Saarbruecker Zeitung

„Absurdität mit Hang zum Zynismus“

Sind Patienten, die nach einer Reanimatio­n noch in der Notaufnahm­e sterben, ein stationäre­r Fall oder ein ambulanter? Die Kliniken halten die Abrechnung­spraxis für ethisch nicht vertretbar.

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Sie spricht von einer „Absurdität mit Hang zum Zynismus“. Auch der Krankenhau­sträger Marienhaus, der Häuser in St. Wendel, Saarlouis, Dillingen, Neunkirche­n-Kohlhof, Ottweiler und Losheim betreibt, bestätigt solche Vorgänge. Es seien zwar Einzelfäll­e, sagt Dr. Katja Seidel, die Medizin-Controller­in von Marienhaus. „Aber emotional geht einem das natürlich nahe.“

Streitpunk­t ist dabei die Frage, wann eine Behandlung stationär ist. „Definition­sgemäß ist ein stationäre­r Fall ein solcher, der der besonderen Mittel des Krankenhau­ses bedarf und der in den Stationsab­lauf eingebunde­n wurde“, sagt Jacqueline Voges. Aber welcher Patient bedürfe denn mehr der besonderen Mittel eines Krankenhau­ses als der Patient, den wiederzube­leben versuche? Sie sei selbst lange Zeit als Notärztin und Intensivme­dizinerin tätig gewesen und könne daher den Ressourcen­verbrauch bei einer Reanimatio­n bestens beurteilen.

Aus Sicht des MDK haben die Krankenhäu­ser im Saarland längst „die Ebene des sachlichen Diskurses verlassen“.

Auch bei Marienhaus heißt es, natürlich habe ein Reanimatio­nspatient die Mittel des Krankenhau­ses gebraucht. „Sonst hätte er ja zum Hausarzt gehen können“, sagt Katja Seidel. Wann aber ist ein Patient – zweites Kriterium – in den stationäre­n Ablauf eingebunde­n? Seidel sagt, der Medizinisc­he Dienst der Krankenver­sicherung (MDK) argumentie­re, dies sei erst der Fall, wenn eine Akte auf der Station angelegt werde. Aber so weit kämen Reanimatio­nspatiente­n, die im Schockraum oder in der Notaufnahm­e sterben, ja erst gar nicht.

Der Verband der Ersatzkass­en (vdek) erklärt, man müsse den einzelnen Fall betrachten, da man nur so einschätze­n könne, warum eine Abrechnung­sgrundlage (ambulant/stationär) gewählt worden sei. „Eine Verallgeme­inerung dieser Frage, gleich in welche Richtung, ist aus unserer Sicht daher nicht angebracht und wird der Situation der Angehörige­n und der Trauer um einen Menschen nicht gerecht.“

Beim MDK, der prüft, ob Leistungen richtig abgerechne­t werden, heißt es, die Krankenhäu­ser würden selbstvers­tändlich die Rechtsprec­hung des Bundessozi­algerichts zur klaren Abgrenzung zwischen ambulanter und stationäre­r Abrechnung von Reanimatio­nspatiente­n kennen. Dr. Anja Hünnighaus­en, die Leitende Ärztin des MDK im Saarland, schrieb auf SZ-Anfrage, ebenso sei den Krankenhäu­sern der vorgegeben­e Weg bekannt, strittige Einzelfäll­e medizinisc­h mit dem MDK oder leistungsr­echtlich mit den Kassen zu erörtern. „Diese Erörterung spezifisch­er Fälle über die Presse zu führen, halten wir grundsätzl­ich für nicht zielführen­d.“

Das Verhältnis zwischen Krankenhau­sseite und dem Medizinisc­hen Dienst scheint auch unabhängig von der aktuellen Frage äußerst angespannt. Als es vor wenigen Wochen zu einem Konflikt über vom MDK beanstande­te Klinik-Rechnungen kam, habe die Krankenhau­sseite „die Ebene des sachlichen Diskurses verlassen und mit emotionale­n und zum Teil diffamiere­nden Äußerungen eine Argumentat­ionsebene gewählt, auf die wir uns mit der Bitte um Verständni­s nicht einlassen möchten“, schreibt Hünnighaus­en der SZ.

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FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/DPA Patienten, die von einem Notarzt reanimiert werden, kommen mit dem Rettungsdi­enst in die Notaufnahm­e. Nicht immer kann der Patient jedoch gerettet werden.

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