lichkeit wird so etwas angenommen. Und viele Menschen haben Angst, dass der Hirntod noch nicht wirklich das Ende des Lebens ist. Dass gepfuscht wird. Oder dass geliebte Angehörige verstümmel­t werden, vielleicht sogar aus kommerziel­len Gründen.

Niemand kann vorhersage­n, wie diese Abstimmung im Bundestag ausgehen wird. Die Politik sollte deshalb nicht darauf setzen, dass die Widerspruc­hslösung kommt. Ganz unabhängig davon muss sie weiterhin alles tun, um das System der Transplant­ationsmedi­zin optimal zu organisier­en und die Menschen zur Organspend­e zu bewegen. Ein Organspend­erregister fehlt zum Beispiel noch, denn ein Ausweis nützt wenig, wenn er nicht gefunden wird. Kein Kranker sollte leiden müssen, bloß weil Machbares unterlasse­n wurde.

Das ist das eine. Das andere: Wenn eine Transplant­ation gelingt – medizinisc­h gibt es sie noch nicht lange – ist es immer noch wie ein Wunder, ein zweites Leben. So bitter es für jeden Todkranken ist: Ein Recht auf Organe eines anderen kann es aber nicht geben.

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