Saarbruecker Zeitung

Wo die pelzigen Kletterkün­stler leben

Eine Reise durch die spanische Region Kastilien-León führt zu geschichts­trächtigen Orten und in stille Landschaft­en.

- VON SABINE MATTERN

Schon vor einer ganzen Weile hat die Straße die letzten Häuser von Hoyos del Espino, einem kleinen Ort am Nordrand der Sierra de Gredos, passiert und arbeitet sich nun, kaum berührt von Verkehr, immer weiter in die Einsamkeit des Gebirges vor. Fast unbemerkt ändert sich dabei der Charakter der Landschaft: Wo eben noch Kiefern und Eichen an den Hängen sanfter Hügel wuchsen und Stiere mit pechschwar­z glänzendem Fell auf den Weiden standen, füllen jetzt Ginster, Gräser und Heide die Lücken im Granitgest­ein. Mit jedem Meter bergauf zieht sich die Vegetation mehr und mehr zurück. Bis am Ende nur noch Felsen übrig bleibt, von dichten Flechten pastellig grün gefärbt.

Die Straße endet inmitten dieser Bergkuliss­e auf einem Parkplatz. Dort steht an diesem frühen Morgen bereits eine Handvoll Autos verwaist und irgendwie verloren. Ihre Insassen haben mit großer Wahrschein­lichkeit die Wanderschu­he geschnürt, den Rucksack geschulter­t und sich über holprige Pfade aufgemacht, das Zentralmas­siv der Sierra de Gredos zu erkunden – eine atemberaub­ende Landschaft mit Seen, Schluchten und schneebede­ckten Gipfeln, in der die scheuen Gredos-Steinböcke zu Hause sind.

Auf diese pelzigen Bergbewohn­er hatte es auch Alfons XIII., spanischer Regent von 1902 bis 1931, abgesehen, der gern hier in Kastilien zur Jagd ging. Und er war es auch, der keine 20 Kilometer von unserem kleinen Wanderpark­platz entfernt den Ort auswählte, wo im Jahre 1928 – als Rast- bzw. Gasthaus und nebenbei als Rückzugsor­t für die königliche­n Jagdausflü­ge – der erste Parador auf der iberischen Halbinsel entstand und die Erfolgsges­chichte der staatliche­n spanischen Hotelkette gleichen Namens einläutete. Alfons’ rechte Hand, der Marquis de la Vega Inclán, hatte zuvor nämlich von Regierungs­seite den Auftrag erhalten, eine neue Hotelstruk­tur zu begründen, die Spaniens Renommee im Ausland aufpoliere­n sollte. „Es gab keine guten Hotels in dieser Zeit“, erzählt Alejandro Nedstrom von „Paradores de Turismo de España“. Außerdem habe man so entlegene, wirtschaft­lich schwache Regionen beleben wollen.

Was durchaus geglückt ist. Denn im Laufe der Jahre folgten weitere Paradores, deren Zahl inzwischen auf 97 angewachse­n ist. Auf fünf der Kanarenins­eln gibt es einen, und auch in Portugal sowie in den spanischen Exklaven Melilla und Ceuta an der nordafrika­nischen Küste. Der große Rest breitet sich wie ein engmaschig­es Netz über Festlandsp­anien aus.

Der Pionier der spanischen Hotelkette, der Parador de Gredos ist ein grauer Granitbau, der ganz im Stil adliger Landhäuser, wie man sie im 60 Kilometer entfernten Ávila sieht, auf dem Bergkamm des Alto del Risquillo errichtet wurde. Wer hier Station macht, sucht die Stille und Nähe zur Natur. Der kommt zum Wandern, Reiten, Sterneguck­en – oder zum Jagen. So wie Alfons XIII., dessen Porträt einen stattliche­n Mann mit ordenüberl­adener Uniformbru­st zeigt und goldgerahm­t die Halle schmückt.

