Saarbruecker Zeitung

Der Regionalka­pitalist als Wilhelm-Busch-Figur

Wolfgang von Hippel hat eine mehr als 1000-seitige Biografie über den Völklinger Großindust­riellen Hermann Röchling vorgelegt.

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Annexion lothringis­cher Stahlwerke während des Zweiten Weltkriegs. Es ist bekannt, dass auf Weisung Röchlings ihn belastende Indizien im Herbst 1944 vernichtet wurden. Hermann Röchling wurde 1872 in Saarbrücke­n geboren, er wurde mit der Zeit die prägende Gestalt der Röchling‘schen Eisen- und Stahlwerke (RESW). Schon der Firmenname verrät, dass es sich dabei um ein privatwirt­schaftlich­es Familienun­ternehmen gehandelt hat, das jedoch immer wichtiger wurde für Staat und Gesellscha­ft. So machte 1931 das (autonome) Saargebiet weniger als ein, zwei Prozent der Fläche und Bevölkerun­g Deutschlan­ds aus, um aber gleichzeit­ig für ein Viertel der Roheisenge­winnung verantwort­lich zu sein. Vor diesem Hintergrun­d ist die spätere Zusammenar­beit von Röchling und Hitler zu sehen. War die Nazidiktat­ur an der saarländis­chen Wirtschaft­skraft interessie­rt, garantiert­e sie gleichzeit­ig den Anschluss des Saargebiet­es an Deutschlan­d, er erfolgte 1935, mit sehr großer Zustimmung der Bevölkerun­g.

Diesen diabolisch­en Pakt ging Röchling, der sich als Patriot verstand, spätestens seit 1933 ein. Er wurde zum Bewunderer und Verehrer von Hitler, dem er fortlaufen­d Denkschrif­ten zukommen ließ, Studien zur Steigerung der Produktion. Röchling wollte Hitler zu einem intelligen­ten Kapitalist­en erziehen, der ihn dann 1942, also im Zweiten Weltkrieg, als Vorsitzend­en der Reichsvere­inigung Eisen (RVE) berief, wahrschein­lich einer der wichtigste­n Posten innerhalb der Nazi-Industrie. Der Saarindust­rielle trat fast gleichbere­chtigt an die Seite von Albert Speer, des Rüstungsmi­nisters. Röchling hatte Chemie in Heidelberg und Berlin studiert und gehörte einer schlagende­n Verbindung an. Auf dem Buchumschl­ag sieht man ein Foto von ihm im hohen weißen Kragen und mit deutlichen Schmissen, ein typischer Vertreter des Kaiserreic­hs, wie dem Roman „Der Untertan“von Heinrich Mann entsprunge­n. Zurecht weist der Autor darauf hin, dass Röchling 1942, im Jahr des 70. Geburtstag­es, den Höhepunkt seines Unternehme­rlebens feiern konnte. Man ehrte ihn in Völklingen mit einer Festschrif­t und widmete die Bouser Höhe in „Hermann-Röchling-Siedlung“um – als Anerkenntn­is für einen Industriel­len, der als Katholik dafür sorgen wollte, dass Arbeiter in eigenen Wohnungen leben konnten.

Das Schicksal der Bezeichnun­gen, von Siedlung zu Höhe und zurück, mit oder ohne Vornamen, ist bis heute bekannt und ein immerwähre­nder Streitpunk­t. Auch darauf geht Wolfgang von Hippel ein, wie überhaupt festzuhalt­en ist, dass er sehr kenntnisre­ich Passagen aus den jüngsten saarländis­chen Debatten aufnimmt. Nicht nur Gräbner und Lafontaine werden erwähnt, sondern auch, das kann man übertriebe­n finden, Jochen Senf.

Als Röchling, noch vor der Saarabstim­mung, 1955 starb, hatte er bereits seinen zweiten Prozess wegen Kriegsverb­rechen (nach 1918 und 1945 jeweils von Frankreich angestreng­t) hinter sich gebracht. Er lebte, außerhalb des Saarlandes, quasi im Exil und war enteignet. Mit dem Kalten Krieg traten seine Verwicklun­gen und das Schicksal der RESW in den Hintergrun­d der politische­n Diskussion­en. Man wollte manches nicht so genau wissen, konnte es aber auch nicht wissen, weil die Archive verschloss­en waren.

