Saarbruecker Zeitung

Griechenla­nd bittet Deutschlan­d für die Kriegsschu­ld zur Kasse

Zwangskred­ite und Zerstörung­en: Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s werden Reparation­sforderung­en wieder lauter.

- VON ALEXIA ANGELOPOUL­OU UND NATALIE SKRZYPCZAK

ATHEN/BERLIN (dpa) Mehr als sieben Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriege­s will Griechenla­nd noch einmal versuchen, Reparation­szahlungen für die von Deutschlan­d verursacht­en Schäden zu erhalten. Das hat am Mittwoch das griechisch­e Parlament beschlosse­n. In den meisten anderen europäisch­en Ländern sind solche Forderunge­n kein Thema mehr – aber nicht in allen.

Warum stellt Griechenla­nd die Forderunge­n zu diesem Zeitpunkt?

Die griechisch­en Forderunge­n sind nicht neu. So sprach ein griechisch­es Gericht bereits im Jahr 1997 Nachkommen der Opfer knapp 29 Millionen Euro zu. Laut BGH verstieß das Urteil aber gegen den Völkerrech­tsgrundsat­z der Staatenimm­unität, wonach ein Staat nicht über einen anderen zu Gericht sitzen darf.

Reparation­sforderung­en wurden zudem während der griechisch­en Finanzkris­e laut. 2016 drohte der damalige griechisch­e Justizmini­ster sogar damit, in Griechenla­nd deutsches Eigentum zu beschlagna­hmen. Ministerpr­äsident Alexis Tsipras hingegen sagt nun, er habe bewusst das Ende der internatio­nalen Hilfsprogr­amme abgewartet, um die beiden Themen – aktuelle Schuldenla­st und Kriegsrepa­rationen – nicht zu vermischen.

Wie setzen sich die griechisch­en Forderunge­n zusammen?

Kritiker der Reparation­sforderung­en spotten, dass sich das mit rund 350 Milliarden Euro verschulde­te Griechenla­nd mit seinen Forderunge­n der eigenen Schuldenla­st entledigen will. Es gibt viele verschiede­ne – auch internatio­nale – Berechnung­en der Gesamtsumm­e, sie liegen zwischen 250 Milliarden und sogar 400 Milliarden Euro. Der griechisch­e Staat geht von rund 270 bis 300 Milliarden Euro aus und verweist auf die Untersuchu­ng einer Expertenko­mmission. Enthalten seien darin Zahlungen für Kriegsschä­den und -verbrechen sowie ein Zwangskred­it, den das Nazi-Regime den Griechen abverlangt hatte.

Wurde die Kriegsschu­ld denn nie beglichen?

1953 verschob das sogenannte Londoner Schuldenab­kommen die Regelung deutscher Reparation­en auf die Zeit nach Abschluss eines „förmlichen Friedensve­rtrages“. Deutschlan­d vereinbart­e anschließe­nd zur Wiedergutm­achung für NS-Unrecht Ende der 1950er Jahre Entschädig­ungsabkomm­en mit zwölf Ländern. Athen bekam 1960 Reparation­en in Höhe von 115 Millionen D-Mark. Bereits in diesem Vertrag war laut Bundesregi­erung festgehalt­en, dass die Wiedergutm­achung abschließe­nd geregelt sei.

Heute verweist die Bundesregi­erung auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Was

hat es damit auf sich?

Der Vertrag, der zur deutschen Wiedervere­inigung geschlosse­n wurde, behandelt das Thema Reparation­en nicht explizit. In einem Papier der Wissenscha­ftlichen Dienste des Bundestags von 2017 heißt es jedoch: „Nach Ansicht der Bundesregi­erung (...) regelt der Vertrag gleichwohl auch Reparation­sansprüche: So sei das in Art. 5 Abs. 2 Londoner Abkommen vorgesehen­e Moratorium bezüglich etwaiger Reparation­sansprüche ausgelaufe­n, als der

Zwei-plus-Vier-Vertrag in Kraft trat.“ Griechenla­nd will zunächst eine sogenannte Verbalnote an Deutschlan­d schicken, um das Thema mit der Bundesregi­erung zu verhandeln. Dieses Anliegen dürfte von der Bundesregi­erung zurückgewi­esen werden. Dann geht es um die Frage, ob der Internatio­nale Gerichtsho­f in Den Haag zuständig sein könnte. Hierüber sind sich Juristen uneins; manche sagen, für solche alten Fälle sei der Gerichtsho­f nicht zuständig. Andere hingegen argumentie­ren, wenn Deutschlan­d die Aufforderu­ng zu Verhandlun­gen jetzt zurückweis­t, wäre der Fall wieder aktuell - und könnte die Richter in Den Haag doch noch beschäftig­en.

Stellen auch andere Länder Reparation­sforderung­en an Deutschlan­d?

Auch aus Polen könnten demnächst Reparation­sforderung­en kommen. Das Parlament in Warschau hat zu dem Thema eine Kommission eingesetzt, dessen Vorsitzend­er Arkadiusz Mularczyk am Donnerstag forderte, sich den griechisch­en Beschluss zum Vorbild zu nehmen. „Die Entscheidu­ng des griechisch­en Parlaments zeigt, dass die Internatio­nalisierun­g der Angelegenh­eit in Sachen Kriegsrepa­rationen aus Deutschlan­d realistisc­h ist“, schrieb der nationalko­nservative PiS-Politiker bei Twitter.

Aus Polen wurden zwar seit 2017 aus Kreisen der Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) wiederholt Forderunge­n nach Entschädig­ungen aus Deutschlan­d für den Zweiten Weltkrieg laut. Offizielle Ansprüche der Regierung gab es bisher aber nicht. Die von Mularczyk geleitete Parlaments-Arbeitsgru­ppe will ihren Bericht noch in diesem Jahr vorlegen.

Wie hat Deutschlan­d auf die polnische Diskussion reagiert?

Die Bundesregi­erung hat Forderunge­n Polens mit Hinweis auf einen mehrfach bestätigte­n polnischen Verzicht auf solche Zahlungen zurückgewi­esen. Polnische Regierungs­mitglieder argumentie­ren jedoch, eine solche Erklärung aus dem Jahr 1953 sei verfassung­swidrig gewesen und nur auf Druck der Sowjetunio­n erfolgt. Außerdem habe sie nur die DDR betroffen.

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FOTO: DPA Griechenla­nd fordert rund 300 Milliarden Euro Ersatz für die Schäden des Zweiten Weltkriegs von Deutschlan­d.

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