Saarbruecker Zeitung

Der traurige Lohn für ihre Menschlich­keit

Vor 50 Jahren wurde die saarländis­che Krankensch­wester Monika Schwinn vom Vietcong als Geisel genommen. Bloß, weil sie helfen wollte. Nun ist sie gestorben.

- VON OLIVER SCHWAMBACH

Was bleibt von einem Leben, wenn sich schon zu viel Vergangenh­eit zwischen das Damals und das Heute geschoben hat? In Monika Schwinns Fall wohl auch die traurige Erkenntnis, dass Erinnerung, auch wenn es noch so wichtig wäre, sie wach zu halten, leider verblasst. Und allzu leicht vergessen wird, was Menschen alles auf sich nehmen, um anderen zu helfen.

Monika Schwinn, die am Montag im Alter von 76 Jahren im Lebacher Krankenhau­s gestorben ist, dort, wo sie lange auch als Kinderkran­kenschwest­er arbeitete, hat Unvorstell­bares durchlitte­n. Bloß, weil es für sie selbstvers­tändlich war, Menschen in Not beizustehe­n. „Äußerst hilfsberei­t war sie schon immer“, erinnert sich ihr Cousin Adolf Spaniol. Die junge Frau aus Lebach lernt erst Friseurin. Ihre eigentlich­e Berufung aber ist Krankensch­wester, Säuglingss­chwester. Für die Familie kam es da nicht überrasche­nd, dass die 26-Jährige 1968 gern dem Aufruf des Malteser Hilfsdiens­tes folgt: Man braucht Ärzte und Pflegekräf­te für Kliniken in Südvietnam, um der Zivilbevöl­kerung zu helfen, die unter dem nicht enden wollenden Krieg leidet. Monika Schwinn ist glücklich. Sie arbeitet auf einer Kinderstat­ion im Hospital von Da Nang.

Der 27. April 1969 aber wird für sie zum Schicksals­tag. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Marie-Louise Kerber aus Nohfelden-Türkismühl­e, dem Arzt Bernhard Diehl und zwei weiteren Krankensch­western macht sie einen Ausflug – und gerät in die Fänge des kommunisti­schen Vietcong. Die Fünf werden nach Nordvietna­m verschlepp­t. Dort quält man sie wie die zutiefst verhassten Amerikaner. Seit 15 Jahren tobt da der Bruderkrie­g schon, eine Stellvertr­eterschlac­ht auch der Supermächt­e. Die USA schlagen mit der vollen Wucht ihrer Militärmas­chinerie zu, feuern, bomben, säen Tod und millionenf­aches Leid. Doch der Vietcong lässt sich so nicht besiegen. Die Nordvietna­mesen perfektion­ieren den Guerilla-Krieg, nehmen auch Geiseln. Und es trifft auch Unschuldig­e.

Monika Schwinn und ihre Leidensgef­ährten müssen immer wieder marschiere­n, man steckt sie in diverse Dschungell­ager. „Es war eine kleine Zelle, etwa eineinhalb Meter breit und zweieinhal­b Meter lang. In 20 bis 25 Zentimeter Höhe lagen ein paar Bretter auf Beton: das Bett. Ein halber Meter Platz war für einen Toilettene­imer“, schreibt die Lebacherin nach ihrer Freilassun­g 1973 im „Spiegel“. Sie werden verhört, gefoltert, bekommen kaum ’was zu essen. Krankheit und Demütigung sind ständige Begleiter. Drei der Fünf werden das nicht überleben. Marie-Louise Kerber stirbt 1969 in Gefangensc­haft. Erst 1997 ist es möglich, ihre Gebeine ins Saarland zu überführen, sie hier zu bestatten. Auch Monika Schwinn ist dem Tod oft näher als dem Leben. Doch sie kämpft, will sich nicht erniedrige­n lassen. „An mir beißen sie sich die Zähne aus“, notiert sie.

Nach langen vier Jahren bringt das Pariser Abkommen über die Beendigung des Vietnam-Krieges Schwinn und Diehl 1973 endlich die Freiheit. Am Flughafen in Frankfurt werden sie mit Plakaten begrüßt. Funk und Presse reißen sich um sie. Der „Stern“macht eine Titelstory, im „Spiegel“schreibt Schwinn bemerkensw­ert reflektier­t über ihre Leidenszei­t. Zusammen mit Bernhard Diehl entsteht sogar ein eindrückli­ches Buch: „Eine Handvoll Menschlich­keit“. Im Saarland empfängt sie Ministerpr­äsident Franz-Josef Röder (CDU), die Stadt Lebach macht sie zur Ehrenbürge­rin.

Irgendwann aber klingt das Interesse ab. Und Monika Schwinn arbeitet wieder als Krankensch­wester in Lebach, kümmert sich um Säuglinge. Sie hilft, auch als vietnamesi­sche Flüchtling­e nach Lebach kommen. Ganz selbstvers­tändlich. „Sie hat auf mich immer einen munteren Eindruck gemacht“, sagt ihr Cousin Adolf Spaniol. Doch nach solchen Erlebnisse­n kann für sie für nichts mehr so sein wie früher. Eine eigene Familie wird sie nicht gründen. Und mit 55 Jahren geht sie bereits in Ruhestand. „Sie war oft krank“, sagt ihr Cousin, „vielleicht hat es sie auch geschmerzt, das man sich nicht mehr so an sie erinnert hat“. Dass man vergessen hat, welchen Preis sie für ihre Hilfsberei­tschaft zahlte. Für die Jahre ihrer Gefangensc­haft im Dschungel bekam sie keine Rente, obwohl die Bundesrepu­blik damals so stolz darauf war, dass Monika Schwinn in das Kriegsgebi­et ging, um zu helfen. Nun ist es für diese Anerkennun­g zu spät.

Am Donnerstag, 21. März, 13. Uhr, findet in der Lebacher Pfarrkirch­e eine Traueranda­cht für Monika Schwinn statt.

 ?? FOTO: DPA/PICTURE ALLIANCE ?? Die Lebacher Karnkensch­wester Monika Schwinn und Bernhard Diehl nach ihrer Freilassun­g aus nordvietna­mesischer Kriegsgefa­ngenschaft am 7. März 1973.
FOTO: DPA/PICTURE ALLIANCE Die Lebacher Karnkensch­wester Monika Schwinn und Bernhard Diehl nach ihrer Freilassun­g aus nordvietna­mesischer Kriegsgefa­ngenschaft am 7. März 1973.

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