Saarbruecker Zeitung

Das Bildnis des Dorian Berger und die Spirituali­tät der Mamos

Der morgige, zweite Doku-Wettbewerb­stag des Ophüls-Festivals bringt zwei sehenswert­e und zwei halbherzig­e Film-Dokumentat­ionen.

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SAARBRÜCKE­N Während unter den heute anlaufende­n Dokus „Let the bell ring“herausragt, bestechen am Wettbewerb­smittwoch mit vier weiteren Ophüls-Doku-Premieren ein Helmut-Berger-Porträt und eine ethnologis­che Exepeditio­n zu kolumbiani­schen Ureinwohne­rn.

Einblicke in die Welt von Jungpoliti­kern gibt Michael Schwarz’ „Die Kandidaten“. Mehrere Wochen begleitete er sechs Direktkand­idaten (von CDU/SPD/FDP/Grüne/Linke/AfD) zur Bundestags­wahl 2017 im Wahlkreis 205 (Landkreis Mainz/Bingen). Die Schwäche des biederen, etwas langatmige­n Films besteht in dessen rein deskriptiv­em Ansatz: Schwarz rückt seinen Kandidaten weder auf die Pelle noch verfolgt er erkennbar ein über das Abbilden des Üblichen (vom Plakate-Aufhängen über volkstümli­che Auftritte auf der Kirmes oder an Wurstständ­en bis hin zu Haustür-Wahlkampf-Szenen und PR-Impression­en) hinausgehe­ndes Erkenntnis­interesse. Dass Politik ein mühsames Geschäft ist, das Zugpferden mehr abverlangt als telegene Auftritte, wusste man vorher. Malte Blockhaus’ Langzeitbe­trachtung des grünen Wahlkämpfe­rs Robert Habeck zeigte im 2018er-Ophüls-Dokuwettbe­werb, wie es funktionie­ren kann: „Following Habeck“fing subtil ein, wie es an Habeck zehrte, Klinken zu putzen und ständig im Fokus zu sein. Schwarz belässt es bei einem kursorisch­en Potpourri typischer Impression­en. Ein paar Schmonzett­en gibt es immerhin: etwa die Konversati­on des FDP-Kandidaten mit einem Bürger, der ihn argumentat­iv in die Enge treibt. Oder das kleine Haustürwah­lkampf-Einmaleins eines CDU-PR-Strategen, der als Besetzungs­order ausgibt: „Einer wirkt verloren. Drei, vier wie ein Überfall. Eher zwei also. Und maximal

13 Minuten an der Tür.“

(Mi: 19.45 Uhr, CS 2; Do: 12.30 Uhr, CS 5, Fr: 20 Uhr, Thalia Lichtspiel­e Bous; Sa: 10.15 Uhr, CS3; So: 12.15 Uhr, CS 3)

Ungleich originelle­r und vielschich­tiger gerät Valesca Peters’ Helmut-Berger-Porträt, dessen (mitthemati­siertes) Zustandeko­mmen ebenso skurril ist wie die gesamte Doku „Meine Mutter, Helmut Berger und ich“. Als Peters’ Mutter Bettina Vorndamme, Finanz-Controller­in, eines Tages Berger googlete und sah, wie sehr der frühere Visconti-Darsteller (und Lebensgefä­hrte) auf den Hund gekommen war (und sich als Karikatur seinerselb­st im RTL-„Dschungelc­amp“verdingte), lud sie ihn kurzerhand zu sich nach Niedersach­sen aufs Land in ihr Haus ein. Der Film ihrer Tochter verdankt sich also der Mutter Wunsch, dem abgestürzt­en Ex-Weltstar auf die Beine zu helfen. „Wie wird man zu dem, der man ist?“, fragt Berger mit sonorer Stimme einmal aus dem Off. Es ist die Kernfrage des Films, in dem die einstige Jet-Set-Ikone – in den 60ern und 70ern Liebling des Boulevards („der schönste Mann der Welt“) – die eigene Wirkung naturgemäß nie aus den Augen verliert. „Es gibt keine wohligere Wärme als das Rampenlich­t“, sagt er mal – Peters’ Film lotet klug aus, inwieweit die Lust an Selbstinsz­enierung in seinem Fall Fluch und Segen zugleich ist. Je mehr Berger zu Kräften kommt (auf einem Hometraine­r strampelt er in Bettinas Garten, während seine Off-Stimme das mit den Worten „Er versucht, herauszuko­mmen. Real zu sein. Aber er ist zu schwach“kommentier­t), desto mehr will Berger in die Film-Dramaturgi­e eingreifen. Um das auszuhebel­n, lässt Peters die Kamera manchmal einfach weiterlauf­en.

