Wer keine Gasse bilden will, muss fühlen
Weil sie im Stau keinen Rettungsweg freigemacht haben, wurden im vergangenen Jahr mehr als 2400 Verkehrsteilnehmer belangt.
BERLIN/SAARBRÜCKEN Es ist ein immer wiederkehrendes Ärgernis: die fehlende Rettungsgasse. Diese muss übrigens schon dann gebildet werden, wenn der Verkehr stockt – und nicht erst, wenn sich Hilfskräfte mit Martinshorn und Blaulicht von hinten nähern. Erstmals liegen jetzt Zahlen vor, wie viele Verkehrsteilnehmer im vergangenen Jahr bestraft wurden, weil sie bei einem Stau keine Rettungsgasse gebildet haben: insgesamt über 2400. Offenbar greift die Polizei verstärkt durch. Seit Ende 2017 gelten deutlich härtere Strafen für Autofahrer, wenn sie bei einem Stau keine Rettungsgasse herstellen.
Auch Punkte in Flensburg gibt es seitdem, so dass die Zahl der Delikte neuerdings beim Kraftfahrtbundesamt erfasst wird. Von den rund 2400 bestraften Autofahrern behinderten oder gefährdeten gut 700 direkt Rettungskräfte mit Blaulicht und Einsatzhorn auf dem Weg zur Unfallstelle, weil sie nicht sofort die Bahn freimachten. Die Statistik für 2018 geht aus der Antwort des Bundesjustizministeriums auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Die Angaben seien jedoch „vorläufig“, so das Ressort von Ministerin Katarina Barley (SPD). Das heißt, nach Auswertung aller Daten dürfte die Zahl deutlich höher ausfallen. Experten weisen zudem darauf hin, dass nur ein Bruchteil der Verstöße geahndet wird.
2017 waren die Strafen verschärft worden, insbesondere wegen eines Reisebus-Unfalls mit 18 Toten auf der A 9 in Nordbayern. Damals erschwerten rücksichtlose Autofahrer es den Rettern, zur Unglücksstelle zu kommen. Auch Gaffer behinderten die Einsatzkräfte. In der Folge wurde der Regelsatz von 20 Euro auf 200 Euro Bußgeld erhöht plus zwei Punkte in Flensburg, wenn man bei stockendem Verkehr keine Rettungsgasse bildet. Kommt eine Behinderung, Gefährdung oder Sachbeschädigung hinzu, steigt die Geldstrafe an, und es gibt ein einmonatiges Fahrverbot.
Für den FDP-Verkehrsexperten Christian Jung belegt die Erhebung, dass der Handlungsdruck nach wie vor groß ist. „Auch bei der Aufklärung der Bürger“, sagte Jung zu unserer Redaktion. Er forderte zudem, Rettungswagen und Feuerwehren mit moderner Videotechnik auszurüsten, damit Ermittlungsbeamte dann auf das Material zurückgreifen könnten. Vor allem Lkw-Fahrer nähmen zu oft zu wenig Rücksicht. Auch das Thema Gaffer gehöre in diesem Zusammenhang nochmal auf die Tagesordnung.
Vor dem Hintergrund der zahlreichen Vorfälle „sind die seit Oktober 2017 deutlich erhöhten Geldbußen aus Sicht des ADAC folgerichtig und auch angemessen“, sagte eine Sprecherin des Automobilclubs auf Nachfrage. Denn die Regeln für die oft lebenswichtige Rettungsgasse würden von den Verkehrsteilnehmern nach wie vor nicht konsequent befolgt – wobei sie auch immer noch nicht jedem bekannt seien. Laut ADAC funktioniert eine Rettungsgasse so: Wer auf dem linken Fahrstreifen fährt, weicht dann nach links aus. Wer auf einem den übrigen Fahrstreifen unterwegs ist, nach rechts. Dies gilt unabhängig davon, wie viele Fahrstreifen vorhanden sind.
Im Saarland macht das Verkehrsministerium seit 2015 mit Brückenbannern, Aufklebern, Plakaten und verstärkt über das Radio auf Rettungsgassen aufmerksam. Dem Ministerium zufolge wurden im vergangenen Jahr 22 neue Banner an elf Standorten im Saarland angebracht, wo zu Hauptverkehrszeiten besonders dichter Verkehr herrscht. Appelle über die Rundfunkanstalten in den Verkehrsnachrichten sollen die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer für die Bildung von Rettungsgassen zusätzlich schärfen.
Übrigens sind es nicht immer nur Autofahrer, die Rettungskräfte behindern. In der Saarlouiser Altstadt beispielsweise blieben im Frühsommer vergangenen Jahres mehrere Gäste einfach sitzen, als sich die Feuerwehr bei zwei Einsätzen mit teils schwerem Gerät den Weg durch eine Mittelgasse bahnen musste (wir berichteten). Dabei sollen Feuerwehrleute sogar angepöbelt worden sein. Nach Angaben der Feuerwehr müssen gerade in den Altstadtgassen mit ihren dicht aneinander gebauten Häusern die Rettungskräfte besonders schnell vor Ort sein, damit ein Brand nicht auf weitere Gebäude übergreift.