Saarbruecker Zeitung

Selbst die Digitalmin­isterin schwört auf die Rohrpost

Wer hätte das gedacht – in Merkels Kanzleramt setzt man auf eine altbewährt­e Übermittlu­ng – bei der Hacken und Abhören unmöglich ist.

- VON HAGEN STRAUSS

BERLIN Es ist die Schaltzent­rale der Bundesregi­erung und eines der größten und wichtigste­n Regierungs­gebäude in Europa: Das Bundeskanz­leramt, vom Berliner Volksmund auch „Waschmasch­ine“genannt. Doch was viele nicht wissen: In Angela Merkels Dienstsitz greift man mit Vorliebe auf ein System zurück, das vor allem im vergangene­n Jahrhunder­t verwendet wurde: auf ein Rohrpostsy­stem. Und wen freut es offenbar am meisten? Ausgerechn­et die Digitalmin­isterin Dorothee Bär (CSU).

Klar, die Flure im Kanzleramt, das demnächst auch noch erweitert werden soll, bringen es zusammenge­legt auf einige Kilometer. Da ist jede Hilfe willkommen. Doch in Zeiten von E-Mail, Digitalisi­erung, 5 G und Industrie 4.0 sollte man meinen, dass das Versenden von Dokumenten in kleinen zylindrisc­hen Behältern mittels Druckluft durch lange Röhren der Vergangenh­eit angehört. Nicht so an der Willy-Brandt-Straße Nummer 1 in Berlin.

Im Jahr 2019 wurden demnach „bisher circa 2400 Vorgänge monatlich per Rohrpost übermittel­t“, heißt es in der Antwort der Staatsmini­sterin und Beauftragt­en für Digitales, Dorothee Bär, auf eine aktuelle Anfrage der FDP-Bundestags­fraktion. Weiter ist in dem unserer Redaktion vorliegend­en Papier zu lesen: „Eine kostengüns­tigere Form der Übermittlu­ng ist bis zur Einführung der elektronis­chen Akte im Bundeskanz­leramt nicht vorhanden.“Als Alternativ­e, rechnet Bär vor, käme nur eine Übermittlu­ng durch Boten in Betracht. Doch um 120 Vorgänge täglich zu versenden, seien drei Boten zusätzlich nötig, deren Personalko­sten sich auf 137 000 Euro belaufen würden. Zu teuer also. Die Wartungs- und Instandset­zungskoste­n der Rohrpostan­lage seien demgegenüb­er deutlich geringer.

Das stimmt. Seit 2014 wurden pro Jahr zwischen 9000 und 12 000 Euro für die Erhaltung und Reparatur des weit verzweigte­n Systems ausgegeben. In diesem Jahr sind laut Bärs Antwort bislang Kosten von 2500 Euro angefallen. In Berlin hielt sich einst hartnäckig das Gerücht, dass das Kanzleramt das System intensiver nutze, seit im Jahr 2014 der NSA-Skandal bekannt wurde, also das Ausspionie­ren der deutschen Regierung durch den amerikanis­chen Geheimdien­st. Selbst Angela Merkels Handy war damals betroffen. Fest steht jedenfalls: Die Rohrpost kann man nicht hacken. Und sie ist abhörsiche­r. Das schätzt man auch im Kanzleramt, wenn wichtige Dokumente mit Druckluft durch die Röhren auf Reisen gehen.

Die FDP sieht darin allerdings einen Beleg, dass die Bundesregi­erung in Sachen Digitalisi­erung kein Konzept hat. „Dass mit Dorothee Bär gerade die Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung im Kanzleramt sagt, dass die antiquiert­e Rohrpost quasi alternativ­los sei, lässt tief blicken“, so Parlaments­geschäftsf­ührer Marco Buschmann zu unserer Redaktion. Das sei symptomati­sch. Statt Innovation­en und Chancen zu nutzen, verharre die Bundesregi­erung in alten Strukturen. „Stattdesse­n brauchen wir endlich einen Digitalisi­erungsturb­o, sowohl in der öffentlich­en Verwaltung wie auch der gesamten Infrastruk­tur“, so Buschmann. Wobei zur Wahrheit gehört: Mehr als 150 Jahre nach ihrer Erfindung hat die Rohrpost auch in anderen Bereichen nicht ausgedient. In Hochschule­n, Behörden, Kliniken und auch Unternehme­n kommt sie ebenfalls noch zum Einsatz.

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