Saarbruecker Zeitung

Fragen und Antworten zur Grenzgänge­r-Affäre

Fragen und Antworten zur Grenzgänge­r-Affäre um Fußball-Profis, die im Saarland spielen und nun Steuern nachzahlen sollen.

- VON TOBIAS FUCHS, MARK WEISHAUPT UND PATRIC CORDIER

Der Fiskus bittet Fußball-Profis des 1. FC Saarbrücke­n, der SV Elversberg und des FC Homburg zur Kasse. Es geht um Spieler, die ihren Wohnsitz in Frankreich haben. Die SZ beantworte­t die wichtigste­n Fragen zur Grenzgänge­r-Affäre.

Über Jahre verlangten die saarländis­chen Finanzbehö­rden von Fußball-Profis mit Wohnsitz in Frankreich keine Steuern. Sie stellten den Sportlern bis zuletzt Freistellu­ngsbeschei­de aus, wie anderen Grenzgänge­rn auch. Damit sie ihre Bezüge in Frankreich versteuern konnten. Nach Ansicht des Bundesfina­nzminister­iums hätte der Fiskus im Saarland wegen einer Gesetzesän­derung seit 2016 anders verfahren, die Profis selbst zur Kasse bitten müssen. Das holen die Steuerbehö­rden jetzt nach, die Betroffene­n sehen sich mit Nachforder­ungen konfrontie­rt (wir berichtete­n). Es handelt sich vor allem um Fußball-Profis, die für den 1. FC Saarbrücke­n, die SV Elversberg und den FC Homburg in der Regionalli­ga kicken. Die SZ beantworte­t die wichtigste­n Fragen zur Steueraffä­re um die Grenzgänge­r.

Was sind Grenzgänge­r?

Grenzgänge­r sind Arbeitnehm­er, die nicht in dem Land leben, in dem sie ihr Geld verdienen. In der Großregion pendelten 2017 rund 232 000 Menschen zwischen zwei Staaten, 15 500 von Lothringen ins Saarland, schätzt die Interregio­nale Arbeitsmar­ktbeobacht­ungsstelle (IBA). Mehr als ein Viertel der Einpendler aus Frankreich haben dem IBA zufolge einen deutschen Pass. Profisport­ler sind unter den Angestellt­en mit Wohnsitz in Lothringen eine winzige Gruppe, geschätzt weniger als ein Prozent.

Welche Vorteile haben Grenzgänge­r mit Wohnsitz in Frankreich?

Wer in einem französisc­hem Grenzdepar­tement wohnt und im Saarland angestellt ist, dem bieten sich Vorteile. Arbeitnehm­er profitiere­n von einer speziellen Grenzgänge­rregelung im deutsch-französisc­hen Doppelbest­euerungsab­kommen, kurz: DBA. Sozialabga­ben entrichten sie in Deutschlan­d, wo diese niedriger ausfallen als im Nachbarlan­d. Steuern zahlen Grenzgänge­r dagegen in Frankreich, was für sie günstiger sein kann. So lässt sich im Einzelfall doppelt Geld sparen.

Welche Bedeutung hatte die Grenzgänge­rregelung im Fußball?

Die Grenzgänge­rregelung war ein Standortvo­rteil für die saarländis­chen Proficlubs. Nach SZ-Informatio­nen wurde noch in der Winterpaus­e bei Verhandlun­gen mit mehr Netto im Nachbarlan­d geworben. In der Fußballsze­ne weiß man längst Bescheid. „Es ist in ganz Deutschlan­d in Spielerkre­isen bekannt, dass du weniger Steuern zahlst, wenn du hier jenseits der Grenze wohnst“, sagt FCS-Innenverte­idiger Marco Kehl-Gomez. Schon in den Neunzigerj­ahren hatten Bundesliga-Profis des FCS ihren Wohnsitz jenseits der Grenze. Heute unterhält die SV Elversberg ein Trainingsz­entrum im lothringis­chen Grosbliede­rstroff.

Wieso gilt für Sportler die Grenzgänge­rregelung nicht mehr?

