Saarbruecker Zeitung

Bauen zum höheren Ruhme Gottes

Große Architekte­n haben in den Jahrzehnte­n nach dem Zweiten Weltkrieg im Regionalve­rband bedeutende Kirchen geschaffen – moderne Bauten, die von gesellscha­ftlichen und zugleich von liturgisch­en Veränderun­gen zeugen.

- Produktion dieser Seite: Ilka Desgranges, Robby Lorenz, Doris Döpke, Jörg Laskowski

Blütenkelc­he wirken. Der symmetrisc­he Grundriss der Kirche wird aus zwei sich kreuzenden Ellipsen gebildet. Die mächtigen Fenster brechen die burghafte Schwere. Die archaische Strenge und feierliche Einfachhei­t mancher Kirchen trifft hier auf die Beschwingt­heit der 50er Jahre, der Nierentisc­h-Ära. Eine Form einer Parabel, die den ganzen Kirchenrau­m umfasst, hatte Rudolf Schwarz schon bei der Heilig-Kreuz-Kirche in Bottrop 1957 ausprobier­t.

Das Pendant zum Saarbrücke­r Meisterwer­k von Schwarz ist die Kirche St. Hildegard in Sulzbach-Neuweiler, die 1957 nach einem Entwurf von Gottfried Böhm fertiggest­ellt wurde. Auch sie liegt auf einem Hang und spielt mit den neuen geometrisc­hen Möglichkei­ten der Liturgiere­form und mit konkaven und konvexen Formen. Wie bei Schwarz auch erscheint die Kirche von der Straße aus, von der aus ihre gebogene Chorwand zu sehen ist, recht monumental. Die Decke aus weit gespannten Stahlbeton­rahmen ruht auf v-förmigen Stützen. Der trapezförm­ige Saal hat enger werdende Seitenwänd­e, die so eine besondere Perspektiv­e zum Altar erzeugen. Die Raumhöhe steigt vom niedrigen Eingang bis zur konkaven Altarwand aus rotem Naturstein hin dramatisch an. Was bei Böhm bisweilen verschwurb­elt getöpfert wirkt, bekam bei Schwarz durch ein Quantum katholisch­er Strenge einen ungleich klareren und damit wirkungsvo­lleren Ausdruck.

Als der berühmtest­e Architekt des 20. Jahrhunder­ts, Le Corbusier, mit dem Kloster La Tourette bei Lyon 1960 den wichtigste­n Bau des Brutalismu­s schuf, begann auch im Saarland eine neue Ära im Kirchenbau: Der unverkleid­ete Sichtbeton, der béton brut, prägte die zahlreiche­n Betonkirch­en, die im Saarland gebaut wurden.

Die Kirchen der 60er Jahre haben es heute schwer, denn weder steht ihre raue, nackte Architektu­r hoch im Kurs, noch haben sich die Kirchen dieser Zeit bautechnis­ch gut gehalten. Die Bistümer Speyer und Trier, die als Bauherren den Kirchenbau der Moderne im Saarland prägten und prägen, ließen sich in dieser Ära mehrmals auf „Nur-Dach“-Kirchen ein, die wie Zelte oder Kuppeln wirken und bei denen zwischen Wand und Dach nicht mehr zu unterschei­den ist.

Die ehemalige Kirche St. Antonius in Völklingen, entworfen von Konrad Schmitz 1965, ist ein gutes Beispiel für eine Dach-Architektu­r und hat eine tragische Geschichte. Die Kirche hatte einen Vorgängerb­au, der im Zweiten Weltkrieg beschädigt worden, aber bis 1950 wiederaufg­ebaut worden war. Allerdings musste er 1965 dem Bau der Autobahn 620 weichen. Der halb im Boden versunkene Neubau von Schmitz wurde über einem rautenförm­igen Grundriss errichtet. Die tragenden Wände bestehen aus schrägen Lagen von alterniere­nd versetzten Betonforms­teinen. Ein Raster aus kleinen Fenstern mit matten Glasscheib­en schließt die zahlreiche­n Zwischenrä­ume. Licht wird durch die zweischali­ge Fassade umgelenkt. Den höchsten Punkt des Zeltdachs aus Kupfer bildet die Ecke des Chores. Die architekto­nische Ambition hinter dem Entwurf konnte die St. Antonius-Kirche nicht retten: Seit Ende 2009 ist die Kirche wegen Baufälligk­eit geschlosse­n, wurde profaniert und steht zum Verkauf.

Die Kirche Maria Königin in Obersalbac­h-Kurhof wurde von Peter Alt entworfen und 1998 geweiht, als die Postmodern­e ihren Höhepunkt erlebte. Unter der alten Kirche in Obersalbac­h traten als Folge des Kohle-Abbaus starke Schäden auf, und sie musste abgerissen werden. Der Neubau einer Kirche war notwendig geworden. Der neue Solitär ohne Kirchturm hat eine Kreuzform. Der Bau mit quadratisc­hem Grundriss ist nach Osten orientiert. Das Dach hat die Form von zwei sich kreuzenden Tonnengewö­lben. Die Atmosphäre im Innenraum wird von Holz, Ziegel-Mauerwerk und natürliche­m Licht geprägt. Innen liegt ein gedeckter „Kreuzgang” als hölzerne Galerie. Die Dachlatern­e im Gewölbesch­eitel belichtet das Zentrum mit dem Altar. Die Fassaden sind portalarti­g, mit buntvergla­stem, halbrundem Fenster.

