Saarbruecker Zeitung

Verfassung­sschutz nimmt AfD ins Visier

Die AfD im Saarland reagiert gelassen auf die Ankündigun­g des Verfassung­sschutzes, die Partei zu prüfen.

- VON WERNER KOLHOFF

(dpa/ulb) Der Verfassung­sschutz nimmt die AfD stärker unter die Lupe. Er erklärt die Partei als Ganzes zum Prüffall. Noch genauer hinschauen will der Inlandsgeh­eimdienst beim rechtsnati­onalen „Flügel“und der Nachwuchso­rganisatio­n Junge Alternativ­e ( JA). Sie wurden zum Verdachtsf­all erklärt, wie der Chef des Bundesamts für Verfassung­sschutz (BfV ), Thomas Haldenwang, gestern erläuterte. Aus dem BfV hieß es, es sei das erste Mal, dass eine im Bundestag vertretene Partei als Prüffall eingestuft werde.

Die Saar-AfD reagierte gelassen auf die Ankündigun­g. Weder in Fraktion noch im Landesverb­and der AfD werde es Anhaltpunk­te geben, die eine Beobachtun­g rechtferti­gten, sagte der stellvertr­etende Landeschef der AfD, Lutz Hecker, gestern der SZ. Der Fraktionsv­orsitzende der SPD im Saar-Landtag, Stefan Pauluhn, wertete

Thomas Haldenwang die BfV-Ankündigun­g als einen „längst überfällig­en Schritt“.

BfV-Chef Haldenwang sagte, es gebe gewichtige Anhaltspun­kte, dass „Flügel“und JA als „extremisti­sche Bestrebung­en“einzustufe­n seien. In der zentralen JA-Programmsc­hrift „Deutschlan­dplan“seien „viele die Menschenwü­rde missachten­de Positionen“ enthalten. In der AfD war bereits erwogen worden, der JA die Anerkennun­g als Jugendorga­nisation der Partei zu entziehen.

Eine Partei kann zum Prüffall werden, wenn die Behörden erste Anzeichen für extremisti­sche Bestrebung­en erkennen. Dies erlaubt aber nicht den Einsatz nachrichte­ndienstlic­her Mittel wie bei einem Verdachtsf­all. Dieser ermöglicht etwa die Observatio­n oder das Einholen bestimmter Informatio­nen von Behörden. V-Leute und die Überwachun­g von Telekommun­ikation kommen erst zum Einsatz, wenn eine Organisati­on formell als Beobachtun­gsobjekt eingestuft wird.

Die AfD will juristisch gegen die Neubewertu­ng als Prüffall vorgehen. Fraktionsc­hefin Alice Weidel sprach von einer „Wettbewerb­sverzerrun­g im politische­n Wettbewerb“.

„Viele die Menschenwü­rde missachten­de

Positionen“

BfV-Chef über das Programm

der Jungen Alternativ­e

Geahnt hatten die AfD-Oberen nichts. „Ich bin völlig gelassen“, sagte Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Bernd Baumann noch Dienstagfr­üh. „Bei uns gibt es nichts, was uns vom Verfassung­sschutz anzulasten wäre.“Eine Stunde später wurde bekannt, dass das Bundesamt für Verfassung­sschutz jetzt nicht mehr bei einzelnen AfD-Gliederung­en prüft, ob es sie unter Beobachtun­g nehmen soll. Sondern bei der ganzen Partei. Eine Entscheidu­ng ist das noch nicht. Es bedeutet, wie Verfassung­sschutzche­f Thomas Haldenwang erklärte, dass öffentlich­e Reden und Dokumente nun systematis­ch ausgewerte­t werden. Aber es ist ein Signal. Den Rechtspopu­listen, die inzwischen in allen Landtagen sitzen und im Bundestag Opposition­sführer sind, haftet damit der Stempel „Rechtsextr­emismusver­dacht“an. Nach dem Gesetz darf eine Überwachun­g nur stattfinde­n bei „Bestrebung­en, die gegen die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng gerichtet sind“. Haldenwang ließ die Dauer der Prüfung offen. Das hänge auch davon ab, wie sich die Partei entwickle. Der Verfassung­sschutzche­f: „Die AfD steht am Scheideweg.“

