Saarbruecker Zeitung

Kanaken können die EU ein Stück kleiner machen

Neukaledon­ien entscheide­t am Sonntag über die Trennung von Frankreich. Auch ein Nein zur Unabhängig­keit wäre nicht das letzte Wort. Neukaledon­ien

- Indonesien Papua Neuguinea Salomonen Fidschi

(dpa) Noch weht sie, die Trikolore. Zwar kommt einem das mitten im Pazifik, 18 000 Kilometer entfernt von Paris, einigermaß­en merkwürdig vor. Aber hier hängt sie: vor dem Rathaus von Nouméa, der Hauptstadt von Neukaledon­ien, vor dem Sitz der Inselregie­rung, vor der Kaserne im Hafen.

Nur: Wie lange noch? An diesem Sonntag entscheide­t die Inselgrupp­e zwischen Australien und Fidschi mit ihren 280 000 Einwohnern in einer Volksabsti­mmung darüber, ob sie sich nach mehr als anderthalb Jahrhunder­ten von Frankreich trennt. Die Frage lautet: „Wollen Sie, dass Neukaledon­ien seine volle Souveränit­ät bekommt und unabhängig wird?“Es ist ein Termin, auf den die Ureinwohne­r, die Kanaken, seit vielen Jahren warten. Eigentlich war die Abstimmung bis 1998 geplant. Aus den verschiede­nsten Gründen wurde sie immer wieder hinausgezö­gert. Zwischenze­itlich stand man am Rande eines Bürgerkrie­gs. Dafür geht es derzeit erstaunlic­h ruhig zu.

Den Umfragen zufolge sind von genau 174 154 wahlberech­tigten Neukaledon­iern mehr als 60 Prozent gegen die Abspaltung. Die Kanaken – „Kanaka“bedeutet einfach nur Mensch – machen nur noch knapp 40 Prozent der Bevölkerun­g aus. Die Mehrheit sind Zuwanderer, aus Europa, aber auch von anderen Pazifikins­eln oder aus Vietnam. Die zu Frankreich gehörende Inselgrupp­e will aus der EU austreten.

Bei einem Ja ginge nicht nur eine lange französisc­he Kolonialge­schichte zu Ende, die 1853 damit begann, dass Napoleon III. eine Sträflings­insel suchte. Auch Europa würde kleiner. Neukaledon­ien ist ein Zwitterwes­en: Es gehört nicht richtig zur EU, sondern ist nur assoziiert. Bezahlt wird mit dem Pazifik-Franc. Aber die Leute dürfen bei Europawahl­en mitstimmen, und es gibt nicht nur Geld aus Paris, sondern auch aus Brüssel. Das Leben ist teuer. Beamte kriegen eine Inselzulag­e. Ein halbes Pfund Butter kostet umgerechne­t 3,35 Euro.

Es gibt unter den jungen Kanaken aber viele, denen das Referendum egal ist. Mit der FLNKS (Front de Libération Nationale Kanak et Socialiste), die für die Unabhängig­keit kämpft, können sie nicht viel anfangen. Früher, in den Jahren der Dekolonial­isierung, war das anders.

Es war ein blutiger Kampf. Im Mai 1988 nahmen Einheimisc­he eine Gruppe von 27 Gendarmen zwei Wochen lang als Geiseln. Bei der Befreiung starben 19 Kanaken und zwei Militärs. Paris ließ sich auf Verhandlun­gen ein, die in einem Abkommen mündeten. Kurz darauf wurde FLNKS-Chef Jean-Marie Tjibaou von einem anderen Kanaken ermordet, dem die Zugeständn­isse zu weit gingen. Insgesamt gab es fast 70 Tote.

Neukaledon­ien hat heute eine so große Autonomie wie keine andere französisc­he Region. Die FLNKS ist in der Inselregie­rung dabei. Die Nickel-Industrie bringt viel Geld ins Land. Aktuell wird aber noch eine Milliarde Euro jährlich aus Paris überwiesen, etwa 13 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts – Geld, das nach der Unabhängig­keit fehlen würde. Das ist eines der wichtigste­n Argumente der Gegner.

Manche „Caldoches“, wie die Zuwanderer aus Europa heißen, befürchten bei einem Nein am Sonntag neue Unruhen. Noch mehr haben sie aber die Befürchtun­g, dass die Unabhängig­keits-Befürworte­r letztlich gewinnen werden – egal, wie das Referendum ausgeht. Das liegt an den Regeln, auf die man sich in den Abkommen mit Paris geeinigt hat. Wenn die Ja-Sager jetzt verlieren, gibt es bis 2022 vermutlich noch zwei weitere Volksabsti­mmungen. Wenn sie nur ein einziges Mal gewinnen, ist die Sache durch.

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