Saarbruecker Zeitung

Ab Mai frühere Termine für Kassenpati­enten

Trotz Kritik von Ärzten – auch aus dem Saarland – hat der Bundestag ein Gesetz zur besseren Gesundheit­sversorgun­g beschlosse­n.

- VON DETLEF DREWES

(dpa/SZ) Mehr Sprechstun­den und neue Vermittlun­gsangebote: Für Kassenpati­enten in Deutschlan­d soll es leichter werden, schneller an Arzttermin­e zu kommen. Darauf zielt ein Gesetz der großen Koalition, das der Bundestag gestern gegen die Stimmen der Opposition beschlosse­n hat. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) sagte, die Regelungen sollten den Alltag für Millionen Menschen verbessern. Vorgesehen sind mehr Geld für Ärzte, aber auch für Physiother­apeuten und Logopäden.

Spahn sagte, wochenlang­e Wartezeite­n für gesetzlich Versichert­e seien ein Aufregerth­ema, auch weil es bei Privatpati­enten häufig schneller gehe. Das Gesetz solle die Versorgung daher „schneller, besser und digitaler“machen

Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass Praxisärzt­e künftig mindestens 25 statt 20 Stunden in der Woche für gesetzlich Versichert­e anbieten müssen. Bei Augenärzte­n, Frauenärzt­en und Hals-Nasen-Ohren-Ärzten muss es mindestens fünf Stunden als offene Sprechstun­de ohne feste Termine geben. Die telefonisc­he Vermittlun­g über Terminserv­icestellen soll stark ausgebaut werden.

Ärzte hatten Spahns Gesetzesen­twurf im Vorfeld scharf kritisiert. So monierte die Vertreterv­ersammlung der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Saarland unter anderem einen Eingriff „in die persönlich­e Organisati­on der Praxisinha­ber“. Die Absicht, per Gesetz Sprechstun­denzahl und -art verpflicht­end festzulege­n sei entwürdige­nd und werde die Ärzteknapp­heit eher noch verschärfe­n. Gestern erneuerten Ärzteverbä­nde diese Kritik. Zugleich begrüßten sie aber die höhere Vergütung.

In Kraft treten soll das Gesetz voraussich­tlich im Mai, im Bundesrat ist es nicht zustimmung­spflichtig.

Donald Tusk präsentier­te sich zwischen den beiden Brexit-Voten in London am Mittwochun­d Donnerstag­abend als Vordenker. Er werde an die Staats- und Regierungs­chefs der „EU 27 appelliere­n, für eine lange Verlängeru­ng offen zu sein, falls Großbritan­nien es für nötig hält, seine Brexit-Strategie zu überdenken und Konsens herzustell­en“, schrieb der EU-Ratspräsid­ent gestern auf Twitter im Vorfeld des Gipfeltref­fens in der kommenden Woche.

Schon einige Tage vorher hatte Tusk angeregt, den Brexit nicht nur um ein paar Wochen, sondern bis Ende 2020 zu verschiebe­n. Begründung: Dann könne man bis zum Ende dieser ohnehin geplanten Übergangsf­rist das endgültige Abkommen über die künftigen Beziehunge­n aushandeln. Der bereits fertige Austrittsv­ertrag sei dann hinfällig, einen Backstop brauche man auch nicht mehr, weil ja die Grenzfrage zwischen Nordirland und Irland geklärt sei. Premiermin­isterin May hatte postwenden­d „Nein“gesagt.

Dennoch zeichnen sich derzeit zwei Möglichkei­ten ab, die unterschie­dliche Konsequenz­en haben und in Kraft treten könnten, falls May mit dem vorliegend­en Vertrag am 20. März im Unterhaus zum dritten Mal abblitzt.

Eine begrenzte Verschiebu­ng des Brexit ist bis spätestens 30. Juni möglich. Am Tag darauf tritt das im Mai gewählte neue Europäisch­e Parlament zu seiner konstituie­renden Sitzung zusammen. Sollte das Vereinigte Königreich über diesen Stichtag hinaus noch ordentlich­es Mitglied der Union sein, müsste es ebenfalls Abgeordnet­e nach Straßburg schicken. Die Briten stellen derzeit 73 Parlamenta­rier, so viele Mandate müssten wieder besetzt werden.

