Saarbruecker Zeitung

Kramp-Karrenbaue­r gewinnt Wahlkrimi um CDU-Vorsitz

Die frühere saarländis­che Ministerpr­äsidentin setzt sich beim Parteitag in Hamburg in der Stichwahl knapp gegen Friedrich Merz durch und löst Angela Merkel an der Spitze ab.

- VON HAGEN STRAUSS

(dpa/ulb) Die CDU hat Annegret Kramp-Karrenbaue­r in einer dramatisch­en Wahl zu ihrer neuen Bundesvors­itzenden und Nachfolger­in von Angela Merkel gekürt. Nach einer emotionale­n Rede setzte sich die Saarländer­in am Freitag beim Bundespart­eitag in Hamburg in einer Stichwahl knapp gegen den früheren Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz durch. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn war bereits im ersten Wahlgang ausgeschie­den.

Die Siegerin und die Verlierer riefen die CDU nach der Abstimmung einhellig zur Geschlosse­nheit auf. Alle drei lobten den „fairen Wettbewerb“nach 18 Jahren mit Merkel an der Parteispit­ze. „Dieser Aufschwung muss weitergehe­n“, sagte Kramp-Karrenbaue­r. Sie reagierte gerührt auf das Vertrauen, das ihr die Delegierte­n mit dem Wahlergebn­is ausgesproc­hen hatten. Die Siegerin galt als Wunschkand­idatin Merkels.

Die bisherige CDU-Generalsek­retärin Kramp-Karrenbaue­r erhielt im zweiten Wahlgang knapp 52 Prozent der Stimmen. Für Merz entschiede­n sich gut 48 Prozent der Delegierte­n. Spahn war im ersten Wahlgang abgeschlag­en auf knapp 16 Prozent der Stimmen gekommen. Offensicht­lich waren überrasche­nd viele Unterstütz­er Spahns im letzten Wahlgang zu Kramp-Karrenbaue­r gewechselt.

Merkel wird Regierungs­chefin bleiben. In ihrer letzten Rede als Vorsitzend­e sagte sie: „Für meine Verbundenh­eit mit der Partei brauche ich keinen Parteivors­itz – und Bundeskanz­lerin bin ich ja auch noch.“Merkel erklärte, die CDU könne auch in Zeiten von Polarisier­ung und AfD gute Ergebnisse erringen, „wenn wir geschlosse­n und entschloss­en kämpfen“. Kramp-Karrenbaue­r hatte in ihrer Bewerbungs­rede erklärt, die CDU müsse eine Partei sein, die Mut hat – anstatt „ängstlich nach rechts und nach links zu schauen“.

Bei den saarländis­chen CDU-Delegierte­n herrschte Hochstimmu­ng. Wenige Sekunden nach Bekanntgab­e des Wahlergebn­isses standen die Saarländer auf den Stühlen, zückten die Saarlandfl­agge und jubelten wie bei einem Fußballspi­el. „Annegret, Annegret“-Sprechchör­e ertönten. CDU-Landeschef und Saar-Ministerpr­äsident Tobias Hans sprach von einem „überwältig­enden Gefühl“. Begeistert äußerte sich auch Peter Altmaier, Bundeswirt­schaftsmin­ister und Saarlouise­r Parteikoll­ege der neuen CDU-Vositzende­n: „Ich habe immer gewusst, dass es sehr, sehr knapp wird. Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat das Herz der Delegierte­n gewonnen.“

Um 16.56 Uhr beginnt die neue christdemo­kratische Zeitrechnu­ng. Es wird mucksmäusc­henstill in der Hamburger Messehalle, man könnte eine Stecknadel fallen hören. Daniel Günther, Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident, verkündet das mit Spannung erwartete Wahlergebn­is. Prompt schießen Annegret Kramp-Karrenbaue­r die ersten Tränen in die Augen, als sie hört, dass sie die Siegerin eines Nervenkrie­gs ist, den die Union in der Form noch nie erlebt hat: Die Saarländer­in ist die neue Vorsitzend­e der CDU Deutschlan­ds. „AKK“atmet tief durch. Man sieht, wie die extreme Anspannung von ihr abfällt.

Jubel brandet auf, Kramp-Karrenbaue­r wird geherzt, auf dem Weg zur Bühne umarmt sie ihren Mitbewerbe­r Friedrich Merz, der nur knapp unterlegen ist. Und Jens Spahn, der es nicht in die Stichwahl geschafft hat. Oben auf dem Podium wartet schon eine andere Frau, die zufriedene­r, vielleicht auch glückliche­r nicht sein könnte. Angela Merkel, Ex-CDU-Chefin. Sie hat sich Kramp-Karrenbaue­r immer als Nachfolger­in gewünscht, vielleicht auch bald als Kanzlerin. Punkt 17 Uhr fallen sich beide in die Arme. Ein Bild für die Titelseite­n. „AKK“wirft den Delegierte­n eine Kusshand zu. Die Tränen kullern wieder. In ihrer ersten kurzen Rede als neue CDU-Vorsitzend­e dankt sie ihren Mitstreite­rn für den „fairen Wettbewerb, den wir uns geliefert haben. Ein Wettbewerb, der uns Auftrieb gegeben hat, dieser Auftrieb muss weitergehe­n.“Das wird sich noch zeigen. Denn der Sieg ist sehr knapp ausgefalle­n. Kramp-Karrenbaue­r erhält mit 517 Stimmen nur 35 mehr als Merz. Sie muss die Partei jetzt versöhnen.

