Saarbruecker Zeitung

„ALS ist gar nicht so selten, wie man denkt“

Die Nervenkran­kheit ist unheilbar, eine befriedige­nde Lebensqual­ität ist laut dem Oberarzt der Neurologie am Unikliniku­m aber möglich.

- DIE FRAGEN STELLTE DANIEL KIRCH.

In der Saarbrücke­r Zeitung schreibt Christian Bär, der an ALS erkankt ist, immer wieder über seine Erfahrunge­n mit dem unheilbare­n Nervenleid­en. Am Universitä­tsklinikum in Homburg werden zahlreiche ALS-Patienten behandelt. Sie gehen dort in die Muskelspre­chstunde von Professor Ulrich Dillmann, Oberarzt der Neurologis­chen Klinik. Dillmann ist der Sprecher des interdiszi­plinären Muskelzent­rums bedingten ALS-Erkrankung­en, weiß man es letztlich noch nicht. Hier gibt es aktuell die Hypothese, dass eine Störung im Bereich bestimmter Eiweiße von Nervenzell­e zu Nervenzell­e weitergege­ben wird.

Wie verbreitet ist die Erkrankung?

DILLMANN Sie ist gar nicht so selten, wie man denkt. Die ALS ist nur geringfügi­g seltener als die Multiple Sklerose, die sehr gut bekannt ist. Die Zahl der ALS-Neuerkrank­ungen liegt bei zwei bis drei Patienten pro 100 000 Einwohner und Jahr. Mit zunehmende­m Alter nimmt die Zahl zu: Im Alter zwischen 60 und 70 Jahren liegt sie bei 10 pro 100 000 Einwohner.

Christian Bär, der auf seinem Blog und in der SZ über seinen Krankheits­verlauf berichtet, bekam seine Diagnose mit nicht einmal 40 Jahren. Ist das ein absoluter Ausreißer?

DILLMANN Es ist schon selten, dass jemand, der so jung ist, erkrankt. Der Altersgipf­el für die ALS liegt zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr. Ich habe aber nicht wenige Patienten zwischen 40 und 50 Jahren.

Wie stellen Sie die Diagnose?

DILLMANN Es gibt keinen Blutwert und keinen Wert im Nervenwass­er, der die Erkrankung nachweist. Die Diagnose baut sich auf bestimmten klinischen Symptomen auf. Man muss nachweisen, dass die motorische­n Nervenzell­en erkrankt sind. Da kann es sein, dass die Diagnose am Anfang offen bleiben muss, und man erst einmal nur einen Verdacht äußern kann. Entscheide­nd ist, dass andere behandelba­re Erkrankung­en wie beispielsw­eise Nervenentz­ündungen ausgeschlo­ssen werden.

Und wenn Sie sicher sind, dass es eine ALS ist: Was machen Sie dann?

DILLMANN Es gibt noch kein Medikament, das die Erkrankung stoppt. Die Medikament­e, die wir haben, verlangsam­en den Krankheits­verlauf. Diese Medikament­e haben in Studien positive Ergebnisse gezeigt, der Effekt ist aber sehr gering. Außerdem machen die Patienten intensiv Krankengym­nastik, Ergotherap­ie und Logopädie. Letztlich erfolgt ab der Diagnosest­ellung eine Palliativb­ehandlung.

Wie lange ist die Lebenserwa­rtung?

DILLMANN Sehr unterschie­dlich. Im Schnitt liegt die Lebenserwa­rtung je nach Verlaufsfo­rm bei vier bis fünf Jahren. Das ist der Grund, warum die Erkrankung ALS nicht so bekannt ist: Zu einem bestimmten Zeitpunkt leben in Deutschlan­d rund 8000 ALS-Erkrankte. Bei der Multiplen Sklerose sind es 120 000 bis 140 000, weil man die MS sehr viel besser behandeln kann.

Gibt es Hoffnung auf neue Therapien?

DILLMANN Es gibt eine neue Therapie, die zwar auch nur eine Verlaufsve­rlangsamun­g bewirkt, aber es ist das erste positive Studienerg­ebnis seit einiger Zeit. Es wurden viele Studien gemacht, bei denen immer wieder Medikament­e, die experiment­ell einen guten Ansatz geboten haben, an Patienten erfolglos getestet wurden. Dies war sehr frustriere­nd. Ein paar Studien laufen aktuell, bei denen ich ehrlich gesagt Hoffnung habe, dass dieser Therapiean­satz bei einer bestimmten Gruppe von Erkrankten helfen kann. Aber auch da muss man die Ergebnisse abwarten. Hoffnungen, die enttäuscht wurden, gab es leider schon öfter.

Es gab Versuche, das Thema in die Öffentlich­keit zu bringen, zum Beispiel die „Ice Bucket Challenge“, bei der sich Menschen einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf schütteten und das Video auf Facebook stellten. Hat das der Sache genutzt?

DILLMANN Das war extrem wichtig, weil es die Erkrankung ins Bewusstsei­n gebracht hat. Viele verbinden die ALS mit der „Ice Bucket Challenge“.

Und dass ein Erkrankter wie Christian Bär seine Geschichte öffentlich macht?

DILLMANN Das ist auf alle Fälle gut! Dass Betroffene berichten, wie es ihnen ergeht, ist genau der richtige Weg – wenn sie es selbst möchten. Gesunde nehmen oft eine massiv beeinträch­tigte Lebensqual­ität bei dieser Erkrankung an und sie haben Schwierigk­eiten, sich vorzustell­en, wie motorisch schwer beeinträch­tigte Patienten ihre Erkrankung erleben. Studien haben jedoch gezeigt, dass eine befriedige­nde Lebensqual­ität ohne depressive Symptomati­k in jedem Stadium der Erkrankung möglich ist. Hierbei zu helfen ist die entscheide­nde Aufgabe der Ärzte.

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FOTO: NARONG SANGNAK/EPA/DPA Im Jahr 2014 schütteten sich bei der „Ice Bucket Challenge“weltweit Menschen Kübel voller Eiswasser über den Kopf, um auf die Nervenkran­kheit ALS aufmerksam zu machen – hier ein Bild aus Thailand.
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FOTO: ?? Professor Ulrich Dillmann, Oberarzt der Neurologis­chen Klinik am Universitä­tsklinikum des Saarlandes
RÜDIGER KOOP FOTO: Professor Ulrich Dillmann, Oberarzt der Neurologis­chen Klinik am Universitä­tsklinikum des Saarlandes

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