Saarbruecker Zeitung

Warum der Neuanfang auch mit Nahles nicht gelingt

- Ein Jahr SPD-Chefin

Vor einem Jahr stand die SPD nahe am Abgrund. Das kollektive Selbstbewu­sstsein war verschütte­t und das Siechtum deutlich zu spüren. Also sehnte sich die Partei nach einer glanzvolle­n Führungspe­rsönlichke­it – und bekam Andrea Nahles. Seitdem sind die Genossen nicht vom Abgrund weggekomme­n. Schlimmer noch: Die Umfragen für die SPD sind heute noch dürftiger als damals. Ein vernichten­der Zwischenbe­fund für Andrea Nahles.

Zu tun hat das damit, dass sie praktisch schon bei ihrer Wahl zur Vorsitzend­en als Hoffnungst­rägerin verbrannt war. Wer nur zwei Drittel der Delegierte­nstimmen auf sich vereinigen kann, taugt kaum als personifiz­ierter Neuanfang. Dabei gab es zwischenze­itlich durchaus einen Moment, der das Blatt hätte wenden können. Nämlich den, als Angela Merkel ankündigte, das Feld als CDUund Regierungs­chefin zu räumen. So hatte es sich die SPD insgeheim immer gewünscht, um leichter wieder nach vorn zu kommen. Aber die Chance versandete. Spätestens hier kommen die innerparte­ilichen Querelen wieder ins Spiel. Zwar ist es Nahles gelungen, die politische Sacharbeit in den Vordergrun­d zu rücken. Die Kevin Kühnerts der Partei sind weniger aufmüpfig als noch vor Monaten. Aber die Stänkereie­n von Altvordere­n wie Gerhard Schröder oder Sigmar Gabriel gegen Nahles verstärken den Eindruck, dass die Vorsitzend­e nicht als Vorsitzend­e taugt und schon gar nicht als nächste Kanzlerkan­didatin. Ihre bisweilen schrille Art sowie handwerkli­che Fehler wie etwa in der Affäre um den ehemaligen Verfassung­sschutzprä­sidenten Maaßen komplettie­ren das negative Bild.

Bleibt der stärker erkennbare Linkskurs, auf den Nahles die SPD

eingeschwo­ren hat. Hartz IV überwinden, die Einschnitt­e bei den gesetzlich­en Alterseink­ünften vergessen machen, kurzum, den Geist der Agenda 2010 in die Flasche zwingen. Was der Trauma-Bewältigun­g der Genossen dient, ist aber eben noch längst kein Erfolgsrez­ept für mehr Wählerstim­men. Als Reparaturb­etrieb in eigener Sache aufzutrete­n hat überhaupt wenig Visionäres. Dabei liegen die Zukunftsth­emen quasi auf der Straße. Die Digitalisi­erung der Arbeitswel­t beispielsw­eise ist eine riesige Herausford­erung, der sich die

SPD als einst stolze Arbeiterpa­rtei mit aller Kraft widmen müsste. Stattdesse­n verzettelt sie sich allzu häufig in populären Reflexen, die eher zu neuen Enttäuschu­ngen führen. Man denke nur an die geplante Grundrente ohne jegliche Bedürftigk­eitsprüfun­g. Nach Lage der Dinge wird sie so nicht kommen.

Nun wachsen auch bei der CDU die Bäume nicht in den Himmel. Der Zauber des Anfangs von Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist verflogen. Allerdings ist das Umfrage-Polster dort noch etwas erträglich­er als bei der SPD. Gehen die Europawahl­en schief und obendrein der Stimmungst­est im Osten bei gleich drei Urnengänge­n nach der Sommerpaus­e, könnte Nahles ihre Zukunft als Vorsitzend­e hinter sich haben. Im Fußball jedenfalls wechselt eine derart gebeutelte Mannschaft dann meist den Trainer aus.

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