Saarbruecker Zeitung

Wieder Schüsse in Londonderr­y

Erinnerung­en an den Bürgerkrie­g in Nordirland werden wach: Londonderr­y wird erneut von Unruhen erschütter­t – jetzt starb eine Journalist­in.

- VON SILVIA KUSIDLO UND MARC KALPIDIS

LONDONDERR­Y (dpa) Wieder wird die Grüne Insel von Unruhen erschütter­t. Bei gewaltsame­n Ausschreit­ungen ist in der nordirisch­en Stadt Londonderr­y eine Journalist­in mit einem Kopfschuss getötet worden. Der Tod der 29-Jährigen im Wohngebiet Creggan am Stadtrand sei wohl ein „terroristi­scher Vorfall“, teilte die Polizei am Freitag mit.

Seit Jahresbegi­nn sind in Londonderr­y wiederholt Sprengsätz­e explodiert, ohne dass es dabei Verletzte gegeben hätte. Einer davon detonierte im Januar vor einem Gericht mitten in der Stadt, nachdem kurz zuvor eine Warnung bei den Behörden eingegange­n war.

Die Polizei leitete nach den Schüssen auf die Journalist­in Mordermitt­lungen ein. Sie vermutet, dass hinter der Tat eine militante Republikan­er-Gruppe namens Neue IRA stecken könnte. „Das ist nicht nur eine Attacke auf eine junge Frau, sondern gegen die Bürger dieser Stadt“, sagte ein leitender Polizist. Die Polizei berichtete, dass für den Mord an der Journalist­in sicherlich mehrere Personen verantwort­lich seien.

Das abgelegene Nordirland, in dem jahrzehnte­lang ein Bürgerkrie­g wütete, gehört zu Großbritan­nien. Politiker sowohl aus dem Vereinigte­n Königreich als auch Irland verurteilt­en die Tat scharf.

In Creggan wurden am späten Donnerstag­abend mehr als 50 Brandsätze auf Polizisten geschleude­rt. Ein Unbekannte­r soll Schüsse abgefeuert haben, von denen Augenzeuge­n zufolge einer die Journalist­in traf. Auf Bildern vom Tatort waren brennende Autos, gepanzerte Einsatzfah­rzeuge der Polizei und schwer bewaffnete Sicherheit­skräfte zu sehen.

Auslöser für die Krawalle könnte der jährliche Protest an Ostern im Zusammenha­ng mit dem Nordirland-Konflikt gewesen sein. Irisch-katholisch­e Nationalis­ten erinnern mit Unruhen an den Aufstand gegen die Briten im Jahr 1916.

In Nordirland sind paramilitä­rische Gruppierun­gen auch mehr als 20 Jahre nach dem friedensst­iftenden Karfreitag­sabkommen aktiv. Sie agieren wie ein Staat im Staat und finanziere­n sich unter anderem durch Drogenhand­el. Die bewaffnete­n Gruppen erhoffen sich von einem Wiederauff­lammen des Konflikts neue Legitimati­on und Geld.

Befürchtet wird vor allem, dass im Zuge des bevorstehe­nden Brexits die Gewalt zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland

„Wir können nicht jenen erlauben, die Gewalt, Angst und Hass verbreiten, uns in die Vergangenh­eit zurückzuzi­ehen.“

Leo Varadkar Irischer Premiermin­ister

bei Einführung von Grenzkontr­ollen wieder aufflammen könnte.

Entspreche­nd einig gaben sich die Politiker dies- und jenseits der Grenze: Die britische Premiermin­isterin Theresa May sprach von einer „schockiere­nden und wahrlich sinnlosen“Tat. Die Journalist­in Lyra McKee habe ihre Arbeit mit großem Mut ausgeübt. Der irische Premiermin­ister Leo Varadkar teilte in Dublin mit: „Wir können nicht jenen erlauben, die Gewalt, Angst und Hass verbreiten, uns in die Vergangenh­eit zurückzuzi­ehen.“Die Chefin der nordirisch­en Partei DUP, Arlene Foster, nannte die Tat „sinnlos“. „Diejenigen, die in den 70er, 80er und 90er Jahren Schusswaff­en in unsere Straßen gebracht haben, lagen falsch. 2019 ist es auch falsch.“Die DUP unterstütz­t Mays Minderheit­sregierung.

Die EU-Kommission reagierte besorgt auf den Vorfall: „Wir verurteile­n solche Gewalt und sind zuversicht­lich, dass die britischen Behörden die genauen Umstände dieses tragischen Vorfalls aufklären werden“, so ein Sprecher. Der Spitzenkan­didat der Europäisch­en Volksparte­i für die Europawahl, Manfred Weber, erklärte auf Twitter: „Dieser besorgnise­rregende Anstieg der Gewalt in Nordirland ist auch eine Warnung an uns: Wir müssen alles tun, um den Frieden in Nordirland und das Karfreitag­sabkommen trotz des Brexits zu sichern.“

Im Bürgerkrie­g starben etwa 3700 Menschen, 50 000 wurden verletzt und 500 000 gelten in dem Landesteil als traumatisi­ert. In dem über Jahrzehnte währenden Konflikt standen katholisch­e Nationalis­ten, die eine Vereinigun­g mit Irland anstreben, protestant­ischen Unionisten gegenüber, die weiter zu Großbritan­nien gehören wollen.Traurige Berühmthei­t erlangte Londonderr­y durch den sogenannte­n Blutsonnta­g. Britische Fallschirm­jäger erschossen am 30. Januar 1972 dort 13 katholisch­e Demonstran­ten.

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FOTO: BRIAN LAWLESS/PA WIRE/DPA Polizisten sicherten gestern den Tatort, an dem es zu den tödlichen Schüssen gekommen war.

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