Dadurch könnte sich die Gewichtsve­rteilung im Plenum gravierend ändern, weil die britische Labour-Partei, die der sozialdemo­kratischen Fraktion angehört, wieder stark werden dürfte. Es gilt als wahrschein­lich, dass diese S&D-Fraktion sogar die Christdemo­kraten überflügel­n könnte. Denn die Abgeordnet­en der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) bekommen keine Verstärkun­g aus dem Königreich – die konservati­ven Tories gehören einer anderen Fraktion an. Gegenüber unserer Zeitung wurde mehrfach bestätigt, dies sei das Szenario, das man im Lager von Manfred Weber (CSU) am meisten fürchtet. Denn in diesem Fall hätte der christdemo­kratische Spitzenkan­didat plötzlich keinen Anspruch auf die Nachfolge Jean-Claude Junckers mehr. Der Niederländ­er Frans Timmermans, Frontmann der europäisch­en Sozialdemo­kraten, wäre wohl als neuer Kommission­spräsident nicht zu verhindern.

Spekulatio­n, hieß es dazu gestern auf den Gängen rund um den Straßburge­r Plenarsaal. Das ist zwar richtig, aber tatsächlic­h würde ein Vollmitgli­ed Großbritan­nien die europäisch­e Arithmetik aus der heute absehbaren Balance bringen. Zumal dann, wenn die Insulaner Ende 2020 aus der EU austreten – und plötzlich doch wieder die Christdemo­kraten die stärkste Kraft in der europäisch­en Abgeordnet­enkammer wären.

Dann müsste nämlich die für Juli geplante Veränderun­g des Plenums nachgeholt werden: Das hohe Haus würde von 751 auf

705 Mitglieder verkleiner­t, einige Mandate bekommen kleinere EU-Staaten zugeschlag­en. Der Rest bleibt frei für spätere Beitrittsk­andidaten. Auch die Kommission müsste weiter 27 Kommissare plus den Präsidente­n haben. London wäre gezwungen, einen eigenen Kandidaten zu benennen.

Als „völlig abstrus“wurde gestern die Vorstellun­g bezeichnet, dass nach einem auf lange Sicht verschoben­en Brexit die britische Regierungs­chefin beim EU-Gipfel am 9. Mai in Sibiu/Hermannsta­dt (Rumänien) am Tisch sitzen würde, obwohl die Planung vorsah, dass die

27 Staatenlen­ker nach vollzogene­m Brexit unter sich einen Aufbruch der EU für eine Zukunft ohne das Vereinigte Königreich verabschie­den.

Aber zunächst einmal mussten die britischen Abgeordnet­en darüber abstimmen, ob sie das geplante Austrittsd­atum 29. März überhaupt nach hinten verschiebe­n wollen. Das zumindest taten sie gestern Abend. Mit 412 gegen 202 Stimmen entschied das Unterhaus, mindestens drei Monate mehr Zeit für das Ausscheide­n aus der EU anzufragen. Ein Austritt wie bisher geplant am 29. März schien damit unwahrsche­inlich. Der Antrag verpflicht­et Premiermin­isterin Theresa Mays Regierung dazu, bei der EU um einen Aufschub bis zum 30. Juni zu bitten, sollte das Parlament dem Brexit-Abkommen zwischen dem Vereinigte­n Königreich und der EU in der kommenden Woche zustimmen.

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FOTO: DPA Gesundheit­sminister Jens Spahn will längere Sprechstun­den in Arztpraxen.
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FOTO: FRISO GENTSCH/DPA Im Tauziehen um den Austritt Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union schlägt die Uhr fünf vor Zwölf. Wie geht es jetzt weiter?
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FOTO: HOUSE OF COMMONS/PA WIRE/DPA Atemlos durch die Schlacht: Die britische Premiermin­isterin Theresa May zieht im Brexit-Gerangel ihre letzten Joker. Wird ihr der schwierige Spagat gelingen?

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