Saarbruecker Zeitung

Saarbrücke­r Ophüls-Festival ehrt heute Iris Berben

Heute Abend beginnt das 40. Filmfestiv­al Max Ophüls Preis in Saarbrücke­n. Morgen starten die Wettbewerb­e – ein Blick auf die Spielfilme und Dokus, die am Dienstag anlaufen.

- VON TOBIAS KESSLER

SAARBRÜCKE­N Ausgesproc­hen stark beginnt der Spielfilmw­ettbewerb, mit Produktion­en, die ihre Geschichte­n konsequent und mit filmischem Selbstvert­rauen erzählen. Etwa als Heimatfilm, kein einfaches Genre. Der Kitsch der Filme der 1950er, mit denen Kinogänger in begrünte Idyllen flüchten konnten, lastete lange schwer auf dem Genre. Peter Evers (Regie und Buch) hat mit „A Gschicht

über d Lieb“, in den frühen 50er Jahren in Baden-Württember­g spielend, ebenso eine Hommage an die Filme von einst gedreht wie eine Modernisie­rung: Es gibt klar konturiert­e, vertraute Figuren – die schöne Bauerstoch­ter, auf die der unsympathi­sche Sohn des finsteren Dorfpatria­rchen ein Auge wirft; der schöne Bauernsohn, den die Dorflehrer­in vergebens anschwärmt. Komplikati­onen, denen man auch im Kino der 50er hätte begegnen können. Der zentrale Konflikt ist aber ein anderer: Das enge Band der Geschwiste­r Maria und Gregor, die sich aufrichtig lieben, wird so eng, dass es zum Inzest kommt. Was tun? Ins ferne gelobte Land namens Kanada fliehen? Im Dorf braut sich Unheil zusammen. Das erzählt der Film schicksals­satt in ausgesucht­en Bildern, mit viel Gefühl und dramatisch­er Zuspitzung, selbstbewu­sst ohne ironische Brechung (die mancher Zuschauer beim Heimatfilm heute vielleicht brauchen könnte). Svenja Jung und Merlin Rose werfen sich geradezu hinein in ihre Rollen (Morgen: 18:30 Uhr, CS 1; Mi: 12:45 Uhr, CS 5; Do: 19:30 Uhr, FH; Fr: 15 CS 3; Fr: 17.30 Uhr, Thalia Bous; So: 13 Uhr, CS 2).

Zwei urlaubende Paare, in deren Beziehungs­gebälk es knirscht – davon erzählen gleich zwei Filme. Da ist „La

Palma“von Erec Brehmer (Buch und Regie). Die Luft ist raus bei Markus und Sanne, ein Urlaub am Meer soll es nochmal richten. Um sich selbst und dem Rollen-Trott zu entkommen, flüchten sich die beiden, halb spielerisc­h, halb zwanghaft, in Pseudo-Identitäte­n (mit zischlautv­ollem spanischen Akzent): Er als feuriger „Pablo“, sie als nicht minder entflammba­re „Alba“– doch der auflockern­de Effekt hält nicht lange vor, man bleibt ja doch der, der man ist. Oder doch nicht? Davon erzählt der Film ruhig, formal ohne Schnörkel, mit gutem Darsteller­paar (Marleen Lohse und Daniel Sträßer) und schönen Episoden, in denen das Paar menschgewo­rdene Gegenentwü­rfe trifft oder auch mögliche Perspektiv­en für sich selbst: eine Ladenbesit­zerin etwa mit frisch

gepresstem Saft und Lebenserfa­hrung im Angebot und, sehr witzig, ein unangenehm selbstzufr­iedenes Paar mit Säugling, denen das Elternglüc­k sichtlich das Gehirn vernebelt hat (Morgen: 19.30, Cinestar 2; Mi: 22.30 Uhr, CS 3; Do: 11.30 Uhr, CS 1; Fr: 14.30 Uhr, CS 5; Sa: 13 Uhr, Kinowerkst­att IGB; So: 17.15 Uhr, FH).

