Bei den Linken werden alte Feindschaften neu aufgewärmt
Der angekündigte Rückzug der Fraktionsvorsitzenden Sarah Wagenknecht sorgt für Verwerfungen in der Partei. Unklar ist, wie es personell weitergeht.
Bei den Linken rappelt es mal wieder heftig im Karton. Die überraschende Ankündigung von Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, nicht mehr für diesen Posten zu kandidieren, lässt alte Feindschaften neu aufblühen. Wie es jetzt in der Partei weitergeht, ist unklar – und das im Jahr der Europawahl sowie wichtiger Landtagswahlen.
Am Dienstag in der Faktionssitzung der Linken schien sich der Sturm schon fast verzogen zu haben. Wagenknecht begründete noch einmal ihren tags zuvor bekannt gewordenen Rückzug mit gesundheitlichen Belastungen und Arbeitsstress. Es gab kurz Beifall, aber keine Aussprache. Doch wenig später kochten die Emotionen wieder hoch. Anlass war die Vorabmeldung einer Zeitung, in der der rheinland-pfälzische Linken-Abgeordnete Alexander Ulrich mit den Worten zitiert wurde, „Dauermobbing und Intrigen“hätten Wagenknecht zur Aufgabe gezwungen, weshalb sich jetzt auch die Parteispitze vor der Parteibasis „erklären und verantworten“müsse.
Dazu passte, dass eine von Wagenknechts engsten Getreuen, Fraktionsvize Sevim Dagdelen, ebenfalls nicht erneut für ihr Amt kandidiert. Prompt kam es zu einer kurzen, erregten Aufwallung, die sich jederzeit wiederholen kann. Denn tatsächlich ist es so, dass mit dem Rückzug Wagenknechts auch der Stern ihrer zuletzt immer weniger gewordenen Anhänger in der Fraktion im Sinkflug ist. Schon bei der Vorstandswahl vor zwei Jahren war Dagdelen nur auf den Stellvertreterposten gekommen, weil Wagenknecht intern mit Rücktritt gedroht hatte. Dagdelens Verzicht ist deshalb auch eine Art Flucht nach vorn, denn bei einer erneuten Kandidatur wäre die Abgeordnete aus Bochum wohl ohnehin gescheitert.
Der Fingerzeig Ullrichs auf die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger wird indes bei linken Realos als Versuch gewertet, das Führungsduo gleich mit „in den Strudel“um Wagenknecht zu ziehen. Kipping und Riexinger halten sich mit einer Bewertung zu Wagenknechts Entschluss bislang auffällig zurück. Aus der Vergangenheit sind jedoch zahlreiche persönliche Konflikte überliefert. Wegen ihrer umstrittenen Ansichten zu Flüchtlingspolitik war Wagenknecht von Kipping sogar in die Nähe der AfD gerückt worden.
Kipping würde sicher gern den Fraktionsvorsitz übernehmen. Nur ist auch sie umstritten. Eine Mehrheit in der Fraktion für Kipping gilt daher als sehr unwahrscheinlich. Eine andere Möglichkeit für die Nachfolge wäre die Abgeordnete Martina Renner. Sie hatte sich als Obfrau der Linken im NSU-Untersuchungsausschuss einen Namen gemacht, und war in der Vergangenheit auch schon mal für den Fraktionsvorsitz gehandelt worden. Am Ende könnte aber auch Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch den Vorsitz allein übernehmen, so wie einst Gregor Gysi von 2011 bis 2015.
Bartsch selbst meinte jetzt, dass man nach dem 26. Mai, dem Tag der Europawahl, weiter sehen werde. Bislang war die reguläre Neuwahl der Fraktionsspitze für den Herbst geplant. Durch den Rückzug von Wagenknecht könnte die Personalentscheidung nun aber schon vor der Sommerpause getroffen werden. Denn am 1. September werden in Sachsen und Brandenburg neue Landtage gewählt, und eine schwelende Personaldebatte zu diesem Zeitpunkt könnte der Linken erheblich schaden.
Und Sahra Wagenknecht? Insider halten es nicht für ausgeschlossen, dass noch einmal der innerparteiliche Ruf nach ihr ertönt, falls die Linke die anstehenden Wahlen krachend verlieren sollte. Wahrscheinlicher ist aber eine Rolle, die sich Wagenknecht beim mittlerweile einfachen Abgeordneten Gysi abgucken kann: Bücher schreiben, in Talkshows sitzen – und mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine durchs Saarland radeln.