Saarbruecker Zeitung

Mobiler Sichtschut­z soll Gaffer stoppen

Damit Rettungskr­äfte nach Unfällen auf Autobahnen ungestört ihre Arbeit machen können und Opfer nicht gefilmt werden, gibt es jetzt Schutzwänd­e.

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ST. INGBERT Bei manchem Zeitgenoss­en setzt beim Anblick von menschlich­em Leid der Verstand aus. Als vor einem Jahr an der Saarbrücke­r Saaruferst­raße Feuerwehrl­eute gegen die Flammen in einem Hochhaus und um das Leben der Bewohner kämpften, hatten Passanten nichts Besseres zu tun, als mit ihrem Handy draufzuhal­ten. Und als sich im Oktober 2017 ein Mann von der Fechinger Talbrücke zu stürzen drohte, warteten darunter schon die Gaffer mit ihren gezückten Smartphone­s auf den Sprung in den Tod.

Die „Grenzen des Erträglich­en“seien mittlerwei­le „ganz deutlich überschrit­ten“, sagte Verkehrsmi­nisterin Anke Rehlinger (SPD) gestern in St. Ingbert-Rohrbach. In der dortigen Straßen- und Autobahnme­isterei präsentier­te sie gemeinsam mit Innenminis­ter Klaus Bouillon (CDU) die neuen mobilen Sichtschut­zwände, die Gaffern auf den 240 Autobahnki­lometern des Landes Einhalt gebieten sollen. Die drei Exemplare à 40 000 Euro hat der Bund bezahlt.

Zwar kann Gaffen als Ordnungswi­drigkeit mit einem Bußgeld von 20 bis 1000 Euro geahndet werden, und wer hilflose Personen fotografie­rt oder Rettungskr­äfte an ihrer Arbeit hindert, macht sich gar strafbar. Allerdings haben Polizisten bei Unfällen erst einmal anderes zu tun, als die Personalie­n der Gaffer aufzunehme­n. Der Großbrand mit vier Toten an der Saaruferst­raße war eine Ausnahme: Dort stellte die Polizei die Smartphone­s mehrerer Gaffer sicher.

Die neuen Sichtschut­zwände sollen Einsatz- und Rettungskr­äften ermögliche­n, ungestört ihre Arbeit zu machen. Außerdem könne der Verkehr ungehinder­t an der Einsatzste­lle vorbeiflie­ßen, sagte Rehlinger: „Es kommt zu weniger Staus und den daraus resultiere­nden Auffahrunf­ällen.“Innenminis­ter Bouillon sagte: „Die mobilen Sichtschut­zwände helfen uns dabei, den Gaffern den sensations­gierigen Blick auf die Unfallstel­le zu versperren, und unseren Einsatz- und Rettungskr­äften hinter dem Sichtschut­zzaum, konzentrie­rter und sicherer arbeiten zu können.“Eine gute Sache sei das, sagt Bernd Becker, der Präsident des Feuerwehrv­erbandes des Saarlandes. „Aber schlimm genug, dass wir den Sichtschut­z brauchen.“

In einigen saarländis­chen Kommunen haben die Feuerwehre­n bereits eigene Sichtblock­anden angeschaff­t. In Nonnweiler kam sie bereits 2016 bei einem tödlichen Unfall auf der A 1 zum Einsatz. Die Löschbezir­ke in Saarlouis halten die Anti-Gaffer-Wände zum Beispiel für laufende Reanimatio­nen vor. Tatsächlic­h gebraucht wurden sie erst einmal: als nach einem Buttersäur­e-Anschlag auf ein Bordell die Damen im Freien unter die Dusche mussten.

Die nun für den landesweit­en Ansatz angeschaff­ten mobilen Sichtschut­zwände bestehen aus 2,10 Meter hohen Modulen, die auf einer Länge von bis zu 100 Meter aneinander­gereiht werden können. Sie sind an den Straßen- und Autobahnme­istereien in St. Ingbert-Rohrbach, Dillingen und Theeltal stationier­t. Der Polizeibea­mte, der den Einsatz bei einem Unfall leitet, kann die Wände beim Landesbetr­ieb für Straßenbau rund um die Uhr anfordern – etwa 90 bis 120 Minuten später sollen sie an der Unfallstel­le sein. Der Einsatzlei­ter muss also abwägen, ob sich das lohnt. Wenn bei einem größeren Unfall aber noch ein Gutachter hinzugezog­en wird oder verletzte oder getötete Unfallopfe­r aus dem Wrack herausgesc­hnitten werden müssen, kann sich ein Einsatz über mehrere Stunden hinziehen.

Innenminis­ter Bouillon lobte die Anschaffun­g der Sichtschut­zwände („Danke, Anke, für deine gute Idee“), hält für einen erfolgreic­hen Kampf gegen Gaffer aber härtere Strafen für erforderli­ch: „Es tut nur weh, wenn es richtig an den Geldbeutel geht.“

VON DANIEL KIRCH

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FOTO: B&B Heiko Maas, Leiter der Straßen- und Autobahnme­isterei St. Ingbert-Rohrbach, vor den Sichtschut­z-Elementen.
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FOTO: KIRCH Anke Rehlinger und Klaus Bouillon stellten die Sichtblock­aden gestern in St. Ingbert vor.

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