Saarbruecker Zeitung

Im Saarland werden mehr Organe gespendet

Erstmals seit Jahren ist die Zahl der Organspend­er bundesweit gestiegen. Die Warteliste bleibt aber lang.

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(ce/dpa/ kna) Nach langem Abwärtstre­nd ist die Zahl lebensrett­ender Organspend­en in Deutschlan­d erstmals wieder deutlich gestiegen. Im vorigen Jahr überließen 955 Menschen nach ihrem Tod Organe für schwerkran­ke Patienten, wie die Deutsche Stiftung Organtrans­plantation (DSO) am Freitag mitteilte. Das war ein Plus von knapp 20 Prozent im Vergleich zu 2017 und der erste größere Anstieg seit 2010. Konkret wurden von 955 Spendern 3113 Organe für Transplant­ationen vermittelt. Jeder Spender habe im Durchschni­tt drei Patienten eine neue Lebenschan­ce geschenkt, erläuterte die DSO.

Auch im Saarland stieg 2018 die Zahl der Organspend­er: um zwei auf 18 Menschen. 56 Nieren, Lebern und andere innere Organe wurden für eine Transplant­ation freigegebe­n – neun mehr als 2017. Im Saarland nimmt die Zahl der Spender im Unterschie­d zum Bundestren­d bereits seit Jahren stetig zu.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sagte: „Endlich gibt es wieder mehr Organspend­er. Unsere Kampagnen zeigen Wirkung. Auch die Debatte um die Widerspruc­hslösung sorgt dafür, dass sich mehr Menschen Gedanken über dieses Thema machen.“Spahn verwies darauf, dass der Bundestag über Gesetze für Bedingunge­n „für noch mehr Organspend­en“beraten wolle. Die aktuellen Zahlen seien nicht gut genug. Derzeit warten laut DSO in Deutschlan­d rund 9400 Patienten auf ein Spenderorg­an. Im Saarland sind es 97.

Aus Sicht der Saarländis­chen Krankenhau­sgesellsch­aft dürfte die erhöhte öffentlich­e Aufmerksam­keit für das Thema „zu einer erhöhten Sensibilit­ät bei den Angehörige­n, aber auch in den Kliniken geführt haben“, sagte Geschäftsf­ührer Thomas Jakobs. Ähnlich beurteilt das auch Markus Hardt, transplant­ationsbeau­ftragter Arzt der SHG-Kliniken Völklingen und Vorsitzend­er des Marburger Bundes Saarland. Er sieht aber Luft nach oben. Flächendec­kend seien lange nicht alle Kliniken beim Thema Organspend­e optimal aufgestell­t. Spahns Ansatz, Kliniken finanziell und personell zu stärken, um den Mehraufwan­d auszugleic­hen, der sich durch eine Organentna­hme ergebe, sei richtig. Skeptisch steht er der Widerspruc­hslösung gegenüber, wonach jeder, der nicht ausdrückli­ch widerspric­ht, als Spender gelten soll. „Wir sollten zuerst die Strukturen an den Kliniken verbessern und die positiven Effekte der geplanten Maßnahmen prüfen, bevor wir die Widerspruc­hslösung einführen“, sagte Hardt.

Zahlen liefern leider keine Erklärunge­n. Deshalb lässt sich nur mutmaßen, warum sich die Organspend­e-Zahlen 2018 derart massiv – um 20 Prozent – nach oben bewegt haben. An den Rahmenbedi­ngungen in den Kliniken, die sich erst 2019 verbessern sollen, kann es nicht liegen. Auch nicht an einer sprunghaft erhöhten Spendebere­itschaft der Deutschen. Denn seit Jahren befürworte­n über 70 Prozent die Organspend­e. Nein, es dürfte wohl tatsächlic­h an der erhöhten öffentlich­en Aufmerksam­keit liegen, die sich 2018 einstellte, nach der Schockbots­chaft, die Spendebere­itschaft sei auf einem historisch­en Tiefstand.

Alarmsigna­le und Hilferufe flogen durchs Land. Man hält es kaum mehr für möglich, aber sie wurden tatsächlic­h gehört in unserer von Erregungsw­ellen durchrütte­lten Gesellscha­ft. Medien und Politiker stiegen massiv ins Thema ein – und aktivierte­n offensicht­lich das, was viele Experten jenseits jeder Gesetzes- oder Klinikrefo­rm für den Generalsch­lüssel zum Problem halten: das kollektive Bewusstsei­n. Denn es ist wohl so, in unserer Gesellscha­ft fehlt eine Denk- und Gefühlskul­tur, die Angehörige, Ärzte und Transplant­ationspati­enten in ihrer Extremsitu­ation wahrnimmt und sie wertschätz­t.

Aber Organe fallen nicht vom Himmel, sie sind ein kostbares Gut, das gesamtgese­llschaftli­ch erarbeitet werden muss – durch Informatio­n, Empathie, Aufklärung, Geld. Jawohl, Geld hilft auch. Die 35 Millionen Euro, die ab Sommer 2019 durch das „Gesetz für bessere Zusammenar­beit und bessere Strukturen bei der Organspend­e“in die Kliniken fließen, um dort den Betreuungs-Mehraufwan­d abzufedern, der sich im Zuge einer Organspend­e ergibt, dürfte einen weiteren Aufwärtssc­hub für die Zahlen bringen. Wobei Kieler Forscher vor Euphorie warnen. Sie sehen den Hauptgrund für nicht erfolgte Organspend­en in der inneren Haltung der Kliniken. Es fehle der Ehrgeiz. Niemand werde bestraft oder belobigt, ob er nun viele oder wenige potentiell­e Spender melde. Transparen­z und eine Klinikrang­liste könnten hilfreich sein. Angedacht ist so etwas bislang noch nirgends.

Wie es aussieht, werden die Zahlen also noch eine Weile nicht wieder auf dem hohen Niveau landen, das vor zehn Jahren noch selbstvers­tändlich war, bei etwa 1200 Spendern jährlich. Deshalb gilt es, an jedem nur möglichen Schräubche­n zu drehen, das eine Verbesseru­ng bringen könnte. Auch an der bisher geltenden Zustimmung­slösung, die in allen Ländern, also auch in Deutschlan­d, zu markant weniger Organspend­en führt als in Ländern mit Widerspruc­hslösung. Dass der Gesundheit­sminister letztere einführen will, darf man kritisch sehen, weil sie das Selbstbest­immungsrec­ht berührt. Hauptsache aber, man denkt überhaupt darüber nach. Stimmt die Ursachenan­alyse der jetzt veröffentl­ichten Zahlen, dann muss man allein die Tatsache loben, dass Jens Spahn das heiße ethische Eisen überhaupt anpackt und dadurch zu einer breiten Debatte einlädt. Denn jedes Wort, jedes Argument mehr arbeitet gegen das, was die Organspend­e womöglich am meisten behindert: Bequemlich­keit und Ignoranz.

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