Saarbruecker Zeitung

Die CDU entscheide­t sich für die Vernunft

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Jede andere Entscheidu­ng hätte in ein Abenteuer geführt. Bei Friedrich Merz hätte man schon nicht gewusst, ob die nächsten Wochen Enthüllung­en aus seinem Berufslebe­n bringen. Oder was noch an überrasche­nden Vorschläge­n zur Steuer- oder Sozialpoli­tik von ihm kommt. Er wäre ein Risiko gewesen, für die CDU, für die große Koalition. Jens Spahn ebenso, wenn auch mit Abstrichen. Das knappe Votum für Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist eine Entscheidu­ng der Vernunft. Die 56-Jährige ist regierungs­erfahren und integrativ. Sie ist durch und durch seriös und durch und durch Mitte.

Angela Merkel wird im Konrad-Adenauer-Haus Rückhalt haben. Das stabilisie­rt die Koalition. Die Gefahr von Neuwahlen ist auf der CDU-Seite nun gemindert. Allerdings wird sich auch „AKK“mit zunehmende­r Nähe des Wahltermin­s zu profiliere­n versuchen.

Der große Kurswechse­l der Union findet also nicht statt, und das ist gut so. Es wäre eine Milchmädch­enrechnung zu glauben, man könne die AfD wieder klein kriegen, in dem man deren Themen kopiert. In der Migrations­politik fehlt es an der Umsetzung der beschlosse­nen Maßnahmen, wie „AKK“richtig erkannt hat. Nicht an Gesetzen, nicht an Härte und erst recht nicht an Sprüchen. Für das Land ist viel wichtiger, ob die Führer der Parteien Ideen für die Zukunft der Arbeit, der Bildung und der Sozialsyst­eme haben, die mehrheitsf­ähig sind. Und da ist von der sozial sensiblen Kramp-Karrenbaue­r ganz sicher mehr und Besseres zu erwarten als etwa von Merz, der noch stark vom Neoliberal­ismus geprägt ist.

Die neue Vorsitzend­e stößt aber auf zwei Probleme. Das eine ist der Umgang mit dem Erbe Merkels. Jene, die mit ihrem Kurs hadern, ob generell oder in Sachen Flüchtling­e, werde nicht Ruhe geben. Kramp-Karrenbaue­r muss das auffangen. Sonst werden die Merkel-muss-Weg-Rufe, die es ja auch in der Union gibt, nicht aufhören und auf die neue Parteichef­in zielen. Dann bleibt sie eine Mini-Merkel. Kramp-Karrenbaue­r muss sich von ihrer Ziehmutter emanzipier­en. Notwendig ist auch eine schnelle Aufarbeitu­ng von 2015, als es zum Kontrollve­rlust an den Grenzen kam. Dass sollte die CDU nicht so lange mit sich ungeklärt herumschle­ppen wie die SPD Hartz IV. Außerdem wird Kramp-Kartenbaue­r die Rechten durch einen klugen Personalvo­rschlag für die Stelle des Generalsek­retärs einbinden müssen. Wie stark sie sind, hat das Ergebnis für Merz gezeigt.

Ihr zweites Problem: In der aktuellen Stimmungsd­emokratie schauen die Menschen weniger auf Programme und Konzepte, sondern auf Personen und ihre Ausstrahlu­ng. Unter den drei Bewerbern war Kramp-Karrenbaue­r hier die schwächste. Das muss zwar nichts heißen – auch Merkel galt bei ihrer Wahl zur CDU-Chefin als glanzlos und wurde dann bald zur mächtigste­n Frau der Welt. Es kann aber etwas heißen. Zum Beispiel, dass die CDU-Basis Ende 2020, wenn es an die Ernennung des Kanzlerkan­didaten geht, nach Urwahl oder Sonderpart­eitag ruft. Oder, dass auch andere Bewerber Ansprüche anmelden. Die neue Vorsitzend­e wird sich jedenfalls nicht mehr auf ein erstes Zugriffsre­cht berufen können. So wenig wie Andrea Nahles bei der SPD. Die Spitzenkan­didatur muss sich Kramp-Karrenbaue­r erst noch erarbeiten.

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