Leinens Karriere im EU-Parlament droht das Ende
Nach dem vierten Protestwochenende erwarten die Franzosen heute mit Spannung eine Ansprache ihres Präsidenten am Abend.
(SZ) Der frühere saarländische Umweltminister und erfahrene Europapolitiker Jo Leinen (SPD) kann sich bei der Wahl im kommenden Mai nur geringe Hoffnungen auf einen Wiedereinzug ins EU-Parlament machen. Bei einer Delegiertenkonferenz in Berlin wurde der 70-Jährige gestern nur auf Rang 20 der Kandidatenliste gewählt. Die SPD zieht mit den Spitzenkandidaten Katarina Barley und Udo Bullmann in die Europawahl.
(SZ/dpa) Einer Geisterstadt glich Paris am Samstag. Museen, Kaufhäuser und der Eiffelturm blieben geschlossen, die meisten Einwohner wagten sich nicht aus dem Haus. Akt IV der Proteste der „Gelbwesten“war angekündigt, und die Polizei war mit 8000 Mann und erstmals mit gepanzerten Fahrzeugen im Einsatz. Das Großaufgebot verhinderte Bilder wie am vergangenen Wochenende, als gewalttätige Demonstranten den Triumphbogen verwüstet hatten, doch der Preis war hoch: Mehr als 1000 Menschen, die mit Hämmern, Baseballschlägern und Boule-Kugeln ausgestattet waren, wurden festgenommen.
Landesweit wurden laut Innenministerium am Wochenende sogar mehr als 1700 Menschen festgenommen. 1220 kamen in Gewahrsam – das heißt, sie können bis zu 24 Stunden festgehalten werden, etwa weil sie im Verdacht stehen, eine Straftat begehen zu wollen. Mehr als 250 Menschen wurden den Angaben zufolge verletzt, darunter rund drei Dutzend Sicherheitskräfte. Auch in anderen Städten wie Bordeaux und Toulouse eskalierte die Gewalt.
In der Hauptstadt waren die Demonstranten zahlreicher als noch am vergangenen Wochenende. 10 000 Menschen in gelben Westen versammelten sich auf den ChampElysées, dem Platz der Republik und an der Bastille. Die Gewalttäter unter ihnen zerstörten Banken, Restaurants und Läden, deren Fenster nicht mit Sperrholzplatten zugenagelt waren. Laut der Pariser Stadtverwaltung war der Schaden höher als voriges Wochenende. Und der Protest, der landesweit 136 000 Menschen auf die Straße brachte, dürfte weiter gehen: Die Demonstranten denken bereits über Akt V am nächsten Samstag nach. Um einen Dialog mit den gemäßigten „Gilets jaunes“zu beginnen, empfing Regierungschef Edouard Philippe am Freitag eine Delegation. „Der Ball ist im Feld von Macron“, sagte Christophe Chalençon, einer der Sprecher, hinterher. Der Präsident wird heute Abend um 20 Uhr zum ersten Mal seit Beginn der Krise vor drei Wochen das Wort ergreifen. Dass er das so spät tut, begründete sein Vertrauter Richard Ferrand damit, dass Macron nicht „Öl ins Feuer“gießen wolle.
Bereits heute Morgen will Macron unter anderem Vertreter der großen Gewerkschaften, der Arbeitgeber sowie die Präsidenten der Nationalversammlung und des Senats treffen, wie Élysée-Kreise bestätigten. Ziel sei, Vorschläge zu hören.
Der Hass der „Gelbwesten“, die rund 70 Prozent der Bevölkerung unterstützen, richtet sich in erster Linie gegen den Staatschef. „Analphabeten, Nichtsnutze, widerspenstige Gallier in Wut“, stand auf einem Demo-Plakat. Drei Begriffe, die der Präsident abwertend für Arbeiter und all jene benutzt hatte, die seine Reformpolitik kritisierten. Diese Sprüche brachten ihm wie die Abschaffung der Vermögenssteuer den Ruf ein, „Präsident der Reichen“zu sein. Das Gefühl der Ungleichheit verstärkte sich unter Macron, zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop. Darin fordern 46 Prozent der Befragten, dass die Gehaltsschere zwischen Arm und Reich kleiner wird. Ein Plus von 13 Prozent gegenüber dem Juni 2017, kurz nach Macrons Amtsantritt.
Dem Präsidenten ist klar, dass er in seiner Ansprache Maßnahmen zugunsten der sozial Schwachen verkünden muss, um die Wut der Straße zu besänftigen. Im Gespräch sind eine Anhebung des Mindestlohns und eine sofortige Abschaffung der Wohnungssteuer, die eigentlich über drei Jahre hinweg gestaffelt werden sollte. Daneben gehört eine steuerfreie Prämie für Geringverdiener ebenso zu den Optionen wie die Erhöhung der Beihilfen für bedürftige Rentner. Ausgeschlossen hat Macron bisher eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer, obwohl genau dies die meisten Demonstranten verlangen.
„Die Zeit ist gekommen, starke Maßnahmen anzukündigen“, forderte Außenminister Jean-Yves Le Drian. Es müsse einen neuen Sozialpakt geben, der den Wohlfahrtsstaat des 21. Jahrhunderts vorbereite. „Man reformiert das Land nicht nur von oben herab“, kritisierte der ehemalige Sozialist im TV-Sender LCI den Führungsstil des Präsidenten. Egal, was Macron ankündigt, eines ist klar: Seine Versprechen werden viel Geld kosten. Von mindestens zehn Milliarden Euro geht der Arbeitgeberverband Medef aus.