Wieder Schüsse in Londonderry
Erinnerungen an den Bürgerkrieg in Nordirland werden wach: Londonderry wird erneut von Unruhen erschüttert – jetzt starb eine Journalistin.
LONDONDERRY (dpa) Wieder wird die Grüne Insel von Unruhen erschüttert. Bei gewaltsamen Ausschreitungen ist in der nordirischen Stadt Londonderry eine Journalistin mit einem Kopfschuss getötet worden. Der Tod der 29-Jährigen im Wohngebiet Creggan am Stadtrand sei wohl ein „terroristischer Vorfall“, teilte die Polizei am Freitag mit.
Seit Jahresbeginn sind in Londonderry wiederholt Sprengsätze explodiert, ohne dass es dabei Verletzte gegeben hätte. Einer davon detonierte im Januar vor einem Gericht mitten in der Stadt, nachdem kurz zuvor eine Warnung bei den Behörden eingegangen war.
Die Polizei leitete nach den Schüssen auf die Journalistin Mordermittlungen ein. Sie vermutet, dass hinter der Tat eine militante Republikaner-Gruppe namens Neue IRA stecken könnte. „Das ist nicht nur eine Attacke auf eine junge Frau, sondern gegen die Bürger dieser Stadt“, sagte ein leitender Polizist. Die Polizei berichtete, dass für den Mord an der Journalistin sicherlich mehrere Personen verantwortlich seien.
Das abgelegene Nordirland, in dem jahrzehntelang ein Bürgerkrieg wütete, gehört zu Großbritannien. Politiker sowohl aus dem Vereinigten Königreich als auch Irland verurteilten die Tat scharf.
In Creggan wurden am späten Donnerstagabend mehr als 50 Brandsätze auf Polizisten geschleudert. Ein Unbekannter soll Schüsse abgefeuert haben, von denen Augenzeugen zufolge einer die Journalistin traf. Auf Bildern vom Tatort waren brennende Autos, gepanzerte Einsatzfahrzeuge der Polizei und schwer bewaffnete Sicherheitskräfte zu sehen.
Auslöser für die Krawalle könnte der jährliche Protest an Ostern im Zusammenhang mit dem Nordirland-Konflikt gewesen sein. Irisch-katholische Nationalisten erinnern mit Unruhen an den Aufstand gegen die Briten im Jahr 1916.
In Nordirland sind paramilitärische Gruppierungen auch mehr als 20 Jahre nach dem friedensstiftenden Karfreitagsabkommen aktiv. Sie agieren wie ein Staat im Staat und finanzieren sich unter anderem durch Drogenhandel. Die bewaffneten Gruppen erhoffen sich von einem Wiederaufflammen des Konflikts neue Legitimation und Geld.
Befürchtet wird vor allem, dass im Zuge des bevorstehenden Brexits die Gewalt zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland
„Wir können nicht jenen erlauben, die Gewalt, Angst und Hass verbreiten, uns in die Vergangenheit zurückzuziehen.“
Leo Varadkar Irischer Premierminister
bei Einführung von Grenzkontrollen wieder aufflammen könnte.
Entsprechend einig gaben sich die Politiker dies- und jenseits der Grenze: Die britische Premierministerin Theresa May sprach von einer „schockierenden und wahrlich sinnlosen“Tat. Die Journalistin Lyra McKee habe ihre Arbeit mit großem Mut ausgeübt. Der irische Premierminister Leo Varadkar teilte in Dublin mit: „Wir können nicht jenen erlauben, die Gewalt, Angst und Hass verbreiten, uns in die Vergangenheit zurückzuziehen.“Die Chefin der nordirischen Partei DUP, Arlene Foster, nannte die Tat „sinnlos“. „Diejenigen, die in den 70er, 80er und 90er Jahren Schusswaffen in unsere Straßen gebracht haben, lagen falsch. 2019 ist es auch falsch.“Die DUP unterstützt Mays Minderheitsregierung.
Die EU-Kommission reagierte besorgt auf den Vorfall: „Wir verurteilen solche Gewalt und sind zuversichtlich, dass die britischen Behörden die genauen Umstände dieses tragischen Vorfalls aufklären werden“, so ein Sprecher. Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Europawahl, Manfred Weber, erklärte auf Twitter: „Dieser besorgniserregende Anstieg der Gewalt in Nordirland ist auch eine Warnung an uns: Wir müssen alles tun, um den Frieden in Nordirland und das Karfreitagsabkommen trotz des Brexits zu sichern.“
Im Bürgerkrieg starben etwa 3700 Menschen, 50 000 wurden verletzt und 500 000 gelten in dem Landesteil als traumatisiert. In dem über Jahrzehnte währenden Konflikt standen katholische Nationalisten, die eine Vereinigung mit Irland anstreben, protestantischen Unionisten gegenüber, die weiter zu Großbritannien gehören wollen.Traurige Berühmtheit erlangte Londonderry durch den sogenannten Blutsonntag. Britische Fallschirmjäger erschossen am 30. Januar 1972 dort 13 katholische Demonstranten.