Saarbruecker Zeitung

Die Legende wider Willen wird 70

Dieter Ferner feiert am heutigen Mittwoch runden Geburtstag. Der Vizepräsid­ent ist für die Fans des 1. FC Saarbrücke­n eine Ikone.

- Produktion dieser Seite: Kai Klankert, Stefan Regel

Die Legende lacht. Wenn Dieter Ferner kurz vor seinem

70. Geburtstag an manches Erlebnis mit dem heute in der Fußball-Regionalli­ga spielenden 1. FC Saarbrücke­n denkt, muss er oft schmunzeln. Aber obwohl er für alle Fans des blau-schwarzen Traditions­vereins eine Ikone ist, möchte er sich selbst nicht in diese Legenden-Schublade stecken lassen. Auch wenn die Medien ihn oft so bezeichnen.

„Ich sehe bei diesem Verein nur eine Legende: Herbert Binkert“, sagt der ehemalige Bundesliga-Torwart. Binkert ist heute 95 Jahre alt, war Saar-Nationalsp­ieler, Teil der FCS-Wunderelf aus den 50er-Jahren. Wäre nicht die Sonderroll­e des Saarlandes gewesen, hätte er vielleicht beim „Wunder von Bern“1954 im deutschen Team gespielt. „Er war später Trainer bei fast allen saarländis­chen Traditions­vereinen und ist überall ohne Streit weggegange­n. Und aus jedem Gespräch mit ihm habe ich etwas mitgenomme­n“, sagt Ferner.

Er selbst stammt aus dem bergischen Radevormwa­ld, ist mittlerwei­le aber echter Saarländer – und unglaublic­h populär. Nicht nur wegen seiner bescheiden­en, bodenständ­igen und direkten Art. „Ich war Teil der einzigen FCS-Mannschaft, die den Klassenver­bleib in der Bundesliga geschafft hat. Und bin später als Trainer zwei Mal hintereina­nder von der Oberliga in die 3. Liga aufgestieg­en“, mutmaßt die Legende wider Willen.

Ihm am heutigen Mittwoch zum

70. Geburtstag zu gratuliere­n, könnte schwierig werden. Er ist in Urlaub, auf Tauchstati­on. Irgendwo, wo die Sonne scheint. Wie schon beim 50., 60. oder 65. Geburtstag. „Ich verstehe nicht, warum man feiern soll, dass man ein Jahr älter geworden ist“, sagte er vor Jahren einmal.

Der heutige FCS-Vizepräsid­ent hat 62 Bundesliga-Spiele bestritten, 166 Zweitliga-Spiele, dazu zwei Partien für die deutsche B-Nationalma­nnschaft. Und mit 70 Jahren kann man schon mal Bilanz ziehen. Sein Fazit fällt positiv aus. „Wenn man so zurückscha­ut, bin ich zufrieden. Viel ändern würde ich nicht“, sagt der Ex-Profi, der erst mit 17 Jahren vom Feldspiele­r zum Torwart gemacht wurde. Nur eine Sache fuchst ihn. „Ich bedauere, dass ich nie zu einem ganz großen Club gegangen bin“, sagt Ferner und erinnert sich an das Jahr 1977.

Nach Stationen bei Bayer Leverkusen und Rot-Weiß Oberhausen war Ferner 1975 nach Saarbrücke­n gekommen. Mit 28 Jahren bekam er im Frühjahr 1977 ein Angebot des

1. FC Köln. Der „Effzeh“aus dem Rheinland hatte damals eine ungleich größere Strahlkraf­t als heute. „Ich saß schon im Auto und wollte nach Köln fahren, um dort zu unterschre­iben“, erinnert sich Ferner: „Am Ludwigsber­gkreisel habe ich umgedreht, bin zurück nach Hause gefahren und habe in Köln angerufen und abgesagt. Heute gibt es ja Berater für Fußball-Profis, so einer hätte mir wahrschein­lich in den Arsch getreten.“Ferner gefiel es beim FCS, er verlängert­e seinen Vertrag. Eine Eigenart ließ sich „Barry“, so sein Spitzname, mehrfach sogar in die Vereinbaru­ngen reinschrei­ben: Bei Auswärtssp­ielen wollte er immer ein Einzelzimm­er haben.

Es herrschte eine große Euphorie in jenen Wochen, in einem legendären Spiel schlugen die Saarbrücke­r im ausverkauf­ten Ludwigspar­k Bayern München mit 6:1, schafften später den Liga-Verbleib. Und wie es so oft im Leben kommt: „Ein Jahr später sind wir mit dem FCS aus der Bundesliga abgestiege­n. Und auf der Rückfahrt haben sie im Radio gebracht, dass Köln gerade deutscher Meister geworden war.“

1980 verließ Ferner den FCS, nach einem Jahr beim 1. FC Bocholt wechselte er zu Chicago Sting in die US-amerikanis­che Profiliga. Und wurde 1981 als entscheide­nder Mann im Shootout durch ein 1:0 gegen Cosmos New York US-Meister. Shoot-out heißt, ein Spieler läuft aus 25 Metern auf den Torwart zu und muss binnen acht Sekunden abgeschlos­sen haben.

In Chicago lernte Ferner, damals mit einem beeindruck­enden dunklen Schnauzbar­t, auch seine Frau Pamela kennen. Mit der Amerikaner­in hat er zwei Kinder. Beide erbten das Sporttalen­t, standen in Leistungsk­adern. Heute stehen Christophe­r ( Trampolint­urnen) und

Dieter Ferner Brigitta (Gymnastik) am Ende ihres Studiums. Sie studierte im Saarland Lehramt, ist jetzt im Referendar­iat und Trainerin beim Saarländis­chen Turnerbund, er studiert in Wien Journalist­ik, Kommunikat­ion und Politikwis­senschaft.

1983 wechselte Ferner aus den USA für ein Jahr zurück nach Oberhausen, beendete seine Karriere und betrieb in den USA eine Fußballhal­le. Es dauerte aber nicht lange, da zog es Ferner wieder ins Saarland, wo er hinter der Grenze in Alsting ein Haus besaß. Er arbeitete beim Statistisc­hen Landesamt. Und in den folgenden 30 Jahren trainierte er Amateur-Mannschaft­en wie den SC Altenkesse­l, seine erste Station, den FC Kutzhof, Borussia Neunkirche­n oder zwei Mal den SC Friedrichs­thal, der 2015 seine bisher letzte Station war. Beim FCS war er aber immer präsent – und sei es als Fan auf der Tribüne. Etwa 15 Jahre lang hatte er auch die A-Jugend oder die zweite Mannschaft damals in der Oberliga betreut.

In der Oberliga begann 2008 auch ein märchenhaf­tes Kapitel, das einen großen Teil seines Rufs als Heilsbring­er ausmacht. Nachdem der FCS als Tabellenvi­erter die Qualifikat­ion für die neue Regionalli­ga verpasst hatte, übernahm Ferner den Neuaufbau. Was folgte, war kaum zu erwarten. 2009 der Aufstieg in die Regionalli­ga mit großem Vorsprung auf die Konkurrenz. Und 2010 der Aufstieg in die 3. Liga – übrigens nach zwei Niederlage­n zum Auftakt, darunter ein 0:6 gegen die SV Elversberg im ersten Saisonspie­l. „Wir waren damals nicht unbedingt fußballeri­sch die beste Mannschaft. Aber wir waren immer in der Lage, die entscheide­nden fünf Prozent mehr als der Gegner in die Waagschale zu werfen“, erinnert sich Ferner, der seit 2012 in Güdingen wohnt. Der Jubel war riesengroß. „Ungeplante Aufstiege sind halt die schönsten.“

Vor der ersten Drittliga-Saison musste er als Trainer aufgrund der fehlenden Lizenz als Fußball-Lehrer aufhören. Eine Entscheidu­ng, die ihm und den Fans bitterlich wehtat. Er tat es klaglos – zum Wohle des Vereins. Das stand bei ihm stets im Vordergrun­d: ein weiterer Puzzlestei­n zu seiner Beliebthei­t. Genau wie seine Emotionali­tät. Auf Außenstehe­nde bisweilen knurrig wirkend, können Ferners Augen bei großen Erfolgen schon mal feucht werden. „Ja, ich bin schon emotional“, sagt er: „Was ich zu meinen Spielern immer gesagt habe: Fußball hat was mit Emotionen zu tun. Wenn ich emotionslo­s bin, kann ich nicht gut Fußball spielen.“Klar müsse man als Trainer das Emotionale etwas runterfahr­en, insbesonde­re an der Außenlinie. „Im Alter wird man souveräner. Da lässt man auch mal eher fünf gerade sein“, blickt er auf seine Entwicklun­g zurück. Auf die Frage, wann er im Fußball aufhört, schmunzelt er und meint: „Wenn ich mich nicht mehr aufrege.“

Ferner wurde 2010 Sportdirek­tor. Half weiter bei der Zusammenst­ellung der Mannschaft. Und hatte fast immer ein gutes Händchen. Ob er Menschenke­nntnis hat? „Ich glaube schon“, sagt Ferner. Die Spieler, die er verpflicht­ete, galten unter Fans und Experten als gute Charaktere, die auch an einem schlechten Tag eins immer bis zum Ende machten: laufen und kämpfen. Fanrufe wie „Wir wollen euch kämpfen sehen“, gab es bei Ferners Teams selten.

2012 verabschie­dete er sich vom FCS. Er wollte wieder Trainer sein. Nur vier Jahre später kehrte er zurück, wurde Vizepräsid­ent und Leiter der AH-Abteilung. „Der FCS ist einfach mein Verein“, sagt er auf die Frage, was der Club für ihn bedeutet. Drei Mal in der Woche kommt er in die Geschäftss­telle, telefonier­t fast jeden Tag mit dem sportliche­n Leiter Marcus Mann. Ferners Urteil hat höchstes Gewicht.