Im März 2015 überarbeit­eten Berlin und Paris ihr Steuerabko­mmen. Sie fügten eine Spezialkla­usel in das Papier ein, den Artikel 13b – zur Besteuerun­g von Sportlern, Künstlern und Models. Seit dem 1. Januar 2016 müssen diese Berufsgrup­pen ihre Einkünfte dort versteuern, wo sie arbeiten. Eine Anwendung der Grenzgänge­rregelung auf Sportler sei seitdem nicht mehr möglich, erklärt das Bundesfina­nzminister­ium. Das liegt nach Ansicht des Bundes am Wortlaut von Artikel 13b, der „ungeachtet“anderer Vorschrift­en greifen soll – inklusive der für Grenzgänge­r. Heikel für das Saarland: Seine Steuerverw­altung stufte Fußball-Profis trotz der Sportlerkl­ausel wie andere Angestellt­e mit französisc­hem Wohnsitz ein. Die Finanzämte­r befreiten sie noch 2018 von Abgaben hierzuland­e – damit sie ihre Steuern im Nachbarlan­d zahlen konnten.

Weshalb bitten die saarländis­chen Steuerbehö­rden jetzt Sportler mit Wohnsitz in Frankreich zur Kasse?

Im Februar 2019 beschied das Bundesmini­sterium der Finanzen (BMF) dem Land schriftlic­h, dass es in Frankreich ansässige Sportler seit drei Jahren besteuern müsste. Das von Peter Strobel (CDU) geführte Saar-Finanzmini­sterium hatte sich im November an die oberste Bundesbehö­rde gewandt. Nachdem durchgedru­ngen war, wie Baden-Württember­g mit der Sportlerkl­ausel im deutsch-französisc­hen Steuerabko­mmen umgeht. Nun spricht man in Saarbrücke­n von einer „vorläufige­n Einschätzu­ng“aus Berlin, ein Erlass befinde sich noch in der Abstimmung. Das Saarland interpreti­ert die Rechtslage anders, sammelte Argumente für sein bisheriges Vorgehen. „Wir gehen davon aus, dass die Sportlerre­gelung für selbständi­ge Sportler gilt, die umherreise­n, nicht für angestellt­e Sportler“, sagt Elmar Braun, als Abteilungs­leiter im Finanzmini­sterium zuständig für Steuerpoli­tik. Das ändert nichts an den Vorgaben aus dem BMF. Daher werden Freistellu­ngsbeschei­de widerrufen, nachträgli­ch Steuern verlangt.

Was brachte den Stein ins Rollen?

Ein Ex-Bundesliga­kicker gab den Anstoß. Er wechselte im vergangene­n Jahr vom Saarland nach Baden-Württember­g. Dort soll er nach SZ-Informatio­nen den Freistellu­ngsbeschei­d der hiesigen Steuerbehö­rden vorgelegt haben – was zu Nachfragen bei den Behörden in Saarbrücke­n führte. Denn: Das Finanzmini­sterium in Stuttgart bewegt sich bei der Sportlerkl­ausel des Steuerabko­mmens auf einer Linie mit dem Bund. Die Norm des Artikels 13b habe Vorrang vor der Grenzgänge­rregelung, teilt eine Sprecherin mit. Das bedeute, dass an Sportler seit 2016 keine Freistellu­ngsbeschei­nigungen mehr ausgestell­t werden dürften, so das Ministeriu­m im Ländle: „Die Finanzämte­r in Baden-Württember­g wurden entspreche­nd angewiesen.“

Haben die saarländis­chen Finanzbehö­rden einen Fehler gemacht?

Es gehe um eine „komplexe Rechtsfrag­e“, antwortet das saarländis­che Finanzmini­sterium. Jedoch deutet einiges davon hin, dass man mögliche Auswirkung­en der Gesetzesän­derung zum 1. Januar 2016 nicht erkannte. Ein Vereinsver­treter ist überzeugt: Keiner habe die Sportlerre­gelung auf dem Schirm gehabt. In Gesprächen mit Ministeria­lbeamten hat er den Eindruck gewonnen: „Das ist denen unendlich peinlich.“

Anders äußert sich Herbert Eder, Präsident des FC Homburg. „Diese Änderung hat sich ins Gesetz geschliche­n“, sagt der Steuerbera­ter. „Wir alle hatten das nicht auf dem Schirm, weil die ganze Fachlitera­tur das nicht beschriebe­n hat.“Dass bei Sportlern die Grenzgänge­rregelung für Angestellt­e nicht mehr gilt, hält Eder für einen „Lapsus“auf höherer Ebene, im Steuerabko­mmen – er spricht von einem „redaktione­llen Versehen“. Denn: „Das hat für mich den Charakter der Diskrimini­erung.“

Wie viele Sportler sind betroffen – und um wie viel Geld geht es?

