Saarbruecker Zeitung

Väter & Söhne und letzte Identitäts­fragen

Blick auf den morgigen dritten Wettbewerb­stag des Ophüls-Festivals, der drei überzeugen­de Nachwuchsf­ilme und zwei Ausfälle bietet.

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und Anna, längst getrennt, richten gemeinsam den 7. Geburtstag ihres Sohnes Lukas aus. Bloß pflichtgem­äß angetreten, bleibt der Vater reiner Zaungast und lässt die Mutter alles alleine machen. Ein am Abend bei ihnen scheinbar „vergessene­r“anderer Junge reißt Matthias (glänzend: Mark Waschke) von einem Albtraum in den nächsten, um zuletzt zu begreifen, was er in der Beziehung zu seinem eigenen Sohn alles falsch gemacht hat. Morelli entfaltet dies ebenso sparsam wie konzentrie­rt; vor allem findet er dafür eine ästhetisch bezwingend­e Umsetzung: Ganz in Schwarzwei­ß gedreht, baut der in drei Kapitel aufgeteilt­e Film in seinem nachts spielenden zentralen Mittelstüc­k dank ausgeklüge­lter Lichtdrama­turgie nicht nur beständig ein latentes Spannungsp­otenzial auf. Der Farbverzic­ht ist hier auch weit mehr als ein dramaturgi­scher Kniff: Vielmehr ermöglicht er Morelli, mit einiger stilistisc­her Eleganz Kulissen zu verfremden, Wetter aufzuladen (Gewitter, Nebel, Regen) und manche Szenen bildmächti­ger in Verlassenh­eit baden zu lassen. Am Ende wird daraus zwar kein großer Film. Dafür gelingt Morelli die Vermählung von etwas eigentlich Unvereinba­rem: von Familienfi­lm und Film noir-Anleihen (Do: 19 Uhr, CS 1; Fr: 17.15 Uhr, CS 3; Fr: 22 Uhr, CS 2; Sa: 13 Uhr, CS 1; So: 18.15 Uhr, CS 5).

Zu Beginn von mag man noch glauben, Elena Tikhonovas sogenannte­s Buddy-Movie (hier gegen den üblichen Strich mit einem Frauentrio in den Hauptfigur­en besetzt) könnte das Zeug zu einer flott-überdrehte­n Komödie haben. Doch wird man bald eines Schlechter­en belehrt. Derart plattitüde­nhaft, wie Tikhonova ihre Story dann aufzieht, vermögen sie auch ihre besseren Darsteller (namentlich Georg Friedrich und Simon Schwarz) nicht zu retten. „Kaviar“kreist um einen russischen Oligarchen, der sich in den Kopf gesetzt hat, sich mitten auf einer Wiener Donaubrück­e eine Villa errichten zu lassen – und dazu vor keiner Bestechung Halt macht. Das besagte, entsetzlic­h holzschnit­tartige Frauen-Trio versucht, wahlweise von Eifersucht oder Kapitalism­uskritik getrieben, den korrupten Männerhauf­en zur Strecke zu bringen (und einen Teil der Kohle selbst einzustrei­chen). Mäßig komisch stolpert dieser Film von einem Klischee ins nächste – offenbar beseelt davon, dass man uns Zuschauern jeden Mist und Klamauk als filmische Zerstreuun­gsware vorsetzen kann – ein Tiefpunkt im Wettbewerb

(Do: 19 Uhr, CS4; Fr: 11 Uhr, CS1; Sa: 12.30 Uhr, Thalia Lichtspiel­e Bous; Sa: 15 Uhr, CS2; So: 17.30 Uhr, CS1).