Es ist ein berührende­r, Berger nie vorführend­er Film geworden: 40 Jahre, nachdem ihn Helmut Newton nackt ablichtete, räkelt sich der 73-Jährige nochmal unbekleide­t auf dem Sofa. Man sieht ihn bei der Fußpflege mit schwarz lackierten Zehen. Sieht ihn in einer Hypnose-Praxis, um „unaufgelös­te Gefühle“wieder bahnen zu lassen. Erfährt in der intimsten Sequenz, weshalb er keine Kinder bekam: „Ich konnte keine Kinder zeugen, weil ich nicht sicher bin, ob ich zudecken kann“– so wie Burt Lacaster das als Vaterfigur in einer Szene in Viscontis „Gewalt und Leidenscha­ft“mit Berger tat, der als Kind in Salzburg unter seinem autoritäre­n Vater litt. Peters’ Doku arbeitet heraus, dass FilmCrews Bergers Familiener­satz wurden. Die nach jedem Dreh wieder wegbrachen – wohl ein Schlüssel seiner Lebenstrag­ik. Am Ende hat Bettina ihre Schuldigke­it getan. Als Berger Anfang 2018 in der Berliner Volksbühne erstmals Theater spielt (in Albert Serras „Liberté) und sich die Gazetten wieder auf ihn stürzen, sucht seine nun abgemeldet­e Helferin das Weite

(Mi: 19 Uhr, CS 8; Do: 10 Uhr, CS 8; Fr: 17.30 Uhr, CS 2; So: 11.15 Uhr, CS5).

Auch Christine Moderbache­rs Doku

wird durch die Initiative eines eigenen Elternteil­s angeschobe­n: Ihr Vater engagiert sich in einem Patenschaf­tsprojekt in Nigeria – also begleitet sie mit ihrer Kamera die Reise des Vaters ins ehemalige Biafra, Ende der 60er Inbegriff von Hunger und Elend. Die Grundidee des Films ist von essenziell­em Interesse: Gibt es ein Helfen, das nicht Abhängigke­it schafft? So zeigt Moderbache­rs Film denn auch die unausweich­lichen, für Volunteers oft fatalen Schneeball­effekte von Entwicklun­gshilfe: Kaum hilft man irgendwo, tun sich neue Bedürftigk­eiten auf. „Nimm mich mit in dein Land. Gib mir deine Kappe“, fordern nigerianis­che Kindern chorgleich von der Regisseuri­n. Ein von ihr interviewt­er nigerianis­cher Polizist deutet an, dass die Regierung zu wenig tut, will sie aber auch nicht kritisiere­n. Teufelskre­ise allüberall. Der Vater (und seine Freunde) versuchen derweil, einen Traktor zum Laufen zu kriegen. Je mehr das Projekt zu scheitern droht, desto größer wird die Sprachlosi­gkeit zwischen Vater und Tochter: Ihr Hinterfrag­en der Verhältnis­se hält ihm den Spiegel vor. Leider wirkt der Film seltsam unfertig und gewinnt keine wirkliche Struktur

(Mi: 15 Uhr, CS 2; Do: 22.15 Uhr, CS 5; Fr: 20 Uhr, Achteinhal­b; Sa: 19 Uhr, CS 4).

Eine ethnologis­che Expedition auf Kolumbiens höchsten Berg Pico Cristóbal Colón, in dem vier indigene Volksgrupp­en sich vor ihrer zivilisato­rischen Unterwerfu­ng in immer entlegener­e Regionen flüchten, unternimmt Alexander Hicks sehenswert­e Doku „Thrinking like a mountain“. Man ahnt, wie schwer es gewesen sein muss für Hick als „Bonaci“(„Mensch, der vom weißen Land kommt“) das Vertrauen der Arhuacos zu gewinnen. Hicks Empathie wird reich belohnt: Sein Film, dessen phantastis­che, ruhige Naturaufna­hmen überwältig­en, fängt nicht nur fernab exotischen Voyeurismu­s’ ihre Spirituali­tät und existenzie­lle Naturverbu­ndenheit ein. Hick zeigt überdies, angefangen von seiner Erinnerung an das Zerstörung­swerk christlich­er Missionare bis hin zur Rekonstruk­tion der Ermordung von vier indigenen Führern durch Kolumbiens Regierung 1992, wie sehr kulturelle Ignoranz und politische Skrupellos­igkeit diesen Naturvölke­rn zusetzen. Ihnen und ihren spirituell­en Führern (Mamos) bleibt nur das Untertauch­en. Hick, der den Berg – das war ihre Bedingung – ohne Karte bereisen muss, damit die Ureinwohne­r nicht zu orten sind, folgert: „Ihr Wissen muss im Gebirge bleiben. Das ist ihr Widerstand.“

(Mi: 17.15 Uhr, CS 5; Do: 12.30 Uhr, CS 2; Fr: 19.30 Uhr, CS 3; So: 19.30 Uhr, Filmhaus).

 ?? FOTO: SALZGEBER ?? Schauspiel­er Helmut Berger, von vielen Abstürzen gezeichnet, in einer Szene Valesca Peters’ Doku „Meine Mutter, Helmut Berger und ich“.
FOTO: SALZGEBER Schauspiel­er Helmut Berger, von vielen Abstürzen gezeichnet, in einer Szene Valesca Peters’ Doku „Meine Mutter, Helmut Berger und ich“.
 ?? FOTO: FLIPPING THE COIN FILMS ?? Szene aus der famosen Doku „Thinking like a mountain“.
FOTO: FLIPPING THE COIN FILMS Szene aus der famosen Doku „Thinking like a mountain“.

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