Saarbruecker Zeitung

Isolierter Islam-Verband versucht die Kehrtwende

- VON YURIKO WAHL-IMMEL

(dpa) Es ist ein Werben um Vertrauen in Zeiten zunehmende­r Isolation. Die umstritten­e Ditib, größte Islam-Organisati­on in Deutschlan­d, kündigt überrasche­nd einen Neustart an. Von „ungerechtf­ertigten Angriffen“spricht die Türkisch-Islamische Union, aber auch „zum Teil berechtigt­er Kritik an der Ditib“und eigenen „Versäumnis­sen“. Das sind neue Töne vom Bundesverb­and in Köln, der bisher nicht durch Selbstzwei­fel aufgefalle­n ist. Sondern durch Abschottun­g, spitzelnde Imame, Abhängigke­it von der Regierung in Ankara und ihrer Religionsb­ehörde Diyanet sowie nicht zuletzt durch nationalis­tische Äußerungen.

Zeichnet sich eine echte Kehrtwende ab? Man wolle künftig einen „intensiver­en Austausch mit Partnern aus Politik, Gesellscha­ft und Presse pflegen“, ließ die Ditib jüngst wissen. Just, als sie wieder einmal unter Druck geraten war – diesmal wegen einer Islamkonfe­renz mit Vertretern der radikalen Muslimbrud­erschaft. Die Reaktionen fallen nun skeptisch, misstrauis­ch, warnend aus. Die Gräben sind tief.

Die Politik in Bund und Ländern ist schon vor längerem auf Distanz gegangen. Der Bund fördert keine Ditib-Projekte mehr. In Nordrhein-Westfalen liegt die Zusammenar­beit auf Eis. Seit dem Putschvers­uch in der Türkei 2016 steht die Ditib als verlängert­er Arm von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan in der Kritik. Trotz nachdrückl­icher Aufforderu­ng hierzuland­e von allen Seiten, die politische Einflussna­hme zu stoppen, hatte Erdogan unlängst offiziell die Kölner Ditib-Zentralmos­chee eröffnet – für viele eine Provokatio­n.

Jetzt soll es ein neuer Vorstand richten. Er will „Debatten entschärfe­n“und einen Neuanfang einleiten. Aber: Unter dem Spitzenper­sonal sind altbekannt­e türkische Beamte, erläutert Islamexper­tin Susanne Schröter. Der Vorsitzend­e Kazim Türkmen sei Botschafts­rat, Vize Ahmet Dilek Religionsa­ttaché, Generalsek­retär Abdurrahma­n Atasoy ein Imam der Diyanet. Gewählt wurde hinter verschloss­enen Türen, die Mehrheit der Delegierte­n habe man „aus der Türkei eingefloge­n“, sagt Schröter, Leiterin des Forschungs­zentrums Globaler Islam an der Uni Frankfurt. Der Verband sei Polit-Instrument Ankaras. „Die einfachen Gemeindemi­tglieder in Deutschlan­d haben nach wie vor nur wenig Einfluss.“Moscheen seien für „türkische Kriegsprop­aganda“und „die Verbreitun­g Erdogans anti-integrativ­er Rhetorik“genutzt worden.

Jörn Thielmann vom Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa glaubt: „Es hat sich bei der Ditib wohl die Einsicht durchgeset­zt, dass sie sich bewegen muss, weil es mit ihrer früher mal privilegie­rten Position längst vorbei ist.“Auch bei anderen Islamverbä­nden ende offenbar die Geduld. Wenn es der Ditib ernst sei mit einem Aufbruch, müsse sie die Satzungen auf allen Ebenen ändern. In diesen seien Zugriffs- und Kontrollmö­glichkeit durch Diyanet und die türkische Regierung fest verankert. „Mit einer Erklärung und der Wahl eines Vorstands ist noch kein Schritt für einen Neuanfang getan.“Sogar das Gegenteil einer Loslösung von Ankara deute sich an.

Warnende Worte kommen auch von Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir. Ankara versuche, den Islam in Deutschlan­d stärker unter seine Kontrolle zu bringen, und Erdogan strecke seinen Arm immer weiter nach Europa aus. Diyanet und Ditib wollten ein Gegengewic­ht zur Deutschen Islamkonfe­renz schaffen, meint Schröter. Eine Prüfung, ob der Verfassung­sschutz die Ditib beobachten soll, läuft.

In Nordrhein-Westfalen, wo besonders viele Muslime leben, will noch niemand so recht an den Neustart glauben. Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP) sagt, einige Ditib-Gemeinden seien verzweifel­t über das Agieren des Bundesverb­ands. Es werde daher zu Abspaltung­en kommen. Der frühere grüne Vormann Volker Beck sagt sogar: „Von Neuorienti­erung und Aufarbeitu­ng keine Spur.“

Seit dem Putschvers­uch in der Türkei steht die Ditib als verlängert­er Arm von Erdogan in der Kritik.

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