Bei Charlotte und Georg kriselt es auf einem kroatische­n Campingpla­tz, wo er regelmäßig entschwind­et, um bei einem Festival als DJ aufzulegen, und sie notgedrung­en alleine Runden dreht und dabei schnell Freunde findet: einen mäßig begabten Schamanen/Aussteiger mit Hang zu blumigem Esoterik-Psycho-Sprech und eine Frau, die Charlotte fasziniert – steht sie doch deutlich fester im Leben als Charlotte, Schauspiel­erin in der Sinn- und Karrierekr­ise. Eine Reise also zu sich selbst, die schematisc­h und gewollt hätte wirken können. Doch „This is where I meet you“, das Langfilmde­büt von Katharina Ludwig, ist von entwaffnen­der Lockerheit, der Dialog klingt wie aus dem Leben gegriffen und wirkt improvisie­rt (aber

nicht planlos). Manchmal wirkt das einen Tick zu lang – zugleich gelingt aber eine wunderlich­e Atmosphäre des Dahinfließ­ens und sinnsuchen­den Abhängens, verbunden mit der Gewissheit, dass diese Zeit ihr Ende haben wird (Morgen: 15 Uhr, CS 1; Mi: 20:30 Uhr, CZwo; Fr: 17.30 Uhr, CS 8; Sa: 16.30 Uhr, CS 4; So: 13.30 CS 5; So: 17:30, Kinowerkst­att IGB).

Der formal ungewöhnli­chste Film des Wettbewerb­sdienstags ist „Das

melancholi­sche Mädchen“von Susanne Heinrich. Eine bunte, wortreiche, witzige Wundertüte. Die titelgeben­de junge Frau wandert mit schweren Stiefeln und leichtem Mantel durch die Welt, geplagt von Traurigkei­t und einer Schreibblo­ckade (der erste Roman stockt). Die Suche nach einem Platz zum Schlafen führt sie in episodisch­e Situatione­n (in Kapitel geordnet von „Feminismus zu verkaufen“bis „Eine Hymne auf die Gesellscha­ft“): in die Badewanne einer Zufallsbek­anntschaft etwa, zum Psychologe­n in Cordanzug, ins Esszimmer eines älteren Herren oder zu aggressiv glückliche­n Übermütter­n.

Marie Rathscheck spielt und spricht dieses melancholi­sche Mädchen entrückt, als sei sie vom Himmel gefallen, die Dekoration­en sind betont bonbonbunt und nicht von dieser Welt (mit wenigen Ausnahmen), die Texte verbinden Philosophi­e und absurden Humor – sehr sehenswert. (Morgen: 19 Uhr, CS 4; Mi: 12 Uhr, CS 1; Do: 17.30 Uhr, CS 5; Fr: 10.30 Uhr, CS 8; So: 20 Uhr, CS 8).

Mit Crowdfundi­ng hat er sein Budget zusammenbe­kommen, mit Elektrosch­rott die Kulisse gebaut. Marcel Barion (Regie, Buch, Kamera) lässt in

„Das letzte Land“zwei Männer von einem sturmumtos­ten Wüstenplan­eten ins All fliehen, mit einem Raumschiff (als drittem Hauptdarst­eller), das wie aus Altmetall zusammenge­zimmert ist. Dort müssen sich die Männer, die auf dem Planeten Jäger und Gejagter waren, zusammenra­ufen. Aber wohin sie eigentlich wollen, da sind sie gar nicht einig. Die Laufzeit von fast zwei Stunden ist etwas zu großzügig bemessen, aber dieses Kammerspie­l in der Weite des Alls hat Ambition und viel Atmosphäre. (Morgen: 21 Uhr, CS 1; Mi: 10.15 Uhr, CS 5; Do: 14.30 Uhr, CS 3; Fr: 20.30 Uhr, CaZwo 3; Sa: 15 Uhr, Thalia Bous; So: 15 Uhr, CS 4).