Nach dem verpatzten Beginn der aktuellen Saison („Wir sind unter unseren Möglichkei­ten gestartet“) sind in der Rückrunde fünf Punkte auf Spitzenrei­ter Waldhof Mannheim aufzuholen. „Wir müssen jetzt an die letzten sieben, acht Spiele anknüpfen“, hat Ferner den Aufstieg in die 3. Liga noch nicht abgehakt. Das Scheitern in der letzten Relegation gegen 1860 München, obwohl der FCS im Grunde das bessere Team war, war für ihn „einer der bittersten Momente bisher beim FCS. Wenn das ein Gegner gewesen wäre, der uns an die Wand gespielt hätte? Aber so“, sinniert er. Und wo sieht er den FCS in ferner Zukunft? „Fernziel müsste irgendwann mal die 2. Liga sein“, sagt er.

Auch mit 70 ist Dieter Ferner noch fit, drei Mal die Woche geht er ins Fitnessstu­dio. „Die Einschläge kommen näher“, weiß er, dass in seinem Alter gute Gesundheit nicht jedem beschieden ist. Zumal, wenn jemand wie er eine „On-off-Beziehung“zu Zigaretten führt. Immerhin: Seit Neujahr ist Ferner mal wieder rauchfrei.

Glück verspürt Ferner, „wenn ich morgens aufstehe und die Sonne scheint. Wenn ich danach mit meinem Hund Lucky rausgehe“. Seinem Namen machte der fünfjährig­e Border Collie übrigens schon alle Ehre. Vor dem Geschäft von FCS-Altstar Albert Kempf rannte er einst über die viel befahrene Brebacher Landstraße zu einem anderen Hund – und blieb unverletzt.

Glücklich kann Ferner auch sein, wenn er sich ans Jahr 2004 erinnert. Er erlitt eine Hirnblutun­g. Motorische oder sprachlich­e Ausfälle blieben nicht zurück. „Es war an Christi Himmelfahr­t. Es kam ohne Vorwarnung, von einer Minute auf die andere. Ich hatte Kopfschmer­zen, als ob mir jemand mit einer Pistole in den Kopf geschossen hätte“, erinnert er sich. Ein Arzt gab ihm nach einer „Nacht des Schreckens“Infusionen, Ferner leitete danach das Training der FCS-Amateure, fuhr mit zum Auswärtssp­iel. Drei Tage später kam er in die Notaufnahm­e, lag 14 Tage auf der Neurologie. Der Schreck veränderte ihn ein halbes Jahr, danach kam wieder der Alltag. „Und das alles ist zu der Zeit passiert, als ich nicht geraucht habe“, sagt er und lacht.

Ob ein Leben mit dem FCS und dessen ständigen Aufs und Abs wohl gesund sein kann? „Wenn man immer Meistersch­aften und Titel feiern möchte, dann ist man als Fan des FC Bayern München richtig. Wenn man alle Facetten des Fan-Seins miterleben will, ist man beim FCS richtig“, sagt Ferner. Und wenn man so richtig viel miterlebt hat, dann kann man sogar eine Legende werden. Auch wenn man keine sein will.

„Wenn man alle Facetten des Fan-Seins miterleben will, ist man

beim FCS richtig.“

über seinen Verein

 ?? FOTO: EIBNER ?? 2010 erreichte Dieter Ferner den Zenit seiner Popularitä­t. Nach dem Spiel beim Bonner SC feierten die Fans des 1. FC Saarbrücke­n den Trainer, der zwei Aufstiege in Folge schaffte. Der Sprung in die 3. Liga kam überrasche­nd – und Ferner musste wegen der fehlenden Fußballleh­rer-Lizenz aufhören.
FOTO: EIBNER 2010 erreichte Dieter Ferner den Zenit seiner Popularitä­t. Nach dem Spiel beim Bonner SC feierten die Fans des 1. FC Saarbrücke­n den Trainer, der zwei Aufstiege in Folge schaffte. Der Sprung in die 3. Liga kam überrasche­nd – und Ferner musste wegen der fehlenden Fußballleh­rer-Lizenz aufhören.
 ?? FOTO: HARTUNG ?? Akrobat schön: Als Torwart war auf Dieter Ferner stets Verlass. Auch beim 6:1 gegen Bayern München stand er im Tor des 1. FC Saarbrücke­n.
FOTO: HARTUNG Akrobat schön: Als Torwart war auf Dieter Ferner stets Verlass. Auch beim 6:1 gegen Bayern München stand er im Tor des 1. FC Saarbrücke­n.
 ?? FOTO. WIECK ?? Dieter Ferner ist ein emotionale­r Typ. Das war auch bei seiner Verabschie­dung 2012 durch FCS-Präsident Paul Borgard (mittlerwei­le verstorben) zu sehen.
FOTO. WIECK Dieter Ferner ist ein emotionale­r Typ. Das war auch bei seiner Verabschie­dung 2012 durch FCS-Präsident Paul Borgard (mittlerwei­le verstorben) zu sehen.
 ?? FOTO: RUPPENTHAL ?? Lange trainierte Ferner, hier mit Thomas Esch, den FCS II.
FOTO: RUPPENTHAL Lange trainierte Ferner, hier mit Thomas Esch, den FCS II.

Newspapers in German

Newspapers from Germany