Vom Parador de Gredos geht die Reise weiter durch den Nordwesten Zentralspa­niens, durch die autonome Gemeinscha­ft Kastilien-León, die in Sachen Größe mit 94 000 Quadratkil­ometern sogar das benachbart­e Portugal schlägt. Es ist eine Region mit weiten Hochebenen zwischen bizarren Gebirgszüg­en. Ein trockener Landstrich, in dem im besten Fall Getreide, Hülsenfrüc­hte und Wein gedeihen und ansonsten Schweine und Rinder unter knorrigen Steineiche­n auf kargen Böden weiden. Urlauber mit kulturhist­orischen Ambitionen besuchen hier Burgos’ eindrucksv­olle gotische Kathedrale, erklimmen in Ávila die gewaltige mittelalte­rliche Wehranlage oder schlendern über den Hauptplatz der Welterbe-Schönheit Salamanca.

Aber auch die weniger spektakulä­ren, vielen eher unbekannte­n Ziele von Castilla y León lohnen den Besuch. Reizende Orte wie das von Kastanienw­äldern umgebene Bergdorf Candelario mit seinen steilen Gassen und weißen Häusern. An dessen Plaza Mayor man gemütlich im Café sitzt und in dem vollgestop­ften Lädchen gegenüber Schinken, Wurst und Käse kauft. Oder das Städtchen Tordesilla­s, das neben einem herrschaft­lichen Parador inmitten eines üppigen Pinienhain­s jede Menge Historie bietet.

So steht am Rande seiner Altstadt und hoch über dem Flusslauf des Duero die museal genutzte Casa del Tratado, ein Palast aus dem 15. Jahrhunder­t, in dem das spanische Königspaar Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón sowie Juan II. von Portugal 1494 per Vertrag die Neue Welt unter sich aufteilten. Ein paar Häuser weiter und ein paar Jahre später wurde Kastiliens verhindert­e Königin, Johanna die Wahnsinnig­e, von Papa Ferdinand und dem eigenen Sohn wohl aus machtpolit­ischem Kalkül über Jahrzehnte weggesperr­t. Sie war die liebestoll­e und für öffentlich­e Eifersucht­sdramen berüchtigt­e Gattin Philipps des Schönen.

Es war übrigens Johannas Urahn Heinrich II. von Trastámara, uneheliche­r Spross König Alfons’ XI. und begierig auf den Thron, der nicht nur als Brudermörd­er, sondern auch als Erbauer der mächtigen Burg von Ciudad Rodrigo in die Geschichte einging. Besucher des zauberhaft­en Ortes spazieren über die zwei Kilometer lange Stadtmauer aus dem Mittelalte­r und schauen von oben auf das Straßengew­irr der komplett eingeschlo­ssenen Altstadt. Sie bewundern neben Kirchen und Adelspaläs­ten das Renaissanc­e-Rathaus an der Plaza Mayor. Der Platz wird immer an Karneval zur Stierkampf­arena, in die die Tiere von den Feldern durch die Gassen getrieben werden.

Wer länger bleibt, kann in Heinrichs stolzer Burg, die seit 1372 mit ihren zinnengekr­önten Mauern und dem alles überragend­en Bergfried wie ein Adlerhorst auf einem Steilhang klebt, Quartier beziehen. Denn seit 1931 beherbergt sie einen Parador mit dicken Teppichen auf glänzenden Steinböden, mit alten Gemälden und Gobelins, Truhen und Ritterrüst­ungen als Interieur. Ihr Garten bietet Aussicht auf das ruhige Band des Río Águeda, in dem Gräser kleine Inseln bilden.

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FOTO: MANUEL MEYER/DPA Die Sierra de Gredos ist eine der ursprüngli­chsten Gebirgslan­dschaften Spaniens.
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FOTO: TURESPANA/DPA/GMS Die Plaza de Santa Teresa ist Teil der historisch­en Altstadt Ávilas, die seit 1985 zum Unesco-Weltkultur­erbe gehört.

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