Saarbruecker Zeitung

„Happy Katarina“und die geplatzte Hoffnung Merz

Viele in der SPD hätten sich einen anderen CDU-Chef gewünscht – um das eigene Profil schärfen zu können. Dafür feiert die Partei eine neue Sympathiet­rägerin.

- VON GEORG ISMAR Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Michaela Heinze

(dpa) Es spricht nicht gerade für das Selbstbewu­sstsein der SPD, dass die Hoffnung auf einen Aufschwung zuletzt den Namen eines Christdemo­kraten trug: Friedrich Merz. Mit ihm als CDU-Vorsitzend­en hofften viele, das Profil in der großen Koalition durch mehr Streit schärfen zu können. Es hatte was von Klassenkam­pf, als zum Beispiel SPD-Vize Ralf Stegner die Frage aufwarf, „ob in Deutschlan­d Millionäre aus der Finanzindu­strie politische Ämter in Volksparte­ien anstreben“sollten. Dabei verdienen auch einige Genossen wie Gerhard Schröder prächtig jenseits der Politik. Man sehnte sich aber nach einem klar greifbaren Gegner.

Nun ist es anders gekommen – und eine der ersten, die Annegret Kramp-Karrenbaue­r auf Twitter gratuliert­en, war SPD-Chefin Andrea Nahles. Sie sprach von „großen Fußstapfen“, in die Angela Merkels Nachfolger­in hineintret­e.

Merkel war 18 Jahre CDU-Chefin, bei Nahles wetten derzeit nur wenige darauf, dass sie 18 Monate schafft. Ein Bundestags­abgeordnet­er spricht von teils gespenstis­chen Szenen in Sitzungen, wenn Nahles kaum Applaus bekommt. Zugleich wird es als unfair kritisiert, dass alle Schuld für den Umfrageabs­turz auf 14 Prozent bei ihr abgeladen wird. Die herumkrebs­ende SPD ist verunsiche­rt bis verzweifel­t.

Sicher, mit Kramp-Karrenbaue­r wird es wahrschein­licher, dass die große Koalition hält. Aber spätestens die Europawahl Ende Mai wird für Nahles zur Wegscheide. Sie ist die erste Vorsitzend­e der SPD; aber während die CDU, der man gerne fehlende innerparte­iliche Demokratie vorwarf, im Rennen um Merkels Nachfolge erblühte und in Umfragen wieder auf 30 Prozent kletterte, verdankt Nahles ihren Vorsitz einer Absprache im kleinen Zirkel, etwa mit Olaf Scholz. Und ihre Partei schleppt sich bei 14 Prozent dahin.

Wer im Gegensatz zu Nahles als Hoffnungst­rägerin gefeiert wird, ist Katarina Barley. Die Bundesjust­izminister­in kommt bei ihrer gestrigen Bewerbungs­rede auf dem kleinen SPD-Parteitag in Berlin zunächst kaum zu Wort. Der Applaus will nicht enden. Als sie endlich anfangen kann, impft sie der Partei neuen Mut ein. Die knapp 200 Delegierte­n belohnen es: Mit 99 Prozent wird Barley zur Spitzenkan­didatin für die Europawahl Ende Mai gewählt. „Wir stehen am Scheideweg“, sagt sie mit Blick auf die nationalis­tischen Bewegungen in Europa. Barley (50) hat ein sonniges Gemüt, wird als „Happy Katarina“gefeiert – am Freitag war bei einer Gala Hollywoods­tar Richard Gere so von der SPD-Justizmini­sterin angetan, dass er spontan Händchen mit ihr hielt. „Ich trage Europa bei mir in jeder Form, in meinem Herzen sowieso, aber auch in meiner Handtasche“, sagt sie mit Blick auf ihre zwei Pässe. Die Mutter ist Deutsche, der Vater Brite.

Sie ruft ihre Partei zu einem „geilen“Wahlkampf auf. „Europa ist die Antwort“lautet das Motto. Ein europäisch­er Mindestloh­n, mehr soziale Absicherun­g, die Menschen mehr in den Fokus nehmen – damit sollen Europafein­de und rechte Hetzer in die Schranken gewiesen werden.

Barley wird ihr Amt zur Wahl am 26. Mai abgeben und nach Brüssel wechseln – ihre Aufgabe dort ist noch völlig unklar, vielleicht Fraktionsc­hefin im Europaparl­ament. Denn sie ist „nur“die nationale Spitzenkan­didatin – Spitzenkan­didat aller europäisch­en Sozialdemo­kraten ist der Niederländ­er Frans Timmermans.

In der SPD fordern einige als Signal an junge Wähler eine noch stärkere Einbindung von Juso-Chef Kevin Kühnert – seine Vizechefin Delara Burkhardt (26) steht auf Listenplat­z fünf und wird wohl in das Europaparl­ament einziehen. Nahles größter Verbündete­r ist im Moment die Angst vor einem Debakel bei einer Neuwahl – und der Mangel an Interessen­ten für den Parteivors­itz. Als bestgeeign­eter Kandidat fällt immer wieder der Name des niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten Stephan Weil.

Es gibt im Prinzip gerade zwei sozialdemo­kratische Parteien – die Regierungs-SPD von Scholz, die Spaß am Regieren hat und erleichter­t die Wahl Kramp-Karrenbaue­rs zur CDU-Chefin zur Kenntnis genommen hat, weil „AKK“mit Kanzlerin Merkel gut harmoniere­n dürfte. Und dann ist da die frustriert­e Basis-SPD, die sich eher Merz wünschte, um wieder klarer Unterschie­de herausstre­ichen zu können. Viel wird nun von den nächsten Wochen abhängen – auch ob Barleys Sympathien ein wenig auf Nahles abstrahlen.

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FOTO: CARSTENSEN/DPA Katarina Barley wurde mit 99 Prozent zur SPD-Spitzenkan­didatin bei der Europawahl gewählt.

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