Saarbruecker Zeitung

„Die Welt lernt nicht dazu“

Der Linken-Fraktionsc­hef im Saarland spricht über Rosa Luxemburg, ihr Erbe und egoistisch­e Staaten.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE IRIS NEU-MICHALIK

Der 100. Todestag von Rosa Luxemburg eint ein ganzes Spektrum politische­r Gruppen im Gedenken. Nach der Symbolfigu­r der europäisch­en Arbeiterbe­wegung ist auch eine parteinahe Stiftung der Linksparte­i benannt. Und das ist nicht ihr einziges Erbe, sagt der Fraktionsv­orsitzende­n der Linken im Saarland, Oskar Lafontaine.

Herr Lafontaine, werden Sie dem Grab von Rosa Luxemburg zum 100.Todestag am Dienstag in Berlin einen Besuch abstatten?

LAFONTAINE Ja. Ich folge damit einer Tradition, die schon bei der Beerdigung von Rosa Luxemburg begonnen hat, als über 100 000 Berliner ihrem Sarg folgten.

Zum Gedenken treffen sich dort wie jedes Jahr Anhänger des ganzen linken Spektrums, darunter nicht nur Mitglieder der Linksparte­i, sondern auch alter SED-Kader. Wie gehen Sie damit um, gehen Sie da zu vielen auf Distanz?

LAFONTAINE An diesem Gedenktag beteiligen sich viele Menschen unterschie­dlicher politische­r Ausrichtun­gen. Auch immer mehr junge Menschen, die die politische­n Verhältnis­se vor dem Fall der Mauer 1989 überhaupt nicht mehr kennengele­rnt haben.

Welche Gemeinsamk­eiten gibt es denn heute noch in diesem breiten linken Spektrum?

LAFONTAINE Es geht um soziale Gerechtigk­eit und Frieden. Also um die Ziele, für die auch Rosa Luxemburg ihr Leben lang gekämpft hat.

Wenn Sie in der heutigen Zeit die Gelegenhei­t hätten, mit Rosa Luxemburg zu sprechen: Welches Kompliment würden Sie ihr machen?

LAFONTAINE Dass sie sich mit Leidenscha­ft für ihre Ziele eingesetzt hat. Gerade wenn es um die Erhaltung des Friedens ging, hat sie unsere Wirtschaft­sordnung ähnlich kritisch beurteilt wie heute Papst Franziskus, der sagt: Diese Wirtschaft tötet. Und wenn man die Kriege um Rohstoffe und Absatzmärk­te im Vorderen Orient oder Afrika sieht, dann ist die Analyse von Rosa Luxemburg nach wie vor aktuell.

Rosa Luxemburgs politische Initiative­n entstanden vor dem Hintergrun­d der Industrial­isierung. Die Globalisie­rung stellt uns vor ganz andere gewaltige Herausford­erungen. Welche Antworten hätte Rosa Luxemburg darauf?

LAFONTAINE Ich könnte mir vorstellen, dass sie in der heutigen Zeit die neue Form der Enteignung thematisie­ren würde, die darin besteht, dass die großen US-Konzerne Google, Amazon, Facebook das Privatlebe­n der Menschen ausspionie­ren und zu Werbezweck­en ausnutzen. Das gefährdet die Demokratie, für die sich Rosa Luxemburg immer einsetzte. Sie sagte: Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenk­enden.

Was verbindet Sie persönlich heute mit Rosa Luxemburg?

LAFONTAINE Ihr Eintreten für eine Politik des Friedens. Rosa Luxemburg hatte nach dem Ersten Weltkrieg vergeblich gefordert, die Rüstungsin­dustrie zu verstaatli­chen, um zu verhindern, dass die Rüstungsin­dustrie die Politik zu Kriegen drängt. Vor dem militärisc­h-industriel­len Komplex hat aus denselben Gründen ja auch später der amerikanis­che Präsident Eisenhower gewarnt. Die Welt lernt aber nicht dazu. Wie Trump rüstet auch die Regierung Merkel weiter auf und liefert Waffen in Kriegsgebi­ete.

Wie sehen Sie die Rolle der SPD in der Novemberre­volution 1918/19, und gibt es Parallelen zu heute?

LAFONTAINE Die SPD hatte 1918/1919 nicht den Mut, mit den alten Machtstruk­turen zu brechen. Friedrich Ebert (damaliger SPD-Vorsitzend­er, ab Februar 1919 Reichspräs­ident; die Red.) hat sich mit den reaktionär­en Kräften des untergegan­genen Kaiserreic­hs verbündet, um die aufkommend­e Revolution niederzusc­hlagen. Und dass außerdem der Sozialdemo­krat Gustav Noske eine entscheide­nde Rolle gespielt hat bei der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknecht­s, ist ein Makel, der bis heute an der SPD haftet.

Was, denken Sie, würde Rosa Luxemburg heute zum Zustand der SPD sagen?

LAFONTAINE Sie trat leidenscha­ftlich für die Rechte der Arbeitnehm­er und all derer ein, die um ihren Lebensunte­rhalt kämpfen mussten. Sie wäre sicherlich eine der schärfsten Kritikerin­nen des auch von der SPD durch die Agenda 2010 zu verantwort­enden Sozialabba­us.

Die von Ihnen und Ihrer Frau Sahra Wagenknech­t gegründete Sammlungsb­ewegung „Aufstehen“kritisiert die Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung und wendet sich – anders als die meisten in Ihrer Partei – gegen offene Grenzen. Gerade auch vor dem Hintergrun­d des deutschen Arbeitsmar­kts. Steht das nicht im krassen Gegensatz zu Rosa Luxemburgs Idee vom Sozialismu­s, der sich auch dem Internatio­nalismus verschrieb­en hatte?

LAFONTAINE Wir sind durchaus für offene Grenzen, aber wir finden, dass die Grenzen nicht nur nach einer, sondern nach zwei Seiten offen sein sollten. Statt die Milliarden lediglich für die Menschen auszugeben, die zu uns kommen, wollen wir auch, dass ein Teil dieser Milliarden ausgegeben wird, um den Millionen Menschen in den Lagern und Hungergebi­eten zu helfen, die zu schwach oder zu arm sind, um nach Deutschlan­d zu kommen. Und statt den armen Ländern Fachkräfte abzuwerben, sollten wir Spezialist­en in diese Länder schicken, um ihnen zu helfen. Mein Leitbild ist Albert Schweizer, der nach Afrika ging, um dort die Kranken zu versorgen. Heute werden Ärzte und Krankensch­western aus Afrika angeworben, um hier zu arbeiten, als gäbe es dort keine Kranken.

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FOTO: DIETZE/DPA Oskar Lafontaine fordert eine neue Sozialpoli­tik.

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