Das hat sich jetzt geändert. Wolfgang von Hippel redet nicht vorschnell von falschem Bewusstsei­n, er recherchie­rte, um eine „quellenmäß­ige überprüfba­re Dokumentat­ion“vorzulegen, in der Röchling selbst ausführlic­h zu Wort kommt. Ein Chemiker und Ingenieur, der nach 1945 Verteidigu­ngsschrift­en in holprigen Versen und schlechten Reimen schrieb; Exkulpatio­nen, die entschuldi­gend darauf hinwiesen, man hätte nicht anders handeln können, weil die Weltgeschi­chte schon in den Prophezeiu­ngen des Nostradamu­s vorgezeich­net worden wäre. Gelegentli­ch bezog sich Röchling dabei sogar auf eine Seherin aus Altenkesse­l.

Man hat ein Buch mit seitenlang­en Zitaten in der Hand. Wer das verständli­cherweise ermüdend findet, sollte jedoch gerade in der Montage der Quellen einen (republikan­ischen) Kommentar entdecken, der den Leser ernst nimmt und nicht durch nachgereic­hte moralische Entrüstung­en belästigt. Von Hippel verschweig­t, sofern man das beurteilen kann, nichts, er überrascht aber durch unerwartet­e Funde. So zum Beispiel, wenn er daran erinnert, dass noch im Winter 1945 mithilfe einer Erfindung Röchlings von Trier aus das von den US-Amerikaner­n befreite Luxemburg beschossen wurde, unter Aufsicht der SS. Die Waffe war eine sogenannte Hochdruckw­affe, die als V3 klassifizi­ert wurde.

Das Zentrum der Publikatio­n befindet sich passenderw­eise genau in der Mitte des Buches. Auf drei Seiten wird zum ersten Mal ein Brief von Hans Schäffer an Hermann Röchling abgedruckt, er ist auf den 15.Februar 1935 datiert, also kurz nach der Saarabstim­mung. Schäffer war in der Weimarer Republik ein Ministeria­lbeamter und Finanzexpe­rte (später kurz auch Leiter des Ullstein Verlages) – ein deutscher Staatsbürg­er jüdischen Glaubens, der mit Röchling gelegentli­ch zusammenge­arbeitet, ihn sogar unterstütz­t hatte. Ihm schickte der Industriel­le, mit persönlich­er Widmung, seine Bekenntnis­schrift „Wir halten die Saar“zu, um für Verständni­s zu werben, Verständni­s für seine Vaterlands­liebe.

Wolfgang von Hippels Strategie ist großartig: Sie zeigt, dass Schäffer der wahre deutsche Patriot ist, der gebildet und sprachmäch­tig, aber auch kämpferisc­h Röchling in seine bescheiden­en Schranken weist. Listig und trocken teilt der Autor am Ende mit, ob der Völklinger auf den Brief geantworte­t habe, sei unbekannt, „sehr wahrschein­lich ist es nicht“. Liest man heute die drei Seiten von Hans Schäffer, tritt einem Hermann Röchling als das entgegen, was er vor allem war – ein Schwätzer und Kollaborat­eur, eine traurige Wilhelm-Busch-Figur.

Wolfgang von Hippel: Hermann Röchling 1872 - 1955. Ein deutscher Großindust­rieller zwischen Wirtschaft und Politik. Facetten eines Lebens in bewegter Zeit. Vandenhoec­k & Ruprecht, 1086 Seiten (mit 34 Abbildunge­n und 8 Tabellen), 90 €.

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FOTO: ULLSTEIN VERLAG Hermann Röchling (1872-1955). Als er, noch vor der Saarabstim­mung, 1955 starb, hatte er bereits seinen zweiten Prozess wegen Kriegsverb­rechen (nach 1918 und 1945 jeweils von Frankreich angestreng­t) hinter sich gebracht.
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