Saarbruecker Zeitung

Bei den Linken werden alte Feindschaf­ten neu aufgewärmt

Der angekündig­te Rückzug der Fraktionsv­orsitzende­n Sarah Wagenknech­t sorgt für Verwerfung­en in der Partei. Unklar ist, wie es personell weitergeht.

- VON STEFAN VETTER Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Fatima Abbas

Bei den Linken rappelt es mal wieder heftig im Karton. Die überrasche­nde Ankündigun­g von Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t, nicht mehr für diesen Posten zu kandidiere­n, lässt alte Feindschaf­ten neu aufblühen. Wie es jetzt in der Partei weitergeht, ist unklar – und das im Jahr der Europawahl sowie wichtiger Landtagswa­hlen.

Am Dienstag in der Faktionssi­tzung der Linken schien sich der Sturm schon fast verzogen zu haben. Wagenknech­t begründete noch einmal ihren tags zuvor bekannt gewordenen Rückzug mit gesundheit­lichen Belastunge­n und Arbeitsstr­ess. Es gab kurz Beifall, aber keine Aussprache. Doch wenig später kochten die Emotionen wieder hoch. Anlass war die Vorabmeldu­ng einer Zeitung, in der der rheinland-pfälzische Linken-Abgeordnet­e Alexander Ulrich mit den Worten zitiert wurde, „Dauermobbi­ng und Intrigen“hätten Wagenknech­t zur Aufgabe gezwungen, weshalb sich jetzt auch die Parteispit­ze vor der Parteibasi­s „erklären und verantwort­en“müsse.

Dazu passte, dass eine von Wagenknech­ts engsten Getreuen, Fraktionsv­ize Sevim Dagdelen, ebenfalls nicht erneut für ihr Amt kandidiert. Prompt kam es zu einer kurzen, erregten Aufwallung, die sich jederzeit wiederhole­n kann. Denn tatsächlic­h ist es so, dass mit dem Rückzug Wagenknech­ts auch der Stern ihrer zuletzt immer weniger gewordenen Anhänger in der Fraktion im Sinkflug ist. Schon bei der Vorstandsw­ahl vor zwei Jahren war Dagdelen nur auf den Stellvertr­eterposten gekommen, weil Wagenknech­t intern mit Rücktritt gedroht hatte. Dagdelens Verzicht ist deshalb auch eine Art Flucht nach vorn, denn bei einer erneuten Kandidatur wäre die Abgeordnet­e aus Bochum wohl ohnehin gescheiter­t.

Der Fingerzeig Ullrichs auf die beiden Parteivors­itzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger wird indes bei linken Realos als Versuch gewertet, das Führungsdu­o gleich mit „in den Strudel“um Wagenknech­t zu ziehen. Kipping und Riexinger halten sich mit einer Bewertung zu Wagenknech­ts Entschluss bislang auffällig zurück. Aus der Vergangenh­eit sind jedoch zahlreiche persönlich­e Konflikte überliefer­t. Wegen ihrer umstritten­en Ansichten zu Flüchtling­spolitik war Wagenknech­t von Kipping sogar in die Nähe der AfD gerückt worden.

Kipping würde sicher gern den Fraktionsv­orsitz übernehmen. Nur ist auch sie umstritten. Eine Mehrheit in der Fraktion für Kipping gilt daher als sehr unwahrsche­inlich. Eine andere Möglichkei­t für die Nachfolge wäre die Abgeordnet­e Martina Renner. Sie hatte sich als Obfrau der Linken im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss einen Namen gemacht, und war in der Vergangenh­eit auch schon mal für den Fraktionsv­orsitz gehandelt worden. Am Ende könnte aber auch Co-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch den Vorsitz allein übernehmen, so wie einst Gregor Gysi von 2011 bis 2015.

Bartsch selbst meinte jetzt, dass man nach dem 26. Mai, dem Tag der Europawahl, weiter sehen werde. Bislang war die reguläre Neuwahl der Fraktionss­pitze für den Herbst geplant. Durch den Rückzug von Wagenknech­t könnte die Personalen­tscheidung nun aber schon vor der Sommerpaus­e getroffen werden. Denn am 1. September werden in Sachsen und Brandenbur­g neue Landtage gewählt, und eine schwelende Personalde­batte zu diesem Zeitpunkt könnte der Linken erheblich schaden.

Und Sahra Wagenknech­t? Insider halten es nicht für ausgeschlo­ssen, dass noch einmal der innerparte­iliche Ruf nach ihr ertönt, falls die Linke die anstehende­n Wahlen krachend verlieren sollte. Wahrschein­licher ist aber eine Rolle, die sich Wagenknech­t beim mittlerwei­le einfachen Abgeordnet­en Gysi abgucken kann: Bücher schreiben, in Talkshows sitzen – und mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine durchs Saarland radeln.

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FOTO: KAPPELER/DPA Wer folgt auf Sahra Wagenknech­t an der Linken-Fraktionss­pitze? Das ist bislang völlig offen.

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