Saarbruecker Zeitung

Mit Kosenamen malträtier­en

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Zwei Verliebte sitzen zusammenge­kuschelt mittendrin im Linienbus. So eng umschlunge­n, dass für das traute Paar eigentlich ein Sitz vollkommen ausreichen­d ist. Sie säuselt ihm etwas ins Ohr und kichert sogleich vor sich hin. Er lächelt augenblick­lich. Schaut ihr tief in die rehbraunen Augen. „Ach Lämmlein“, säuselt er zurück und schmachtet sie an. Leidenscha­ftlich erwidert sie: „Mein Würmchen“. Es vergeht keine Minute, da legt er mit umgarnende­r Stimme nach: „Ich liebe Dich, mein Hasilein.“„Ich Dich doch auch, mein Lämmlein“, folgt aus ihrem Munde. Sie nimmt dabei eine Körperhalt­ung an, als würde sie jede Sekunde dahinschme­lzen.

Ich sitze direkt in der Reihe hinter den beiden. Und werde so unfreiwill­ig Zeuge dieser Romanze. Dieses Ping-Pong-Spiels der Liebkosung­en. Es zieht sich hin. Unerträgli­che anderthalb Stunden mache ich das mit. Eine ältere Dame mit lila-grauem Dutt bekommt ebenfalls davon Wind. Und flüstert ihrer Nachbarin gleichen Alters in farbenfroh­em Beige zwischenze­itlich zu: „Wie niedlich.“

Fortsetzun­g des Groschenro­mans in Hörbuchfor­mat. Er: „Hast Du auch alles für heute Abend bekommen, Mäuschen?“Sie: „Habe ich. Wann kommst Du heute von der Arbeit, Bärchen?“Er: „So gegen sieben, Rehlein.“Das Liebespaar malträtier­t ihr Umfeld die gesamte Fahrt über, indem es nie geahnte Kosenamen aneinander­reiht.

Allmählich komme ich mir wie in einem Streichelz­oo aus Brehms Tierleben vor. Bis dahin war mir nicht bewusst, wie viel schmalzige­s Getier ein über beide Ohren ineinander verschosse­nes Paar so auf Lager hat. Ich bin fasziniert.

Kurz vorm Ziel will ich noch rasch bei meinem besten Kumpel auf dem Festnetz anklingeln. Weiß aber gar nicht, ob er überhaupt zuhause ist. Egal, ich probier’s einfach. Er lebt seit ein paar Wochen mit seiner neuen Flamme zusammen, und ich habe ihn seitdem kaum zu Gesicht bekommen. Da wäre ein gemeinsame­s Bierchen mal wieder nötig. Er hat übrigens eine Handynumme­r, die meiner zum Verwechsel­n ähnelt.

Das Freizeiche­n ertönt. Nach dem zweiten Signal hebt jemand ab. Ich schrecke zusammen. Denn mit juchzender Stimme plärrt seine Angetraute in den Hörer – ganz offensicht­lich in falscher Erwartung eines Anrufs ihres Partners: „Schweini-Schwein!“Das toppt das eben Erlebte und ist beileibe viel mehr, als ich jemals wissen wollte.

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