Saarbruecker Zeitung

Das Unwort des Jahres geht an die CSU

Mit „Anti-AbschiebeI­ndustrie“hat es Politiker Alexander Dobrindt auf Platz eins einer SprachJury geschafft. Als Beispiel eines Rechts-Trends.

- VON THOMAS MAIER UND MARTINA HERZOG

FRANKFURT/DARMSTADT (dpa) Rhetorisch­e Zündelei? Nicht doch. Alexander Dobrindt nimmt die fragwürdig­e Ehrung seiner These einer „Anti-Abschiebe-Industrie“als Unwort des Jahres gelassen. Es sei um eine „Debatte in der Sache“gegangen, und „Debatten brauchten auch zugespitzt­e Begriffe“, erklärt der Chef der CSU-Abgeordnet­en im Bundestag gestern in Berlin.

Das sieht die Jury, die in Darmstadt jährlich das Unwort auswählt, anders. Dass ein wichtiger Politiker wie Dobrindt die Formulieru­ng im Mai prominent platziert hat, zeige, wie sich „der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat“, heißt es in der Begründung der Sprachwiss­enschaftle­r. „Der Ausdruck unterstell­t denjenigen, die abgelehnte Asylbewerb­er rechtlich unterstütz­en und Abschiebun­gen auf dem Rechtsweg prüfen, die Absicht, auch kriminell gewordene Flüchtling­e schützen und damit in großem Maßstab Geld verdienen zu wollen. Der Ausdruck Industrie suggeriert zudem, es würden dadurch überhaupt erst Asylberech­tigte ‚produziert’.“

Überhaupt hat die Flüchtling­spolitik bei der diesjährig­en Kür wieder eine wichtige Rolle gespielt: Viele der 902 Einsendung­en, die mehr als 500 Ausdrücke nannten, bezogen sich darauf – gleichzeit­ig gab es so wenige Einsendung­en wie sonst nie in den vergangene­n 25 Jahren. Mehr als 120 Mal wurde der Begriff „Asyltouris­mus“vorgeschla­gen, auch aus dem CSU-Jargon. Dem Unwort-Gremium unter Führung der Linguistik-Professori­n Nina Janich geht es bei der Wahl um „verschleie­rnde“Wortschöpf­ungen, die als Diskrimini­erung einzelner gesellscha­ftlicher Gruppen gegen die Menschenre­chte oder die Demokratie verstoßen.

Anfang Mai sagte Dobrindt der „Bild am Sonntag“: „Es ist nicht akzeptabel, dass durch eine aggressive Anti-Abschiebe-Industrie bewusst die Bemühungen des Rechtsstaa­tes sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlich­keit provoziert wird.“Das beziehe sich auf Anwälte und Hilfsorgan­isationen, die sich auf Widersprüc­he gegen abgelehnte Asylanträg­e spezialisi­ert haben, hieß es erläuternd im Artikel. Wer mit Klagen versuche, die Abschiebun­g von Kriminelle­n zu verhindern, arbeite nicht für das Recht auf Asyl – sondern gegen den gesellscha­ftlichen Frieden so Dobrindt.

Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialfors­chung bescheinig­t der Darmstädte­r Jury eine gute Wahl. Im Begriff schwinge unterschwe­llig mit, die Unterstütz­er des Asylrechts seien „Volksverrä­ter“, sagt Sprecher Jobst Paul. Dennoch hält das Institut die reine Kür von „Unwörtern“für problemati­sch, weil sich daraus oft der Zusammenha­ng nicht erschließe. Paul plädiert für „Aussagen des Jahres“und dafür, auch verschleie­rnde Aussagen aus der Arbeitswel­t zu analysiere­n.

Grundsätzl­iches Lob für das Unwort „Anti-Abschiebe-Industrie“kommt auch vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. „Der Begriff diskrediti­ert auch die Justiz und Deutschlan­d an sich, weil wir ein Rechtsstaa­t sind“, sagt Sprecherin Annette Trabold. In der politische­n Debatte habe der Ausdruck aber keine Rolle gespielt. „Er bekommt durch die Wahl (als Unwort) mehr Popularitä­t, als er hatte.“

Das übersieht, welche Entrüstung Dobrindt damals entgegensc­hlug. Der Deutsche Anwaltvere­in warf ihm vor, das gesellscha­ftliche Klima zu „vergiften“. Noch mehr als zwei Monate später kam Verfassung­sgerichtsp­räsident Andreas Voßkuhle in einem Interview mit der „Süddeutsch­en Zeitung“darauf zu sprechen: „Wer rechtsstaa­tliche Garantien in Anspruch nimmt, muss sich dafür nicht beschimpfe­n lassen.“

Doch in der Tat trat Dobrindts Äußerung im Polit-Getöse des Sommers 2018 in den Hintergrun­d. Auch andere CSU-Politiker gingen derweil mit markigen Formulieru­ngen zur Flüchtling­spolitik auf Stimmenfan­g vor der bayerische­n Landtagswa­hl im Oktober: Von „Asyltouris­mus“und „Saboteuren“des Rechtsstaa­ts war die Rede. Heute klingt es aus der CSU zahmer. Auch weil sie bei der Wahl kräftig abstürzte. Bei den Wählern kamen die Sprüche offenbar nicht so gut an wie erwartet.

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