Saarbruecker Zeitung

Wilde Sachen machen

„Träumen zwischen Watte und Tampon“: Nora Gomringers kurzweilig­e Lese-Performanc­e in der Sparte 4 des Staatsthea­ters.

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zwar ein schönes feudales barockes Schloss in Bamberg im Auftrag des Freistaats Bayern, aber deshalb sei auch leider immer noch Söder (und vorher lange Seehofer) ihr Chef, erläuterte sie spitzbübis­ch grinsend ihre Tätigkeit, bevor sie nachlegte: „Aber es ändert sich alles, das kriegen Sie ja auch hier mit.“

Gomringer setzte sich gekonnt in Szene und performte in bester Slam-Manier, crossmedia­l hinter ihrem Laptop postiert, ihre Texte, die sie mit projiziert­en Illustrati­onen ihres verehrten Illustrato­rs Reimar Limmer anreichert­e, mit dem sie die Bände der „Trilogie der Oberfläche­n und Unsichtbar­keiten“vorgelegt hat. In einer Art eklektisch­er Werkschau verhandelt­e sie die von ihr kunstvoll verhandelt­en Topoi – Monster, Krankheite­n und Moden bzw. Sitten – und garnierte sie im Sinne eines unterhalts­amen und dennoch tiefsinnig­en Storytelli­ngs mit Interpreta­tionen, die in ihrer ungezwunge­nen Beiläufigk­eit sowohl amüsierten als auch belehrten und berührten.

Mal setzte sie das Publikum bildlich auf den Stuhl des Gynäkologe­n, der seiner Patientin Folgendes sagte: „Ihre Mutter muss schön gewesen sein – untenrum. Aufgeklapp­t schau ich Ihnen nicht in die Augen, Madame.“Das kam gut an, ebenso die ernsten Momente, der Autorin, die mit ihren bunten, etwas großformar­tigen Büchern zwischen Goethe und Heine optisch hervorstic­ht und die Buchhändle­r zur exponierte­n Zurschaust­ellung ihres Werkes zu nötigen trachtet. Hinter dieser schrillen Fassade blitzten aber auch die politische­n und feministis­chen Positionen der engagierte­n und am Diskurs teilhabend­en Autorin hervor. So entpuppte sich beim genauen Hinschauen eine kaleidosko­partige Illustrati­onen als ein Fraktal aus gebrochene­n Füßen von Lotusfraue­n aus China, wo sich Verliebte einer unsägliche­n Sitte folgend zu Folterern der Angebetete­n wandeln.

Ebenso wurde Gomringer auf einer Lesereise nach Usbekistan mit der dort gängigen Praxis des Brautraubs, der eine Art Freiheitsb­eraubung und den sozialen Tod der Opfer bedeutet, bekannt, was sie sehr berührend poetisiert­e. Gomringer beweist ein feines Gespür für gesellscha­ftliche Schieflage­n, die sie meisterlic­h seziert, ohne ins Betroffenh­eitspathos abzudrifte­n. Nicht nur optisch gleicht sie mit ihrer Pilzkopf-Frisur aus der Mod-Ära den Pilzen, die mit breit ausfächern­dem Myzel aus dem verborgene­n Erdreich ihr Leben und in Gomringers Fall ihre Inspiratio­n beziehen.

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FOTO: JUDITH KINITZ Autorin Nora Gomringer, 1981 in Neunkirche­n geboren und heute in Bamberg lebend

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