Schlechte Fahrer halten sich für die besten
Die meisten Menschen behaupten von sich, besser Auto zu fahren als der Durchschnitt. Psychologen haben nach den Ursachen dieser Selbstüberschätzung gesucht und sind zu einigen interessanten Ergebnissen gekommen.
(np) Die meisten Autofahrer behaupten von sich, besser zu fahren als die große Mehrheit der anderen. „Die Tendenz zur Selbstüberschätzung ist gerade beim Autofahren weit verbreitet“, sagt der Psychologe Klaus Peter Kalendruschat vom TÜV Nord. Rühme jemand seine eigenen Fahrkünste, sei jedoch Skepsis angebracht. „Übermäßiges Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben vor allem diejenigen, die am wenigsten Grund dazu haben.“
„Hat der Tomaten auf den Augen? Der hat seinen Führerschein wohl im Lotto gewonnen!“So oder so ähnlich urteilen wir zuweilen über unsere Mitmenschen im Straßenverkehr. Zugleich halten sich die meisten selbst für besonders gute Autofahrer. Einer kanadischen Studie zufolge behaupten sogar fast alle, sie könnten schwierige Situationen wie eine nasse Fahrbahn besser meistern als der Durchschnitt.
„Die Tendenz zur Selbstüberschätzung ist gerade beim Autofahren weit verbreitet“, erläutert Psychologe Kalendruschat. Bereits 1989 beobachteten Psychologinnen der Universität Warschau, dass Befragte in Polen, Schweden und den USA ihre eigenen Fahrkünste systematisch überbewerteten.
Selbst Neulinge am Steuer sehen sich selbst in einem allzu rosigem Licht, stellten finnische Verkehrspsychologen fest. Sie hatten mehr als 2700 Prüflinge direkt vor der Führerscheinprüfung um eine Selbsteinschätzung gebeten. 30 bis 40 Prozent meinten, besser zu fahren, als die Prüfer ihnen kurz darauf bescheinigten. Am meisten überschätzten sich ausgerechnet jene, die bei der Prüfung durchfielen.
Das Selbstbild wird schon etwas realistischer, wenn es um nachgewiesene Regelverstöße wie das Überfahren einer roten Ampel geht. Für eine Studie in der Türkei wurden mehr als 150 Männer auf einer gut einstündigen Fahrt begleitet und sollten sich danach selbst beurteilen. 95 Prozent hielten ihre Fahrkünste für besser, als sie laut Meinung der Beobachter waren. Besonders realitätsfern war die Selbstwahrnehmung bei jenen, die unsicher fuhren oder häufig gegen Regeln verstießen.
Warum überschätzen sich gerade die Schlechtesten am meisten?
Klaus Peter Kalendruschat Offenbar wissen sie es nicht besser. „Die Kenntnisse, die einer bestimmten Fertigkeit zugrunde liegen, braucht man oft auch dafür, diese Fertigkeit richtig zu beurteilen“, fanden die Psychologen Justin Kruger und David Dunning von der Cornell University in Ithaca im US-Bundesstaat New York heraus. Der nach ihnen benannte Dunning-Kruger-Effekt besagt: Je weniger man sich auf einem Gebiet auskennt, desto schlechter erkennt man dieses Unvermögen.
Natürlich sei den meisten Menschen klar, dass sie von vielen Dingen keine Ahnung haben, räumen Dunning und Kruger ein. Kaum jemand behaupte etwa, einen Achtzylinder-Motor nachbauen zu können. Zur typischen Selbstüberschätzung komme es nur dann, wenn eine Kompetenz für die Person relevant ist und sie darin über eine gewisse Grundkompetenz verfügt.
Ein Beispiel dafür ist das Fachwissen von Studierenden. Wie das Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit zeigte, überschätzten angehende Ökonomen ihre künftige Examensnote umso mehr, je schlechter ihre Noten bislang waren. „Beim Autofahren ist der Dunning-Kruger-Effekt besonders ausgeprägt, denn diese Fertigkeit verbinden wir mit Autonomie und Erwachsenwerden“, erklärt Psychologe Kalendruschat.
Man könne die Menschen aber nicht einfach in ihrem Irrglauben lassen: „Die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, steigert die Risikobereitschaft.“Leider helfe es meist nicht, Fehler aufzuzeigen oder gute Vorbilder vorzuführen, sagt Kalendruschat. „Wer nicht weiß, wie kluges Fahren aussieht, der kann auch nicht erkennen, dass andere klüger fahren.“
Selbst einprägsame eigene Erfahrungen würden in der Regel nichts ändern. Bei einem Auffahrunfall etwa müsste man sich selbst eingestehen, zu nah aufgefahren zu sein. Doch meist werde die Schuld auf andere geschoben, anstatt das eigene Fahrverhalten zu hinterfragen. Das habe 2018 eine Untersuchung des Französischen Instituts der Wissenschaften und Technologie im Verkehrswesen ergeben.
Dunning und Kruger schlossen aus ihren Experimenten: Damit Menschen ihr Unvermögen erkennen, müssen sie kompetenter werden. Ein Paradoxon, wie sie selbst sagen. Klaus Peter Kalendruschat will deshalb lieber die Einsicht fördern, dass in vielen kritischen Situationen auch die besten Fahrkünste nichts mehr helfen. „Wer sich das bewusst macht, fährt vorsichtig und vorausschauend.“
„Übermäßiges Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben vor allem die, die am wenigsten Grund dazu haben.“
Psychologe beim TÜV Nord