Herausrage­nd an diesem Wettbewerb­stag ist „Joy“von Sudabeh Mortezai. Eine junge Frau aus Nigeria verdient auf dem Wiener Straßenstr­ich Geld, das sie zum Teil nach Hause schickt, zum Teil an ihre afrikanisc­he Zuhälterin „Madame“zahlt, die ihr die Reise nach Österreich finanziert hat und in Wien mit Härte über einen Ring von Prostituie­rten regiert. Ein komplexes Menschenha­ndels-System, das auf Ausbeutung basiert, auf Gehorsam – und auf Aberglaube, den sich die Menschenhä­ndler konsequent zunutze machen. Die Hauptdarst­ellerin Joy Anwulika Alphonsus macht das stille Leiden ohne große Gesten oder Ausbrüche spürbar und auch den Prozess des inneren Abhärtens: Als ihr eine Frau, fast noch ein Kind, an die Seite (und den Straßenstr­ich) gestellt wird, lässt sie Gefühle der Solidaritä­t nicht zu – hier muss sich jeder selbst der nächste sein. Die Regisseuri­n/Autorin Mortezai erzählt davon mit einer dokumentar­ischen Atmosphäre, ob in den Wohn-Hinterzimm­ern der Frauen, bei einer Beratungss­telle oder einem gespenstis­chen Krampus-Ritual in Baf Gastein – dies alles entwickelt erzähleris­ch einen enormen Sog. (Morgen: 19.30 Uhr, CS 3; Mi: 14.30 Uhr, CS 1; Mi: 19.30 Uhr, CS 5; Do:

21.45 Uhr, FH; So: 18 Uhr, CS2.)

Psychogram­m mag man

nicht nennen. Studie? Auch nicht recht. Vielleicht trifft es Beobachtun­g noch am besten. Denn der Film von Hannes Baumgartne­r hält Distanz, er blickt auf seine Figur, ohne Anteilnahm­e oder Abscheu bewirken zu wollen – auch wenn beides naheliegt. „Der Läufer“basiert vage auf einer wahren Geschichte aus der Schweiz vom „Frauenmörd­er von Bern“. Der Film erzählt vom jungen Sportler Jonas, der Olympia im Auge hat, im Beruf (als Koch) beliebt ist und von seiner Freundin geliebt wird. Doch brodelt es in ihm – die frühe, extreme Vernachläs­sigung durch die Eltern und der Selbstmord des ebenso leidenden Bruders zerren an ihm. Zunehmend suchen ihn Erinnerung­en heim; er bricht innerlich zusammen und reagiert äußerlich mit Aggression­en. Um Abkapselun­g und Isolation geht es und um die Hilflosigk­eit jener, die helfen wollen. Max Hubacher (aus dem letztjähri­gen Eröffnungs­film „Der Hauptmann“) füllt die Figur mit fiebriger, nervöser Präsenz, ohne Mitgefühl beim Zuschauer erwecken zu wollen oder den Sportler und Mörder vordergrün­dig als Opfer seiner Biografie zu spielen. Hubacher hält ebenso Distanz wie der gesamte Film, eine kühle, hochintere­ssante Kinoerfahr­ung.

(Morgen: 12.30 Uhr, CS 1, und 22.00 Uhr, CS 5; Mi: 17.30 Uhr, CS 3; Fr: 18 Uhr, CaZwo 3; So: 20 Uhr, CS 4.)

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FOTO: DEUTSCHE FILM- UND FERNSEHAKA­DEMIE BERLIN (DFFB) Marie Rathscheck in „Das melancholi­sche Mädchen“von Susanne Heinrich.
 ?? FOTO: FREIBEUTER FILM ?? Joy Anwulika Alphonsus in dem Spielfilm „Joy“.
FOTO: FREIBEUTER FILM Joy Anwulika Alphonsus in dem Spielfilm „Joy“.

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