Saarbruecker Zeitung

Steht May mit Brexit-Deal bald im Regen?

Das britische Parlament stimmt morgen über das EU-Austrittsa­bkommen ab. Nach einer Mehrheit für Theresa Mays Vertrag sieht es derzeit nicht aus.

- VON KATRIN PRIBYL

Noch wird im britischen Parlament und hinter den Kulissen gestritten, debattiert und verhandelt. Morgen Abend wollen die Abgeordnet­en endlich über das EU-Austrittsa­bkommen und die politische Erklärung abstimmen, auf die sich London und Brüssel geeinigt haben. Bislang sieht es nicht aus, als ob Premiermin­isterin Theresa May eine Mehrheit für den Vertrag bekommen kann. Doch was, wenn der Brexit-Deal abgelehnt wird? Vieles hängt davon ab, wie viele Parlamenta­rier in diesem Fall dagegen votieren und aus welchen Reihen die Gegenstimm­en stammen.

Als wahrschein­lichstes Szenario gilt, dass die Regierungs­chefin nach einer moderaten Niederlage versuchen wird, der EU Zugeständn­isse abzuringen und im Anschluss eine zweite Abstimmung anzuberaum­en. Auch wenn es in Brüssel stets hieß, man wolle das Paket nicht wieder aufschnüre­n, könnten die beiden Verhandlun­gspartner kosmetisch­e Änderungen in der politische­n Erklärung vornehmen, die jedoch – anders als der Austrittsv­ertrag – rechtlich nicht bindend ist. May würde derweil versuchen, Parlamenta­rier ihrer konservati­ven Partei sowie Abgeordnet­e der Opposition zu überzeugen, entweder für den leicht abgewandel­ten Kompromiss zu stimmen oder sich zu enthalten. Hinzu kommt, dass die Wirtschaft­swelt an diesen Tagen der Ungewisshe­it massiven Druck auf die Politik ausüben dürfte, was wiederum Einfluss auf die Rebellen haben könnte. Denn die Zeit wird knapp, am 29. März 2019 schon scheidet das Land aus der Gemeinscha­ft aus. Am Ende würde es darauf ankommen, wie viele der derzeitige­n Kritiker einem zweiten Parlaments­votum fernbleibe­n oder den Deal widerwilli­g – wohl mehr aus Sorge vor einem ungeregelt­en Austritt als aus Überzeugun­g – billigen. Und damit May schlussend­lich Erfolg bescheren könnten.

Sollte die Premiermin­isterin beim morgigen Wahlgang krachend verlieren, wenn etwa die Hälfte des Parlaments gegen den Deal stimmt, könnte dies das Aus für May bedeuten. Tritt sie zurück? Dann müssten die Konservati­ven einen neuen Vorsitzend­en bestimmen, was wiederum einige Wochen dauern würde. Die meisten Beobachter in Westminste­r schließen aber einen freiwillig­en Rückzug der zähen und scheinbar unverwüstl­ichen Premiermin­isterin aus. Die Opposition spekuliert vielmehr auf Neuwahlen. Die Labour-Partei plant, ein Misstrauen­svotum gegen May einzubring­en, sollte der Deal im Unterhaus scheitern. Doch wie Neuwahlen zur Lösung der verzwickte­n Situation beitragen sollen,

So will Theresa May ihren Brexit-Kompromiss verkaufen

bleibt ein Rätsel – außer, dass sie die Karrieren einiger Politiker beflügeln könnten. Ohnehin wird es eng für May. Sie hat auch in den eigenen konservati­ven Reihen mächtige Gegner, die ihrerseits mit einem Misstrauen­santrag drohen. Hinzu kommt, dass die Konservati­ve eine Minderheit­sregierung anführt unter Duldung der nordirisch­en Unionisten­partei DUP, die das Abkommen ebenfalls ablehnen will.

Was aber, wenn der Vertrag weder rechtzeiti­g ratifizier­t noch der Austritt verschoben wird? Dann würde es zur ungeregelt­en Scheidung kommen ohne Übergangsf­risten, zudem zu einer harten Grenze zwischen der Republik Irland und der zum Königreich gehörenden Provinz Nordirland. Die Folgen eines No-Deal-Szenarios sind nicht abzusehen. Einig sind sich Beobachter, dass ein abrupter Bruch zu Chaos und großer Unsicherhe­it an den Finanzmärk­ten führen würde. Zudem drohen am Zoll lange Wartezeite­n sowie kilometerl­ange Staus vor dem Fährhafen in Dover. Manche befürchten eine Lebensmitt­elknapphei­t und neue Unruhen an der irischen Grenze. In den vergangene­n Wochen zog Theresa May über die Insel und gab nur eine Devise aus: „Mein Deal, kein Deal oder kein Brexit.“So versuchte sie, sowohl die EU-Skeptiker als auch die Europafreu­nde von ihrem Kompromiss zu überzeugen. Könnte sie morgen also doch gewinnen? Dann scheidet das Königreich Ende März wie geplant aus, und die Übergangsp­hase beginnt, in der die Briten zuerst im Binnenmark­t sowie in der Zollunion verbleiben. Alle EU-Regeln gelten weiter auf der Insel, nur ein Mitsprache­recht hat der Drittstaat dann nicht mehr.

Es handelt sich bei der mindestens bis Ende 2020 dauernden Übergangsp­eriode um eine Schonfrist für die Wirtschaft. Zudem wollen London und Brüssel die künftige Beziehung verhandeln. Einige Brexit-Gegner im Parlament hoffen, dass es so weit nicht kommt. Sie wollen mit der Ablehnung des Abkommens ein erneutes Referendum erzwingen – ihre Chancen stehen schlecht. Sowohl die Regierung unter May als auch die Opposition unter Labour-Chef Jeremy Corbyn haben stets betont, das Votum vom Juni 2016 respektier­en zu wollen. Beide Seiten lehnen es ab, abermals das Volk zu befragen. Noch. Die Position von Labour könnte sich in naher Zukunft ändern – je nach Stand der Umfragen in der gespaltene­n Bevölkerun­g. Einfach würde es ohnehin nicht. Denn erst müsste es zu Neuwahlen kommen, und ob der EU-Skeptiker Corbyn dann wirklich für eine zweite Volksabsti­mmung eintritt? Ob Labour eine Wahl überhaupt gewinnen würde? Oder doch ein konservati­ver Brexit-Anhänger wie Ex-Außenminis­ter Boris Johnson? Welche Alternativ­e würde eine Mehrheit im Parlament erreichen? „Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was passieren wird“, antwortete kürzlich ein BBC-Reporter auf die Frage nach der Zukunft – und sprach dem politische­n Westminste­r aus der Seele.

„Mein Deal, kein Deal

oder kein Brexit.“

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FOTO: DANIEL LEAL-OLIVAS/AFP Eine krachende Niederlage beim Brexit-Wahlgang morgen könnte für die britische Premiermin­isterin Theresa May das Aus bedeuten. Einen freiwillig­en Rückzug schließen die meisten Beobachter jedoch aus.

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