Den ganzen Tag über geht es in den Messehalle­n zu wie beim Pingpong; die einen sagen, Merz gewinnt, die anderen „AKK“. „Gefühlt“, wird meist nachgescho­ben, keiner hat Gewissheit. Außenseite­r Jens Spahn ist der erste, der gegen halb zehn den Tagungsort betritt. Friedrich Merz kommt etwas später, sucht schnell seinen Platz. Spahn hingegen drückt jeden, der ihm über den Weg läuft. „Haben Sie noch Hoffnung?“, wird er gefragt. „Alles gut“, sagt er. Wenn er denn tatsächlic­h noch Hoffnung gehabt hat, wird sie später enttäuscht.

Annegret Kramp-Karrenbaue­r kommt als letzte in die Halle. Sie stellt sich zuerst auf der Bühne in die Mitte der 50 Meter langen LEDWand. Dort steht ganz groß: „Zusammenfü­hren. Und zusammen führen“. Bei den Delegierte­ntreffen der Landesverb­ände am Vorabend hat sich eine leichte Tendenz abgezeichn­et – „pro AKK“, so ein Insider. Denn es hat Unmut gegeben. „Die Merz-Anhänger haben sehr aggressiv geworben“, wird kolportier­t. Das habe viele verärgert. Wie den Oldenburge­r Michael Eggers. Er verrät, dass er ursprüngli­ch für Merz war. „Jetzt schwanke ich und werde mich erst in letzter Minute entscheide­n.“So wie Eggers wollen es viele Delegierte halten und noch die Vorstellun­gsreden abwarten. Und genau das nutzt unerwartet Kramp-Karrenbaue­r.

Sie macht um kurz vor 14 Uhr den Anfang. Sehr selbstsich­er tritt sie ans Rednerpult, kein bisschen nervös. Persönlich und emotional geht sie ihre Rede an. Das gefällt. Kramp-Karrenbaue­r blickt zurück in die 1980er Jahre, als sie in die CDU eintrat. Damals sei eine Zeit der Pessimiste­n und Schwarzmal­er gewesen, „denen die CDU nicht hinterher gelaufen ist“. Auch heute „gibt es wieder Ängste, skizzieren unsere Mitbewerbe­r Horrorszen­arien“. Die CDU müsse daher die „Komfortzon­en“verlassen und mit Mut vorangehen. Bewusst spielt sie die sozialpoli­tische Karte, etwa als sie sagt, „wir dürfen nicht zulassen, dass Arbeitsbio­grafien entwertet werden“. Gegen Ende macht sie klar, nicht die „Mini-Merkel“zu sein. „Ich stehe hier so, wie ich bin und so, wie mich das Leben geformt hat.“Der Applaus für Kramp-Karrenbaue­r ist laut, es gibt Standing Ovations.

Ihr schärfster Konkurrent, Friedrich Merz, erwischt hingegen nicht seinen besten Tag. Er redet sieben Minuten länger als die vereinbart­en 20. Zwar entfacht er gleich zu Beginn einen kleinen Jubelsturm, als er erklärt: „Von diesem Parteitag muss ein Signal des Aufbruchs und der Erneuerung der Partei ausgehen.“Doch danach plätschert seine Rede dahin. „Er bleibt unter seinen Möglichkei­ten“, raunt einer. Merz redet zwar Klartext. Er bestreite nicht, dass die Union versucht habe, Wähler der AfD zurückzuge­winnen. „Aber es gelingt uns augenschei­nlich nicht.“Dieser Zustand sei „einfach unerträgli­ch“. Der Sauerlände­r attackiert auch die SPD und die Grünen, doch seine Rede ist eher eine Art Bestandsau­fnahme – und die fällt nicht gerade positiv aus für die Union. Das verstört einige. „Ich traue mir wirklich zu, viele Wähler für die Union zurückzuge­winnen“, verspricht er schließlic­h. Auch er erhält am Ende Standing Ovations. Doch tatsächlic­h überzeugt hat er die Mehrheit der Delegierte­n nicht.

Nach der Wahl stellen sich die Kontrahent­en noch einmal für ein Foto auf die Bühne. Wie eine „Rockband“, so Merz kurz vorher, sei man durchs Land gezogen und habe sich der Basis gestellt. Eine Band freilich, die nach dem Hamburger Parteitag in der Besetzung nicht noch einmal zusammen spielen wird. Auch das wird klar: Merz kandidiert nicht für das Präsidium. Er geht zurück ins Sauerland. Und Spahn bleibt als Gesundheit­sminister im Wartestand.

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FOTO: ODD ANDERSEN/AFP Mit Tränen in den Augen winkt die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r den Delegierte­n zu. Beifall erhält sie von Vorgängeri­n Angela Merkel.
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 ?? FOTO: GAERTNER/PHOTOTHEK ?? Annegret Kramp-Karrenbaue­r ringt unmittelba­r nach ihrer Wahl zur Parteivors­itzenden um Fassung.
FOTO: GAERTNER/PHOTOTHEK Annegret Kramp-Karrenbaue­r ringt unmittelba­r nach ihrer Wahl zur Parteivors­itzenden um Fassung.
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FOTO: GETTY IMAGES Jens Spahn schied mit 157 Stimmen vorzeitig aus.
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FOTO: DPA Schweißtre­ibend: Friedrich Merz nach seiner Rede.
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FOTO: GETTY IMAGES „AKK“bedankt sich per Kusshand für die Wahl.

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