„Naja, ich war halt ein Anfänger“
Der gefeierte Regisseur, der heute nach Saarbrücken kommt, über seinen ersten Ophüls-Besuch, ignorante Kritiker und Produzent Günter Rohrbach.
Dominik Graf (66) gilt als einer der wichtigsten und vielseitigsten Filmemacher. Fürs Kino und Fernsehen arbeitet er, verbindet Krimis und Polizeifilme mit genauer Figurenzeichnung („Die Katze, „Die Sieger“, „Polizeiruf 110“). Die Serie „Der Fahnder“ist TV-Geschichte, sein jüngster Kinofilm war 2014 die Schiller-Annäherung „Die geliebten Schwestern“. Dokus hat Graf auch gedreht und über Film geschrieben. Er kommt heute mit dem Thriller „Das zweite Gesicht“nach Saarbrücken, der 1982 beim Festival lief. Wir haben mit ihm gesprochen.
1982 kamen Sie mit „Das zweite Gesicht“nach Saarbrücken zu Ophüls. Wie war Ihr Eindruck vom Festival?
GRAF Das war, ähnlich wie Hof damals, ein aufstrebendes junges Festival abseits der Kino-Zentren, das sich aber vorrangig um die nachkommende Generation gekümmert hat. Junge Leute mit einem jungen Kino.
Dem „Zweiten Gesicht“attestieren Sie in Ihrem Buch „Schläft ein Lied in allen Dingen“eine „quälende Länge“– ist das nicht etwas harsch?
GRAF Naja, ich war halt Anfänger und hatte nicht sehr viel Praxis. Die Filmhochschüler heute drehen viel mehr Filme, kleine Produktionen schnell nebenher an der Hochschule, und kommen so mit mehr Erfahrung in ihren ersten Spielfilm hinein. Ich war komplett überfordert als Regisseur und Autor. Ich hatte den fabelhaften Kameramann Helge Weindler, der später für Doris Dörrie gedreht hat, was mich aber vor Probleme gestellt hat, denn ich konnte einige Fragen, die er hatte, gar nicht beantworten. Ich habe angefangen mit Studentenfilmen, in denen ich immer nur Großaufnahmen von einem Gesicht gefilmt habe, weil ich mehr als einen Schauspieler im Bild beim Inszenieren gar nicht beurteilen konnte. Mein Glück war, dass man damals längere Zeit die Möglichkeit hatte, Mist zu bauen.
Sie schreiben im Buch auch, dass Sie sich früh vorgenommen haben, „keine Handschrift haben“zu wollen. Wie ist das gemeint?
GRAF Ja, das war gegen das Autorenkino gerichtet. Vor der Generation, zu der ich gehöre, standen Fassbinder und Wenders im Rampenlicht. Und bei deren Generation hatten wir immer das Gefühl, dass der unbedingte Wille zur eigenen Handschrift den Filmen manchmal ein bisschen schadete. Wir waren eher auf der Suche nach Genrefilmen, nach Erzählkino und einer Normalität, auch in der Schauspielerführung – was mir lange überhaupt nicht gelungen ist. Es gibt diesen schönen Satz von Jean Cocteau, dass man keine künstlerische Handschrift haben wollen darf – aber dass einem das dann auf keinen Fall gelingen sollte.
Haben Sie früher mit einem gewissen Neid nach Frankreich geschaut, wo man ein Starsystem hat und keine Berührungsängste mit dem Genrefilm, anders als hier?
GRAF Allerdings. Gerade beim Genrefilm ist der Unterschied arg. Die Franzosen hatten in den 1990ern ja mal ein paar Jahre Pause beim Polizeifilm, aber seit den 2000ern kommt bis heute wieder ein fantastisches Ding nach dem anderen. Kleine, oft unglaublich rabiat gedrehte Gangster- und Polizeifilme fürs Kino.
Verhindert bei uns nicht aber der allgegenwärtige „Tatort“im Fernsehen, dass auch Krimis fürs Kino produziert werden?
GRAF In gewissem Sinn schon. Ich drehe ja auch „Polizeirufe“und „Tatorte“, das sind für mich die billigeren, die einfach zu finanzierenden Thriller. Wenn man dieses Genre nochmal ins Kino übertragen will, dann muss man die Filme über ein gewisses ästhetisches Level heben, damit das Publikum weiß, dass hier etwas anderes läuft als das, was jeden Tag im Fernsehen zu sehen ist. Eine hohe Finanzierung von Genrekino ist aber bei uns schwierig, weil es kein Zutrauen gibt. Zugleich gibt mir aber auch das Fernsehen die Chance, auf hohem Niveau zu erzählen, wie zum Beispiel bei „Im Angesicht des Verbrechens“.
Liefe solch eine Reihe heute bei Netflix? Sind die Streamingdienste eine Chance gerade für junge Filmemacher?
