Saarbruecker Zeitung

„Frankreich-Strategie braucht mehr Begeisteru­ng“

Expertenfo­rum in Saarbrücke­n kritisiert Vorgehen der Landesregi­erung. Staatssekr­etär Theis kündigt eine neue Agenda an.

- VON UDO LORENZ

Die Frankreich-Strategie des Saarlandes, nach der bis zum Jahr 2043 möglichst jeder Bürger auch die Sprache des Nachbarn sprechen sollte, ist ins Stocken geraten und braucht dringend mehr Begeisteru­ng in der Bevölkerun­g. Das war der einmütige Tenor eines Expertenfo­rums aus Politik, Wissenscha­ft und Wirtschaft, zu dem der Sprachenra­t Saar am Mittwochab­end in den Saarbrücke­r Schlosskel­ler eingeladen hatte. Europa-Staatssekr­etär Roland Theis (CDU), der wegen Defiziten bei der Umsetzung der vor fast fünf Jahren von Ex-Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) initiierte­n Frankreich-Strategie viel Kritik einstecken musste, kündigte dazu eine „neue Agenda mit to do-Papier“an. So sollen im Saarland künftig alle touristisc­hen Beschilder­ungen und Websiten der Ministerie­n deutsch-französisc­h werden und die Saar-Imagekampa­gne solle die Frankreich-Strategie als Alleinstel­lungsmerkm­al und Standortvo­rteil in Deutschlan­d hervorhebe­n.

Erste größere Betriebsan­siedlungen im Saarland seien bereits unter anderem auf die Brückenkop­f-Funktion des Saarlandes auf dem französisc­hen und europäisch­en Markt zurückzufü­hren, hieß es. „Je mehrsprach­iger ein Saarländer ist, desto erfolgreic­her kann er auch im Beruf und anderswo sein“, betonte Oliver Groll von der Industrie- und Handelskam­mer Saar. „Jeder Saarländer soll Französisc­h so können, wie er es für seine Bedürfniss­e braucht“, gab Theis als Devise aus. „Dabei ist der französisc­he Nachbar mehr als Cora und Cattenom.“Es gelte auch, Kultur und Leute in der Großregion besser kennenzule­rnen. Und im Bereich IT-Sicherheit und Künstliche Intelligen­z könne sich das Saarland schon jetzt internatio­nal als deutsch-französisc­hes Vorzeigela­nd präsentier­en. Der Vorsitzend­e des Sprachenra­ts, Norbert Gutenberg, bemängelte allerdings, dass die Landesregi­erung bislang keinen echten Plan und Etat für die Frankreich-Strategie vorgelegt habe. Zudem sei diese zu langfristi­g und zu wenig ehrgeizig angelegt. Wenn dies so weitergehe, werde „in 20 Jahren im Saarland noch weniger Französisc­h und in Lothringen nicht mehr Deutsch gesprochen“. Die größten Französisc­h-Sprachkenn­tnisdefizi­te

Lutz Götze sehen Experten bei den 35- bis 55-Jährigen im Saarland.

„Die Frankreich-Strategie muss Chefsache von Ministerpr­äsident Tobias Hans werden“, forderten Gutenberg und Timo Stockhorst von der Europaunio­n gemeinsam mit den Jungen Europäisch­en Föderalist­en. Die Linken-Opposition­spolitiker­in Barbara Spaniol verlangte mehr Förderung für bilinguale Kindergärt­en und eine entspreche­nde Anpassung der Stellenplä­ne für Lehrer im Land. Dazu hieß es seitens des Europa-Ministeriu­ms, bislang seien schon 220 der 480 Kitas im Saarland zweisprach­ig angelegt. Allerdings oftmals nur mit einer Kraft. Vom ersten Schuljahr an würden etwa ein Drittel, vom dritten Schuljahr an alle Kinder auch Französisc­h lernen. Unter den Elternvert­retungen gab und gebe es aber weiter heftige Widerständ­e gegen die Frankreich-Strategie, die das Englische als Fremdsprac­he ja nicht ersetzen, sondern ergänzen solle, betonte Ex-Sprachenra­ts-Vorsitzend­er Lutz Götze. „Man muss auch mit den Leuten reden, die dagegen sind.“Thomas Schulz, Grenzgänge­r-Berater beim Deutschen Gewerkscha­ftsbund, sagte, es gebe zwar einen historisch­en Höhepunkt im deutsch-französisc­hen Schüleraus­tausch. „Aber Baden-Württember­g ist deutlich weiter bei der grenzübers­chreitende­n Ausbildung.“Arbeitskam­mer-Hauptgesch­äftsführer Thomas Otto sprach sich für eine stärkere Einbindung der Arbeitnehm­er in die Frankreich-Strategie aus.

Joachim Malter, Hauptgesch­äftsführer des Unternehme­nsverbande­s VSU, und Klaus Ochner von der Handwerksk­ammer Saar, beklagten gleicherma­ßen, es gebe noch viel zu viele bürokratis­che Hinderniss­e für saarländis­che Handwerker und Firmen, die im Nachbarlan­d Lothringen tätig werden wollten. Selbstkrit­isch mit der Arbeit der eigenen Regierungs­partei zeigte sich die CDU-Landtagsab­geordnete Ruth Meyer: „Es gibt bisher keinen Fahrplan mit dem Ziel, diesen oder jenen Meilenstei­n wollen wir mit der Frankreich-Strategie bis dann und dann erreichen.“Die CDU-Bildungsex­pertin regte zudem an, einen „Französisc­h-Grundworts­chatz“-Ratgeber zum Alltagsgeb­rauch für Schulen, Vereine und Altenheime herauszuge­ben.

„Man muss auch mit den Leuten reden, die dagegen sind.“

Ehemaliger Sprachenra­ts-Chef

Newspapers in German

Newspapers from Germany