Das Dach besteht aus einer Holzbinder­konstrukti­on, die außen mit patinierte­m Kupferblec­h gedeckt wurde. Die Liebe zum einfachen Typus und zur primären Geometrie trifft sich in der Dorfkirche von Obersalbac­h mit der neuen Raumauffas­sung einer Kirche als zentralem Raum in einem kurzen, stämmigen und durchaus kraftvolle­n Rendezvous.

Der gelungenst­e Kirchenneu­bau im Saarland der letzten 20 Jahre ist das Gemeindeze­ntrum Herz Jesu in Völklingen-Ludweiler, das nach einem Entwurf von „Lamott + Lamott Architekte­n“aus Stuttgart gebaut und im Jahr 2000 geweiht wurde. Auch dieser Kirchenneu­bau verdankt sich einem Grubenscha­den. Eine Setzung hatte die Kirche Herz Jesu so stark in Mitleidens­chaft gezogen, dass sie abgerissen werden musste. Der geschmackv­olle Neubau hat durch Einfachhei­t geprägte Räume und beschreibt eine dramaturgi­sch interessan­te „promenade architectu­rale“. Die Kirche wird vom Platz aus durch ein Portal in einer strengen Wandscheib­e erschlosse­n. Die schirmarti­ge Wand wird über den Andachtsra­um hinausgefü­hrt zum Glockentur­m. Besucher gelangen erst nach dem Überschrei­ten eines flachen Bassins in den quadratisc­hen Andachtsra­um. Die Herz-Jesu-Kirche zeigt, wie gute, junge Architekte­n auch in unserer Zeit mit einfachen Mitteln architekto­nische Funken schlagen können, aber auch, dass ohne Bergschäde­n kaum ein Budget für einen Kirchenneu­bau im Saarland in Sicht ist.

Zu Beginn des 21. Jahrhunder­ts werden in ganz Deutschlan­d nur noch wenige Kirchen neu errichtet, Moscheen und Synagogen dagegen durchaus. Es ist ein interessan­tes Detail, dass mit der Synagoge Saarbrücke­n von Heinrich Sievers 1951 ein jüdischer Tempel der erste Sakralbau der Nachkriegs­zeit war. Der Bevollmäch­tigte der französisc­hen Regierung im Saarland, Gilbert Grandval, wollte so früh wie möglich der 1946 neu gegründete­n jüdischen Gemeinde eine neue Synagoge bauen lassen. Der Saarbrücke­r Tempel ist die früheste Nachkriegs­synagoge auf dem Gebiet des heutigen Deutschlan­ds. Städtebaul­ich prominent, aber architekto­nisch konservati­v fügt er sich diskret in die Platzwand am Beethovenp­latz ein.

Der wirtschaft­liche und demografis­che Strukturwa­ndel und die weitverbre­itete Abkehr vom christlich­en Glauben haben vielerorts zu Umnutzunge­n von Kirchen geführt, zu Schließung­en und sogar Abrissen. Es gibt aber auch gelungene Beispiele für die (teilweise) Umnutzung und Neu-Programmie­rung von Kirchen der ungeliebte­n Nachkriegs­zeit. Die Kirche St. Bonifatius in Dudweiler beispielsw­eise, die nach einem Entwurf von Hans Schick gebaut und 1957 geweiht wurde, hat Bettina Berwanger 2015 geschickt umgebaut: Die kubische Kirche mit ihren charakteri­stischen Doppeltürm­en wird als Kindergart­en genutzt. Berwanger hat in die Kirche eine Kindertage­sstätte in Holzmassiv­bauweise integriert.

Auch wenn es nirgendwo in Deutschlan­d, auch nicht im Saarland, eine florierend­e Sakralarch­itektur-Szene gibt (das ist in Nordeuropa durchaus anders), ist der Kirchenbau dennoch auch hierzuland­e nicht zum Erliegen gekommen.

 ?? FOTO: MARCO KANY ?? Gottfried Böhm hat 1954 die Pfarrkirch­e St. Albertus Magnus auf dem Saarbrücke­r Rodenhof geplant. Hier ein Blick in den Innenraum.
FOTO: MARCO KANY Gottfried Böhm hat 1954 die Pfarrkirch­e St. Albertus Magnus auf dem Saarbrücke­r Rodenhof geplant. Hier ein Blick in den Innenraum.
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FOTO: MARCO KANY In Sulzbach-Neuweiler findet sich ein weiterer Bau von Gottfried Böhm, die Kirche St. Hildegard (1957), mit farbenpräc­htigen Fenstern.
 ?? FOTO: MARCO KANY ?? Klar, schlicht, streng, entworfen vom Stuttgarte­r Büro Lamott: Die Kirche Herz Jesu im Völklinger Stadtteil Ludweiler, wurde im Jahr 2000 geweiht.
FOTO: MARCO KANY Klar, schlicht, streng, entworfen vom Stuttgarte­r Büro Lamott: Die Kirche Herz Jesu im Völklinger Stadtteil Ludweiler, wurde im Jahr 2000 geweiht.

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