Ein Insider rechnet mit 50 Fußball-Profis – allein bei einem der drei Großclubs. Hochgerech­net ergäbe das seit 2016 eine dreistelli­ge Zahl an Betroffene­n, die Forderunge­n der Finanzbehö­rden könnten geschätzt eine Millionens­umme ergeben. Das Saar-Finanzmini­sterium schweigt zu solchen Zahlen, es verweist auf das Steuergehe­imnis. Aufgrund des Verteilsch­lüssels käme von den Geldern nur ein Mini-Betrag im Landeshaus­halt an.

Lassen sich die Steuern nachträgli­ch eintreiben?

Ob die Steuerverw­altung jemals Geld sehen wird, von jedem einzelnen Profi, erscheint unsicher – zu viele Fragen sind ungeklärt. Der Bund habe rechtlich entschiede­n, daran halte man sich, erklärt eine Sprecherin. Es bleibe aber abzuwarten, welche Entscheidu­ng die Finanzgeri­chte träfen und wie eine Klärung zwischen Deutschlan­d und Frankreich aussehen werde. „Juristisch gesehen ist alles offen“, sagt FCH-Präsident Eder. „Das Ende würde ich beim Europäisch­en Gerichtsho­f sehen.“

Was sagen die Sportler?

„Wir haben nichts falsch gemacht. Alle Steuern gezahlt, alle Bescheinig­ungen eingereich­t“, sagt Marco Kehl-Gomez vom 1. FC Saarbrücke­n: „Das Finanzamt hat den Bock geschossen und will nun rückwirken­d für drei Jahre Geld.“Zwar dürfen die Profis mit Rückzahlun­gen der französisc­hen Behörden rechnen. Dafür wären in Deutschlan­d vermutlich Aufschläge fällig. Der 26-Jährige sagt: „Es gibt Spieler, die haben gebaut, andere haben investiert. Es geht hier auch um Existenzen, die man sich für nach der aktiven Zeit aufbauen wollte.“

Hat die Steueraffä­re direkte Auswirkung­en auf die sportliche­n Planungen der Vereine?

Verhandlun­gen mit Spielern dürften sich komplizier­ter gestalten. Es geht nun auch um das Vertrauens­verhältnis zwischen den Clubs und ihren Angestellt­en – nicht nur um eine mögliche Steuerersp­arnis. „Ich habe damit nie aktiv geworben, nur auf Nachfrage eingeräumt, dass bei uns einige Spieler diese Möglichkei­t nutzen“, sagt FCS-Sportdirek­tor Marcus Mann. Angesichts der unangenehm­en Post vom Finanzamt geht FCH-Präsident Eder von „Rückkopplu­ngen auf den Arbeitsber­eich“aus – also den Sport.

 ?? FOTO: SCHLICHTER ?? Fußball-Profis, die beim 1. FC Saarbrücke­n, bei der SV Elversberg oder in Homburg kicken, aber in Frankreich wohnen, werden zur Kasse gebeten.
FOTO: SCHLICHTER Fußball-Profis, die beim 1. FC Saarbrücke­n, bei der SV Elversberg oder in Homburg kicken, aber in Frankreich wohnen, werden zur Kasse gebeten.
 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Saar-Finanzmini­ster Peter Strobel (CDU).
FOTO: OLIVER DIETZE Saar-Finanzmini­ster Peter Strobel (CDU).
 ?? FOTO: THOMAS WIECK ?? Herbert Eder, Präsident des FC Homburg.
FOTO: THOMAS WIECK Herbert Eder, Präsident des FC Homburg.
 ?? FOTO: SCHLICHTER ?? Marco Kehl-Gomez vom 1. FC Saarbrücke­n.
FOTO: SCHLICHTER Marco Kehl-Gomez vom 1. FC Saarbrücke­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany