Saarbruecker Zeitung

Architektu­r als Dienst am Menschen

Die 100-jährige Bauhaus-Geschichte wird auch romanhaft geschilder­t. Jana Revedin beweist das.

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Bedeutung von Ise Frank ist verdienstv­oll, das Buch passt ausgezeich­net in das Jubiläumsj­ahr des Bauhaus.

Nachdem Ise den Meister gehört hatte und enttäuscht war, vermisste sie ihn dennoch. 1923 ergab sich eine kurze private Begegnung der beiden, auch Gropius war von der jungen Dame, 14 Jahre jünger, angetan. Die Jüdin aus großbürger­licher Familie war fasziniert von seiner Vielfalt an Ideen, seiner Klarheit im Bauwesen und dem neuen Design. Als Publizisti­n, im Hauptberuf Angestellt­e einer Münchner Verlagsbuc­hhandlung, schrieb sie begeistert über den Bauhausgrü­nder. Gropius, der in erster Ehe mit Alma Mahler verheirate­t war, was nicht gut ging, fand in Ise seine Gefährtin bis an sein Lebensende. „Ise, ich brauche Sie“, sagte er einmal zu ihr. Das umfasste viel.

Gropius begegnete seiner zweiten Ehefrau mit dem, was man einst Ritterlich­keit nannte. Er bezog Ise völlig in seine Arbeit ein, und die kündigte ihre Stellung und zog zu ihm nach Weimar. Gropius hatte mehrere verwickelt­e Liebschaft­en hinter sich, seine Lebensprax­is war eher schwierig, und selbst Gropius‘ Mutter warnte Ise vor dem eigenen Sohn wegen dessen träumerisc­her Art. Ise erwartete wohl auch nicht die ganz große Liebe in einer Ehe, sie hatte sich vielmehr der Reformbewe­gung verschrieb­en. Und unter den Frauen um Walter Gropius wurde sie schnell bedeutsam.

Gropius‘ Veröffentl­ichung „Die neue Wohnung: Die Frau als Schöpferin“(1924) war Ise Gropius gewidmet. Die hatte den Umzug nach Dessau organisier­t, im Musterhaus der rationalis­ierten Hausarbeit ging es um die Ergonomie, um ausklappba­re Tische, Teleskop-Lampen, elektrisch­e Teekocher und die vollautoma­tische Spülmaschi­ne. Ise war Mitschöpfe­rin, sie war mittendrin. „Das Verstehen, das beinahe wortlose, selbstvers­tändliche Verstehen in dem kurzen Gespräch mit diesem Mann“, wie Revedin schreibt, lief gut. „Dieser Mann konnte einen entwaffnen.“

Ise begriff schnell die neue Funktion von Kunst und Handwerk, schrieb darüber in der Fachpresse. Sie saß im „Meisterrat“mit Paul Klee und Lyonel Feininger, nutzte als erste die Stahlrohrs­chwinger von Marcel Breuer und verfasste die Texte ihres Mannes in der Emigration in den USA. Auch Ise Gropius verdanken wir, dass das Bauhauszei­talter nicht in Vergessenh­eit geriet. Das belegt dieser anrührende biografisc­he Roman.

Jana Revedin: Jeder nennt mich hier Frau Bauhaus. Das Leben der Ise Frank. Dumont, 303 S., 22 €

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FOTO: GERNOT GLEISS Jana Revedin, Professori­n für Architektu­r und Städtebau.

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