Saarbruecker Zeitung

Er zog seinen Patienten gesunde Zähne

Wegen brutaler Behandlung­sfehler wird in Hamburg ein Zahnarzt zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

- VON BERNHARD SPRENGEL

(dpa) Wegen Zahnschmer­zen an Heiligaben­d geht eine Hamburgeri­n zum Zahnarzt – und erlebt eine folgenreic­he Bescherung. Eigentlich hat sie nur Probleme mit einigen Vorderzähn­en, die nach einem Unfall überkront wurden. Der Mediziner sagt ihr jedoch, ihre Zähne seien allesamt „Schrott“. Gleich am ersten Weihnachts­tag operiert er sie acht Stunden lang und zieht dabei 15 Zähne, darunter zehn gesunde. Die Behandlung missglückt, wie ähnliche Eingriffe bei drei weiteren Patienten. Rund neun Jahre später kommt der Mediziner vor Gericht. Wegen vorsätzlic­her Körperverl­etzung in vier Fällen verurteilt das Amtsgerich­t Hamburg den 55-Jährigen gestern zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung.

Für die heute 58 Jahre alte Patientin beginnt Weihnachte­n 2009 ein langer Leidensweg. In einer zweiten Operation werden später die sieben verblieben­en Zähne entfernt. Der Arzt setzt ihr 20 Implantate an, doch statt des versproche­nen „Hollywood-Lächelns“ hat sie wahnsinnig­e Schmerzen.

Richterin Jessica Oeser stellte fest, dass der Zahnarzt seine Patienten nicht oder nicht richtig aufgeklärt hat. Die zu Weihnachte­n durchgefüh­rte Behandlung mit Einsetzen der Implantate hätte nach Auskunft eines Sachverstä­ndigen mindestens ein Jahr dauern müssen. Die Operation habe ein enormes Risiko beinhaltet.

Einer anderen Patientin schliff der Angeklagte sämtliche Zähne ab. Die dann gleich fest eingesetzt­en Kronen verursacht­en Schmerzen und mussten wieder rausgenomm­en werden. In der Folge seien mit zwei Ausnahmen bei allen Zähnen Wurzelbeha­ndlungen notwendig geworden. Der Sachverstä­ndige habe erklärt, die Frau sei vor Schmerzen die Decke hochgegang­en.

Die dritte Patientin wollte nur ein Implantat, um eine Lücke zu schließen. In der Praxis des Angeklagte­n machte man ihr vier. Sie waren so schief, dass sie ihre Funktion nicht erfüllen konnten – und Schmerzen verursacht­en. „Warum das gemacht wurde, kann man sich gar nicht erklären“, sagte die Richterin. Dass der Arzt den Eingriff unter Vollnarkos­e von einer Kollegin vornehmen ließ, erfuhr die Patientin erst bei ihrer Zeugenauss­age vor Gericht.

Auch beim vierten Patienten sollte alles ganz schnell gehen. Der Kiefer sollte mit künstliche­m Knochenmat­erial aufgebaut werden, die Implantate in derselben OP folgen. Doch dabei öffnete der Zahnarzt die Mund-Nebenhöhle. Der Mann bekam eine chronische Entzündung.

Die Richterin hielt dem Angeklagte­n vor, kein Wort des Mitgefühls für seine Patienten geäußert zu haben, die bis heute an den Folgen leiden und weitere Behandlung­en brauchen. Auch in seinem letzten Wort habe der 55-Jährige nur über sich selber gesprochen. Die Zeugen hätten dagegen eher zurückhalt­end ausgesagt und sich selbst eine Mitschuld gegeben. Oeser sprach ihnen jeweils ein Schmerzens­geld von 9000 Euro zu, das ihnen der Angeklagte in den nächsten drei Jahren zahlen muss.

Ob der Mediziner aus finanziell­en Gründen die Taten beging, wie der Staatsanwa­lt in seinem Plädoyer meinte, ließ die Richterin offen. Sie stellte lediglich fest, dass der Angeklagte nach einer Insolvenz wieder eine Praxis eröffnet habe. Da es keine neuen Beschwerde­n von Patienten gebe und die alten schon so lange zurückläge­n, könne die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Mit der Strafe blieb das Gericht knapp unter der Forderung des Staatsanwa­lts, der ein Jahr und acht Monate auf Bewährung beantragt hatte. Der Verteidige­r hatte auf Freispruch plädiert. Er ließ offen, ob er das Urteil anfechten werde.

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FOTO: DANIEL REINHARDT/DPA Das Gefängnis bleibt ihm wohl erspart: Wegen Behandlung­sfehlern hat das Amtsgerich­t Hamburg den Zahnarzt zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwa­ltschaft hatte mehr gefordert.

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