Mit 79 Jahren hat man noch Pläne
Der Saarbrücker Buchhändler Karlheinz Köhler hat mit 79 Jahren in Ottweiler eine neue Buchhandlung eröffnet. Eine Herzensangelegenheit und eine wunderbare Familiengeschichte.
Was veranlasst einen 79-jährigen Buchhändler, der in Saarbrücken eine gut gehende Buchhandlung betreibt, dazu, in Ottweiler eine neue aufzumachen? Erstens ist die Frage ganz falsch gestellt, weil das Eröffnen einer Buchhandlung ja keine Bürde (und hoffentlich auch keine Mühsal) ist. Sondern wie immer in solchen Fällen eine Herzensangelegenheit. Zweitens käme niemand auf die Idee, dass Karlheinz Köhler 78 ist. Und drittens steckt dahinter auch, wenn auch nicht alleine, „ein bisschen eine Verpflichtung meiner Mutter gegenüber“, wie Köhler sagt.
Um Letzteres zu erklären, sind wir auch schon mitten drin in dieser Geschichte, die eine Familien- und eine Buchhändlergeschichte par excellence ist. Also eigentlich beides in einem. Der Reihe nach: 1892 eröffnete Köhlers Ur-Großmutter in Ottweiler die „Henn’sche Buchhandlung“– aus der Not heraus. Nachdem ihr Mann, Gerber von Beruf, gestorben war, schwammen ihr buchstäblich die Felle davon. Weshalb sie sich in den Ottweiler Räumlichkeiten der Gerberei als Seiteneinsteigerin im Buchgeschäft versuchte.
Noch vor dem Ersten Weltkrieg kam – ihre Tochter hatte inzwischen einen Buchbindermeister aus Bonn geehelicht – eine Buchbinderei hinzu. Beides übernahm Köhlers Mutter Anneliese Hommel dann 1926 von ihrer Mutter und führte es mit ihrem Mann, dem Buchbinder Karl Köhler aus Mannheim, fort. Als Kind lief er, erzählt Karlheinz Köhler, immer wieder durch Buchhandlung und Binderei und schaute den Eltern über die Schulter. Und sicher auch in viele, viele Bücher hinein.
Kein Wunder jedenfalls, dass er der Familientradition treu blieb, wenn auch nicht in Ottweiler, das damals nicht zuletzt wegen seines „Lehrerseminars“ein Begriff war. Vielmehr übernahm Köhler nach seinem Examen als DiplomKaufmann 1965 zunächst eine Buchhandlung in Sulzbach, später dann in Dudweiler, ehe er 1971 die legendäre „Akademische Buchhandlung“in Saarbrücken aufmachte, nach ihren Initialen auch kurz „abs“genannt. Ehe Thalia mit seinem Buchkaufhaus kam, war Köhlers „abs“nicht nur die größte Saarbrücker Buchhandlung, sondern vor allem eine, die ihrem Namen „Akademische Buchhandlung“gerecht wurde. 1999 musste Köhler dann Insolvenz anmelden. Die Thalia-Konkurrenz, die jahrelange Saarbahnbaustelle und der damit verbundene Ruin der Kaiser- als Geschäftsstraße brachen ihm das Genick. Köhler aber gab damals nicht auf. Bereits 1997, noch zu Zeiten seiner „abs“, hatte er als deren Dependance „Bücher am Rotenbühl“im gleichnamigen Saarbrücker Nobelviertel aus der Taufe gehoben.
Dass er hier seine kleine, feine Rotenbühler Buchhandlung aufmachte, sei damals „das Ergebnis der Spaziergänge meiner Frau mit unserem Hund gewesen“, erzählt Köhler und gluckst vor Lachen. Seine Frau ist die deutsch-tschechische Schriftstellerin und Publizistin Alena Wagnerová, die nicht nur mit einer Biografie über die einstige Kafka-Geliebte Milena Jesenská bekannt wurde, sondern zuletzt auch mit einem Interviewband unter dem Titel „Helden der Hoffnung – die anderen Deutschen aus den Sudeten. 1935–1989“, in dem sie 15 Sudetendeutsche zu Wort kommen ließ, die sich seinerzeit nicht mit dem NSSystem gemein gemacht hatten. Seit 1969 lebt sie in Saarbrücken, hat unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung und für die Saarbrücker Zeitung geschrieben. Im Jahr 2017 wurde sie vom tschechischen Außenministerium mit dem „Gratias agit-Preis“ausgezeichnet. Der Preis wird für die Verbreitung des guten Rufs der Tschechischen Republik im Ausland verliehen. Dass er am Rotenbühl mit einem anspruchsvollen Programm lange etabliert ist, soll den Ottweiler Sprung ins Ungewisse überschaubar machen.
Foto: Christoph Schreiner
„Ich kann dort flexibel reagieren, weil ich hier ein volles Sortiment habe“, sagt er. Ferner „laufen die Schulbuchbestellungen wieder über uns“. Auch die Stadt sieht sich in der Pflicht. In seinem Alter, meint Köhler, wolle er kein großes finanzielles Risiko mehr eingehen – dass die Ottweiler Immobilie in Familienbesitz ist, kommt da gerade recht.
Wie ehedem gibt es nun seit dem 14. April in der Ottweiler „Enggaß 2“wieder eine „Henn’sche Buchhandlung“– mit dem dezenten Zusatz „Köhler“dahinter. Eine richtige Buchhandlung mit 75 Quadratmetern Verkaufsfläche ist es geworden, mit der er auf seine nicht mehr ganz jungen Tage das elterliche Vermächtnis einlöst. Denkbar sei, dass bibliophile Kunden ehrenamtlich mithelfen und genossenschaftlich eingebunden werden. „Mehr Verantwortlichkeit ist, glaube ich, in der heutigen Zeit wichtig“, sagt er. Und überschlägt, entspannt im Sessel sitzend, dass er „noch gut zehn Jahre“im Buchhandelsgeschäft zu bleiben gedenkt.