GRAF Ich kann die Streaming-Plattformen nicht einschätzen. Was ich dort sehe, zeigt mir bei den deutschen Produkten bislang keine Richtung, die mich interessiert. Es wird zwar gerade wie verrückt produziert, nachdem die Deutschen nach nur 20 Jahren internationalem Serienhype gemerkt haben, dass Serien interessant sein könnten. Aber jetzt ist der Hype schon fast wieder vorbei – ich sehe die Serie an sich eher schon auf dem absteigenden Ast.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Filmkritik? Bei „Die Katze“etwa wurde viel gemäkelt, das sei alles zu amerikanisch. Heute wird das ganz anders gesehen. Wie ernst nehmen Sie Filmkritik?
GRAF Das ist personenabhängig. Die Film- und vor allem die Fernsehkritik als Ganzes kann man zur Zeit nicht wirklich ernst nehmen, weil überwiegend filmisch ignorante Leute schreiben. Aber es gab immer und es gibt natürlich in Zeitungen und in sehr speziellen Internet-Blogs Leute, die einen mit ihren Kommentaren und Kritiken zum Nachdenken bringen, auch wenn sie einem auf die Finger klopfen. Und wenn sie einen loben, hat es Hand und Fuß.
Sie haben viele Preise gewonnen – ist das nicht auch gefährlich? Zementieren Preise nicht das, was man tut, und hemmen die Experimentierlust?
GRAF Nein, man muss sich immer bewusst sein, dass Preise aufgrund der Jurybesetzungen häufig so gut wie nichts bedeuten – die Preis-Kriterien sind heute meistens themen- und nicht wirklich filmorientiert, und da muß man sich eher schämen wenn man was gewinnt.
Sie haben in Ihrer Zeit bei der Bavaria lange mit dem Produzenten Günter Rohrbach gearbeitet, der aus Neunkirchen stammt – wie ist Ihr Blick auf ihn heute?
GRAF Er ist eine ganz große Figur. Wir haben uns über die Jahre und ein halbes Dutzend Filme lang ja auch heftig aneinander gerieben, aber ich habe ihm viel zu verdanken, weil er mich aus dem Vorabendserien-Dasein zum Kinofilm gebracht hat. Der Vorschlag, dass ich „Die Katze“machen sollte, kam von ihm. Er hat schwierige Finanzierungen zusammenbekommen, und wenn die zu knapp waren, hat er sich trotzdem getraut, den Film zu machen. Er wollte Publikumsfilme und hohe Qualität zusammenbringen, da war er bahnbrechend, nicht nur bei der Bavaria. Ich stelle Günter Rohrbach ebenbürtig neben Bernd Eichinger – mindestens.
Ihr Polizeifilm „Die Sieger“war 1994 für einen deutschen Film sehr teuer, hat dann kein Publikum gefunden, und die Kritiken waren auch schlecht.Wie weh tut das?
GRAF Das war ein Niederschlag, aber da müssen die meisten Regisseure im Laufe ihrer Karriere ja durch. Ich wollte in jeder Hinsicht hoch hinaus damit, da kriegt man – nicht immer zu Unrecht – was auf die Ohren. Und vielleicht war es auch überraschend, dass der Film quasi nur zum Schein ein Polizeifilm ist, gleichzeitig eher ein Gespensterfilm über die schaurige „Hoch die Tassen“-Bundesrepublik der 1990er.
Vor 20 Jahren haben Sie mit Heiner Lauterbach den Film „Der Skorpion“gedreht, für viele einer ihrer besten Arbeiten – werden Sie mal wieder zusammenarbeiten?
GRAF Wir hatten das geplant – eine sehr gute Kiez-Serie, die Nikolai Müllerschön geschrieben hat. Das wollten wir machen, aber im Moment ist die Finanzierungslinie etwas abgeschnitten.
Müllerschön hat mit Lauterbach den rauen Krimi „Harms“gedreht – ist das eine Art Kino, von dem Sie sich wünschen, es gäbe mehr davon?
GRAF Natürlich, „Harms“fand ich absolut herausragend. Ein Film, der plötzlich da war – im Grunde habe ich ihn nur auf DVD wahrgenommen, weil er so schnell aus dem Kino wieder verschwunden war. Furchtbar. Auch da haben sich leider einige Filmkritiker wenig mit Ruhm bekleckert, weil sie nicht gemerkt haben, was für eine Kraft und Melancholie in diesem schönen Film steckt.
Wie schauen Sie sich eigentlich Filme an? Vor allem im Kino?
GRAF Nein. Im Kino interessiert mich momentan wenig wirklich vital. Ich schaue DVD. Einen großen Beamer habe ich nicht, ich muss gestehen, dass ich manche Filme sogar am Laptop schaue. Als Student hatte ich einen winzigen Schwarz-Weiß-Fernseher, auf dem habe ich Kavallerie-Western von John Ford gesehen – ich bin so nahe rangekrochen, bis das Monumental Valley wieder groß war. Heute, 17 Uhr, Filmhaus: „Das zweite Gesicht“, danach ein Gespräch mit Graf.