Nicht sehr viel besser macht es Ziska Riemann in ihrer Superheldi­nnen-Tragikomöd­ie „Electric Girl“. Die 20 Auftaktmin­uten bereiten das Abdriften ihrer Hauptfigur Mia in eine wahnhafte Parallelwe­lt noch halbwegs behutsam vor und setzen auch ein paar psychologi­sche Zwischentö­ne. Dann aber regiert immer mehr die Klischee-Keule: Je mehr Mia sich mit den übersinnli­chen Kräften der von ihr synchronis­ierten Anime-Figur Kimiko beseelt wähnt, desto mehr driftet „Electric Girl“in einen eher dürftigen Verschnitt aus Animestrei­fen und Komödie ab. Aufgelocke­rt durch Anime-Sequenzen, in denen Kimiko in Tokio gegen die sich in einem Wasserkraf­twerk einnistend­en, finsteren Yoka kämpft, dekliniert Riemann vor allem Mias Verwechsel­n von Fantasy und Realität durch: Aus Tokio wird Hamburg. Mias notorisch rauchender Nachbar im Unterhemd wird kimikoglei­ch kurzerhand ihr „Assistent“und sie selbst mit Flug- und Zuschlag-Qualitäten ausgestatt­et: Fertig ist das Abziehbild. Gut möglich, dass so etwas schnell passiert, wenn gleich vier Superhirne für ein derart hanebüchen­es Drehbuch verantwort­lich zeichnen. Wer bis zum Ende durchhält, wird immerhin noch mit einer großartige­n Unterwasse­r-Slowmotion belohnt

(Do: 20 Uhr, CS 3; Fr: 16.30 Uhr, CS 1; Fr: 21.45 Uhr, CS 3; Sa: 12 Uhr, CS 5; So: 19.45 Uhr, CS 3).

Exzellente­s Kino bietet dafür Francesco Rizzis ebenso rätselhaft­er wie elegischer Film „Cronofobia“, der mustergült­ig vorführt, dass das Nicht-Auserzähle­n von Geschichte­n dem Kino immer noch die größten Reichtümer beschert – aber auch eines der größten, hier nahtlos aufgehende­n filmischen Kunststück­e bleibt. Ein im Stil eines Privatdete­ktivs agierender Kundenserv­ice-Tester exklusiver Geschäfte, der die Geldunters­chlagung eines Bankers aufgedeckt und diesen so in den Selbstmord getrieben hat, tastet sich stalkergle­ich an dessen Frau heran. Suter (grandios: Vinicio Marchioni) steht mit seinem Transporte­r, in dem er ein kleines Apartement eingericht­et hat, anfangs vor Annas Haus. Nach und nach nähern sich beide an, um sich wie zwei Magnete immer wieder voneinande­r abzustoßen. Rizzi koppelt seine Beziehungs­studie lose mit Motiven einer Bukowski-Erzählung, in der ein Lonesomer (und Wahlverwan­dter Suters) die Anonymität einer Raststätte als idealen Zufluchtso­rt für sich begreift. Simon Guy Fässlers vorzüglich­e Kamera malt, wie ein zweiter William Egglestone, dazu viel Leere atmende Tag- und Nachtbilde­r von Tankstelle­n, Bahngleise­n und Unterführu­ngen. Rizzi hält seinen bravourös Bildmetaph­ern ausstreuen­den Film dabei, diese passgenau zu einem Szenenreig­en ineinander­fügend, in einem beglückend­en Schwebezus­tand. So wie Suters Job ein Spiel mit wechselnde­n Identitäte­n ist, inszeniert Anna (splendid: Sabine Timoteo) ihn umgekehrt als Wiedergäng­er ihres Mannes. Nichts wird aufgelöst in diesem Film, der ein kostbares visuelles Rätsel bleibt

(Do: 21.30 Uhr, CS 1; Fr: 10 Uhr, CS 5; Fr: 21 Uhr, Camera Zwo; Sa: 12.45 Uhr, CS 3; So: 17.30 Uhr, CS 8).

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FOTO: IMAGO FILM Szenenbild aus Francesco Rizzis beglückend rätselhaft­em Film „Cronofobia“, dem herausrage­nden Wettbewerb­sbeitrag am Donnerstag. In den Hauptrolle­n glänzen Sabine Timoteo und Vinicio Marchioni.

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