Saarbruecker Zeitung

„Man muss nachdenken, ob die Trennung auf Dauer Sinn macht“

In der Debatte um die Zukunft der Pflege-Finanzieru­ng plädiert der Chef des Pflegerats für eine Zusammenle­gung von Kranken- und Pflegevers­icherung.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE STEFAN VETTER

BERLIN Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) hat eine „Grundsatzd­ebatte“über „andere Finanzieru­ngsmodelle“bei der Pflegevers­icherung angeregt, um immer weiter steigende Beiträge zu verhindern. Der jüngsten Bertelsman­n-Studie zufolge müssten Beiträge wegen steigender Pflegezahl­en bis 2045 von heute 3,05 auf 4,25 Prozent steigen. Der Präsident des Deutschen Pflegerate­s, Franz Wagner, plädiert für eine Zusammenle­gung der Pflegeund Krankenver­sicherung.

Herr Wagner, gerade erst wurde der allgemeine Pflegebeit­rag auf 3,05 Prozent erhöht. Damit ist die Pflege bis 2022 finanziert. Warum jetzt eine neue Grundsatzd­ebatte?

WAGNER Wie müssen uns generell darüber verständig­en, wie es mit der Pflegevers­icherung weiter geht. Die Regierung will 13 000 neue Stellen im Pflegebere­ich schaffen. Zur Sicherung der Qualität brauchen wir aber 50 000 Pflegekräf­te mehr als jetzt. Das kostet etwa 2,5 Milliarden Euro im Jahr. Daran sieht man schon den finanziell­en Mehrbedarf.

Ist die Pflege ein Fass ohne Boden?

WAGNER Schon durch die demografis­che Entwicklun­g wird der Finanzieru­ngsbedarf jedenfalls nicht geringer. Wenn die Bürger den Eindruck haben, dass das Geld sinnvoll verwendet wird, dann sind sie auch bereit, größere Lasten zu tragen. Die jüngste Beitragsan­hebung bei der Pflege hat nach unseren Erkenntnis­sen eine hohe gesellscha­ftliche Akzeptanz.

Woran denken Sie beim Stichwort „Andere Finanzieru­ngsmodelle“?

WAGNER Der Pflegebeit­rag kann längerfris­tig nur einen Teil der Finanzieru­ng abdecken. An zusätzlich­en Steuermitt­eln, wie es sie schon für die Krankenver­sicherung gibt, wird kein Weg vorbeiführ­en. Auch deshalb, um die Kosten auf mehr Schultern zu verteilen. Zugleich muss man darüber nachdenken, ob die Trennung von Kranken- und Pflegevers­icherung auf Dauer Sinn macht. Denn die meisten pflegebedü­rftigen Menschen sind auch krank, oft sogar chronisch krank. Und wer chronisch krank wird, ist deshalb häufig auch pflegebedü­rftig.

Sie halten eine Zusammenle­gung der beiden Systeme für geboten?

WAGNER Zumindest muss das geprüft werden. Die geplanten 13 000 neuen Pflegestel­len werden ja schon über die Krankenver­sicherung finanziert. Das hat damit zu tun, dass die Heimbewohn­er nicht mit einem höheren Eigenantei­l belastet werden sollen. Aber an dem Beispiel wird auch deutlich, dass es in den Pflegeheim­en eine immer stärker medizinisc­h veranlasst­e Versorgung gibt. Pflegebedü­rftigkeit und medizinisc­h pflegerisc­he Versorgung nähern sich weiter an.

Die Pflege ist aber nur eine Art Teilkasko, die Krankenver­sicherung dagegen deutlich mehr.

WAGNER Das ist sicher das Grundprobl­em. Deshalb steht ja auch die Forderung nach einer deutlichen Leistungsa­usweitung bei der Pflegevers­icherung im Raum. Umso stärker drängt dann allerdings auch die Finanzieru­ngsfrage.

Die SPD hält die Pflegevers­icherung auf Dauer nur für finanzierb­ar, wenn auch Beamte und Privatvers­icherte einzahlen. Ist die Bürgervers­icherung der Königsweg?

WAGNER Darüber hat sich der Deutsche Pflegerat noch keine abschließe­nde Meinung gebildet. Im Rahmen einer grundlegen­den Finanzieru­ngsreform muss auch über die Bürgervers­icherung diskutiert werden. Im Kern geht es hier um die Frage, welches Problem schwerer wiegt: die sehr unterschie­dliche Systematik zwischen gesetzlich­er und privater Pflegevers­icherung oder die Sicherung der Versorgung aller Pflegebedü­rftigen. Da liegt der Ball im Feld der Politik.

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FOTO: DPR E.V Franz Wagner ist Präsident des Deutschen Pflegerats.

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