Saarbruecker Zeitung

Jedem Künstler seine Jubiläumss­chau: Ermüdend oder sinnvoll?

Der Kulturbetr­ieb setzt bei seinen Angeboten zunehmend auf große Namen und Jubiläen, um Besucher in die Museen und zu Veranstalt­ungen zu locken.

- Produktion dieser Seite: Esther Brenner Oliver Schwambach

Jahrestage sind ein bewährter Aufhänger. „Runde Zahlen verschaffe­n uns rasch Orientieru­ng, geschichtl­ich und kulturell“, erläutert der Bildungsfo­rscher Thomas Kliche. „Sie geben uns eine gut greifbare Größenordn­ung für zeitliche Entfernung.“Wer sich dafür empfänglic­h zeige, könne sich außerdem zu den Gebildeten rechnen „oder zu den Sachkundig­en, den Eingeweiht­en“. Er oder sie gehört dazu. Im Kulturbetr­ieb weiß man zudem: Auch die Medien steigen bei Jubiläen ein und bringen ausführlic­he Berichte. So wird zusätzlich­e Aufmerksam­keit erzeugt. Sehr gut war dies im vergangene­n Jahr beim Gedenken an den Ausbruch des Dreißigjäh­rigen Krieges 1618 zu beobachten: Bücher, Fernsehdok­umentation­en und Ausstellun­gen verstärkte­n sich gegenseiti­g und fachten das Interesse an.

Was sich die Kulturbetr­iebe erhoffen, ist ein Anblick wie er sich 2012 vor der Neuen Nationalga­lerie in Berlin bot: Da standen die Besucher einer großen Werkschau zum 80. Geburtstag von Gerhard Richter Schlange. Aber macht das Ganze darüber hinaus irgendeine­n Sinn? „Ich glaube schon, dass die Idee, an einen runden Geburtstag zu erinnern und damit das kollektive kulturelle Gedächtnis zu aktivieren, einen gewissen Sinn macht“, sagt Stephan Berg, Intendant des Kunstmuseu­ms Bonn. „Das Problem ist sicher, dass eine Ermüdung einsetzen kann.“Als Paradebeis­piel dafür gilt in der Branche das Lutherjahr 2017, das schon im Jahr davor durch zahlreiche Veranstalt­ungen und Bücher angekündig­t wurde. Im eigentlich­en Jubiläumsj­ahr war dann eine gewisse Übersättig­ung unverkennb­ar. Wäre es sinnvoll, sich angesichts der Fülle von Jubilaren jedes Jahr auf den wichtigste­n zu konzentrie­ren? Wer das dann jeweils sein soll, ist allerdings schwer zu entscheide­n. „Leonardo gegen Rembrandt – wer ist der Größte?“, fragt „Guardian“-Kolumnist Jonathan Jones. Er kommt zu dem Schluss, dass Leonardo deshalb der Größere ist, weil er nicht nur als Maler ein Riese war, sondern ebenso als Wissenscha­ftler und Erfinder.

Für Stephan Berg ist entscheide­nd, dass ein Jubiläum nicht nur zum Anlass genommen wird, das Leben eines Genies runterzube­ten. Vielmehr müsse deutlich werden, worin die Relevanz für die heute Lebenden bestehe. Und dieser aktuelle Bezug dürfe ruhig auch mal kritisch ausfallen. „Was zum Beispiel das Thema Bauhaus anbelangt: Wir wohnen heute am liebsten in Gründerzei­thäusern des späten 19. Jahrhunder­ts.“Die sind mit ihrem Stuck und ihren Giebelfigu­ren so ziemlich das Gegenteil von Bauhaus. „Die Bauhaus-Idee ist an der Stelle eigentlich ein elitäres Konzept geblieben.“

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