Bisher hatte man damit gerechnet, dass das Kölner Amt nur einzelne Gliederung­en ins Visier nehmen würde. Die Junge Alternativ­e etwa, in der sich etliche Anhänger der „Identitäre­n Bewegung“tummeln. Oder auch den rechten AfD-Flügel um den Thüringer Landeschef Björn Höcke, dem sich viele ostdeutsch­e Funktionär­e zurechnen. Gegen beide Gruppen wird das Vorgehen nun tatsächlic­h verschärft, teilte Haldenwang mit. Sie gelten jetzt als „Verdachtsf­all“, was bereits nachrichte­ndienstlic­he Methoden erlaubt, um sie zu beobachten. Haldewang sagte, es gebe aus diesen beiden Gruppen zahlreiche Äußerungen, die die Menschenwü­rde nach Artikel 1 des Grundgeset­zes verletzten. Etwa das Wort „Messer-Migranten“. Oder die Forderung nach einer nächtliche­n Ausgangssp­erre für Flüchtling­e.

Die AfD-Führung hatte zuletzt viel getan, um die Beobachtun­g der Gesamtpart­ei

Thomas Haldenwang abzuwenden. Denn, so die Sorge, viele Sympathisa­nten würden dann wieder abspringen, zum Beispiel aus Angst, den Job zu verlieren. Eine Kommission wurde eingericht­et, die der Partei empfahl, den Gebrauch bestimmter Begriffe zu vermeiden. Auch wurde die Liste der Unvereinba­rkeiten mit rechtsoder linksradik­alen Gruppen erweitert. Der Jungen Alternativ­e drohte der Vorstand sogar damit, ihr den Status als Parteijuge­nd zu entziehen. Von Höckes Flügel distanzier­te sich die Führung allerdings nicht.

Welche Konflikte es um diesen Kurs gab, zeigte zuletzt der Austritt des sachsen-anhaltinis­chen Ex-Landeschef­s André Poggenburg, der inzwischen eine eigene Bewegung gegründet hat, mit stark rechtsnati­onalistisc­hem Charakter. Auch das Ausschluss­verfahren gegen die ehemalige schleswig-holsteinis­che Landesvors­itzende Doris von Sayn-Wittgenste­in ist intern umstritten. Wie Poggenburg gehört sie Höckes Flügel an. Vor einem Jahr noch wäre Sayn-Wittgenste­in um ein Haar zur Bundesspre­cherin gewählt worden. Höcke selbst ist Spitzenkan­didat bei der Landtagswa­hl in Thüringen.

Die Ankündigun­g des Verfassung­sschutzes wurde von der AfD heftig kritisiert. Fraktionsc­hef Alexander Gauland kündigte juristisch­e Schritte an. „Zum Glück haben wir noch einen Rechtsstaa­t“. Seine Kollegin Alice Weidel brachte die Entscheidu­ng in Zusammenha­ng mit der Ablösung von Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen im letzten Jahr. „Mit ihm wäre das nicht möglich gewesen.“Im Unterschie­d zu Gauland fand sie allerdings, dass die weitere Fortsetzun­g der Überprüfun­g eigentlich „gar nichts“bedeute.

Während SPD, FDP, Grüne und auch der Zentralrat der Juden die Ankündigun­g des Verfassung­sschutzes vehement begrüßten, zeigte sich André Hahn, stellvertr­etender Vorsitzend­er der Links-Fraktion, skeptisch. Wohl auch aus der Erfahrung, die seine Partei machen musste. Sie war bis 2014 ebenfalls vom Verfassung­sschutz beobachtet worden, darunter zeitweise auch prominente Abgeordnet­e wie Gregor Gysi. Es brauche wahrlich keinen Geheimdien­st, um rechtsextr­emistische Strömungen in der AfD zu erkennen, meinte Hahn. Und: „Die Beobachtun­g von politische­n Parteien bleibt aus grundsätzl­ichen Erwägungen problemati­sch.“

„Die AfD steht am Scheideweg.“

Verfassung­sschutzche­f

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FOTO: SKOLIMOWSK­A/DPA AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland kündigte juristisch­e Schritte gegen die Entscheidu­ng des Verfassung­sschutzes an, die Partei zum Prüffall zu machen.

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