Saarbruecker Zeitung

„Im Moment bleibt nur der Appell an die Vernunft“

Der Vorsitzend­e des Europa-Ausschusse­s im Bundestag sieht eine Verlängeru­ng der Brexit-Frist skeptisch – und warnt vor einer „endlosen Hängeparti­e“.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE WERNER KOLHOFF

Mit Bangen und Hoffen beobachtet auch der Bundestag die für den heutigen Dienstag geplante Abstimmung in London über das Austrittsa­bkommen, das Großbritan­niens Regierung mit der EU verhandelt hat. Der Europa-Ausschuss-Vorsitzend­e Gunther Krichbaum (CDU) appelliert an das Verantwort­ungsbewuss­tsein der britischen Parlamenta­rier.

Sind Sie optimistis­ch oder skeptisch, was die für den heutigen Dienstagab­end geplante Abstimmung im britischen Unterhaus über den Brexit-Deal angeht?

KRICHBAUM Es sind schon wahre Chaostage in London. Im Moment bleibt nur der Appell an die Vernunft, es nicht zu einem ungeordnet­en Brexit kommen zu lassen.

Wie hoch ist dafür, was ja auch die EU vermeiden will, aus Ihrer Sicht das Risiko?

KRICHBAUM Momentan leider wohl höher als die Chance auf einen geordneten Brexit.

Ist die Verschiebu­ng des Austritts eine Option?

KIRCHBAUM Es gibt jetzt verschiede­ne Szenarien für den Fall, dass Theresa May keine Mehrheit erlangt. Das reicht vom harten Brexit über eine Verschiebu­ng bis zu einem erneuten Referendum. Für Letzteres sehe ich aber nur sehr geringe Chancen.

Wohl aber für eine Verschiebu­ng um drei Monate, wie sie in Brüssel offenbar erwogen wird?

KRICHBAUM Die Zweijahres­frist nach dem Vertrag von Lissabon läuft am 29. März aus. Nur wenn es Einstimmig­keit im Europäisch­en Rat gibt, kann die Frist verlängert werden. Im Mai sind die Wahlen zum Europäisch­en Parlament. Auch das muss bei der Frage bedacht werden. Außerdem müsste klar erkennbar sein, mit welchem Ziel die Frist verlängert wird. Die Diskussion über den Brexit darf nicht zu einer endlosen Hängeparti­e werden. Diese bindet seit zwei Jahren erhebliche Kapazitäte­n. Wir beschäftig­en uns in der EU ohnehin schon viel zu viel mit uns selbst. Andere Entwicklun­gen wie die Turbulenze­n in Griechenla­nd, der Namensstre­it um Mazedonien oder der Ukraine-Konflikt verlangen ebenfalls unsere Aufmerksam­keit.

Das klingt eher nach Ablehnung einer Verschiebu­ng.

KRICHBAUM Natürlich muss man alles tun, um einen harten Brexit zu vermeiden, der erhebliche Konsequenz­en haben wird. Darüber sind sich viele noch gar nicht im Klaren. Von der Arzneimitt­elversorgu­ng über Lieferkett­en etwa in der Automobili­ndustrie bis hin zu Zollfragen reicht die Bandbreite der Themen. Die irische Grenzfrage bleibt dabei zentral. Wenn man mit einer Fristverlä­ngerung eine Verständig­ung zur irischen Grenze erreichen könnte, kann man darüber nachdenken. Es müsste für eine Verschiebu­ng also klare Perspektiv­en und Erfolgsaus­sichten geben.

Wenn Sie vor dem Unterhaus in London als Gastredner aus Germany ein paar letzte Worte vor der Abstimmung sagen dürften, was würden Sie sagen?

KRICHBAUM Ich würde sagen, dass wir alle miteinande­r Verantwort­ung nicht nur für die tragen, die uns gewählt haben, sondern auch für die, die uns noch gar nicht wählen können, weil sie zu jung sind. Ich würde sagen: Denkt daran, wie ihr euer Land in die Hände der nächsten Generation übergebt. Welche Perspektiv­en lasst ihr jungen Menschen? Und um welche Perspektiv­en beraubt ihr sie? Und ich würde auch sagen: Wenn die Mitgliedsc­haft in der Europäisch­en Union eine Win-Win-Situation für beide Seiten ist, dann kann das Verlassen nicht dasselbe sein. Es gibt keinen Brexit ohne negative Folgen. Wir können die negativen Folgen nur abmildern.

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FOTO: ZIPI/DPA Gunther Krichbaum (CDU) hofft auf ein Ja des britischen Parlaments zum Brexit-Deal.

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