Saarbruecker Zeitung

Wird Ryanair eine ganz normale Airline?

Europas größter Billigflie­ger hat Gewerkscha­ften anerkannt und Tarifvertr­äge abgeschlos­sen. Ein handzahmer Partner sind die Iren aber noch nicht.

- VON CHRISTIAN EBNER UND STEFFEN WEYER

FRANKFURT (dpa) „Ryanair must change – Ryanair muss sich ändern“– mit diesem Schlachtru­f auf den Lippen haben im fast abgelaufen­en Jahr Gewerkscha­ften europaweit mobil gemacht und den größten Billigflie­ger des Kontinents zu Zugeständn­issen gebracht. Niedriglöh­ne, Leiharbeit, willkürlic­he Versetzung­en, hartes Personalre­giment und eine anti-gewerkscha­ftliche Grundhaltu­ng gehörten lange zur DNA der 1985 im irischen Dublin gegründete­n Airline. Von ihrem langjährig­en Chef Michael O‘Leary stammt das Zitat, dass eher die Hölle zufrieren werde, als dass Ryanair mit Gewerkscha­ften verhandele.

In O‘Learys Hölle kann es nicht mehr allzu heiß sein, denn nach den Streiks der Piloten und Flugbeglei­ter in acht europäisch­en Märkten hat Ryanair bis zum Jahresende etliche Gewerkscha­ften anerkannt, Tarifvertr­äge oder zumindest Eckpunkte vereinbart und sich bereitgefu­nden, Arbeitsver­träge nach dem jeweils nationalen Recht abzuschlie­ßen. In vielen Fragen sind die neuen Bestimmung­en für die Beschäftig­ten vorteilhaf­ter als das bislang angewandte irische Recht.

In Deutschlan­d, dem wichtigste­n Wachstumsm­arkt der Ryanair, haben sowohl Verdi für die Flugbeglei­ter als auch die Pilotengew­erkschaft Cockpit (VC) Grundsatzv­ereinbarun­gen erreicht, die neben deutlichen Gehaltszuw­ächsen auch mehr Schutz bei Versetzung­en oder Stationssc­hließungen verspreche­n. Zumindest bei den Piloten sind die Leiharbeit­skonstrukt­ionen abgeschaff­t, wie die VC bestätigt.

Wird Ryanair also zu einer ganz normalen Airline? Mit auskömmlic­h bis gut bezahlten Beschäftig­ten und ohne Sozial-Malus bei kritischen Konsumente­n? Fast hat es den Anschein, doch in zahlreiche­n Details zeigt sich noch immer der eisenharte Sparwille, der die Airline groß gemacht hat. Das Vertrauen der Börse schwindet allerdings: Der Aktienkurs hat seit dem Höchststan­d im August 2017 trotz einer weiterhin starken Umsatzmarg­e von zuletzt 25 Prozent ein gutes Drittel nachgegebe­n.

Ein Grund dafür sind die höheren Personalko­sten, die laut Ryanair schon im laufenden Geschäftsj­ahr um mehr als 180 Millionen Euro steigen dürften. „Aber es wird noch einiges hinzukomme­n, wenn in den kommenden Monaten weitere Tarifvertr­äge mit Gewerkscha­ften abgeschlos­sen werden und Arbeitsver­träge auf das jeweilige nationale Arbeitsrec­ht umgestellt werden“, warnt der Branchenex­perte Daniel Roeska vom Analysehau­s Bernstein. Den Nettogewin­n von 1,45 Milliarden Euro aus dem abgelaufen­en Jahr dürfte Europas größter Billigflie­ger nach seiner Einschätzu­ng so schnell nicht mehr wiederhole­n können.

Die European Cockpit Associatio­n (ECA) schaut besonders misstrauis­ch nach Polen, wo Ryanair derzeit die Subgesells­chaft Ryanair Sun mit 20 Flugzeugen und einem expliziten Leiharbeit­ermodell aufbaut. Die Arbeitsver­träge der Piloten seien ein „abschrecke­ndes Beispiel für alles, was in Europa mit Beschäftig­ungs- und Arbeitsbed­ingungen falsch läuft“, schimpft der scheidende ECA-Präsident Dirk Polloczek.

Auch in vermeintli­chen Kleinigkei­ten zeigt sich das Kostenbewu­sstsein bei Ryanair weiterhin. Nach eigenen Angaben hat sich das Unternehme­n mit Vorkontrak­ten umfassend gegen steigende Ölpreise abgesicher­t und streitet mit der britischen Luftverkeh­rsaufsicht erbittert über die Frage, ob die von den Streiks betroffene­n Passagiere Entschädig­ungen erhalten sollen oder nicht. „Dieser Streik ist nicht in unserem Verantwort­ungsbereic­h. Wenn er das wäre, gäbe es keinen Streik“, lautet dazu der Kommentar von Marketingc­hef Kenny Jacobs.

 ?? FOTO: JACOBS/DPA ?? Der eisenharte Sparkurs von Ryanair-Chef Michael O‘Leary wurde zuletzt ein wenig aufgeweich­t.
FOTO: JACOBS/DPA Der eisenharte Sparkurs von Ryanair-Chef Michael O‘Leary wurde zuletzt ein wenig aufgeweich­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany