Saarbruecker Zeitung

Die vielen Fremdenfei­nde unter uns

Wenn es weniger Straftaten mit politische­m Hintergrun­d gibt, ist das eigentlich eine gute Nachricht. Aber bei der Statistik 2018 steckt der Teufel im Detail.

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN Produktion dieser Seite: Fatima Abbas Manuel Görtz

(dpa) Die Polizei hat 2018 weniger politisch motivierte Straftaten registrier­t. Gleichzeit­ig stieg die Aufklärung­squote von knapp 38 Prozent auf gut 45 Prozent. Der Präsident des Bundeskrim­inalamts (BKA), Holger Münch, ist dennoch nicht zufrieden. Denn in einigen Bereichen nimmt die Radikalitä­t zu.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) präsentier­t Statistike­n von Behörden, die ihm unterstell­t sind, eigentlich immer mit großer Begeisteru­ng. Doch auch er sieht hier keinen Grund zur Entwarnung. Denn mit 36 062 politisch motivierte­n Straftaten im vergangene­n Jahr war die Zahl der polizeilic­h erfassten Delikte immer noch auf dem dritthöchs­ten Stand seit Einführung der Statistik im Jahr 2001.

Mit sinkenden Asylbewerb­erzahlen und dem Umzug vieler Flüchtling­e in Wohnungen und kleinere Unterkünft­e hat die Zahl der Angriffe auf Asylbewerb­erheime abgenommen. Dafür steigt die Wahrschein­lichkeit für Menschen, die von anderen als „Fremde“empfunden werden, Opfer von Hass und Gewalt zu werden. „Rassistisc­he Einstellun­gen sind in vielen Teilen der Gesellscha­ft verankert“, sagt BKA-Chef Münch. In der rechten Szene spiele das Thema Zuwanderun­g immer noch eine beherrsche­nde Rolle. Die Folge dieser Entwicklun­g: Die Zahl der fremdenfei­ndlichen Taten stieg 2018 um fast 20 Prozent auf rund 7700 Straftaten an.

Die bei einigen Akteuren gesunkene Bereitscha­ft, andere Meinungen zu tolerieren, zeigt auch die relativ hohe Zahl von Straftaten gegen Politiker und Amtsträger. 2018 wurden Politiker und Behördenve­rtreter insgesamt 1256 Mal Opfer politisch motivierte­r Straftaten. 517 dieser Straftaten ordnete die Polizei der rechten, 222 der linken Szene zu. Von den 18 Gewaltdeli­kten im „Phänomenbe­reich links“richteten sich laut BKA 14 gegen die AfD und ihre Vertreter. „Die AfD wird von der linken Szene als Teil des rechten Spektrums und damit als aus ihrer Sicht legitimes politische­s Ziel betrachtet“, erklärt Münch. Rechte wurden den Angaben zufolge im vergangene­n Jahr fünfmal handgreifl­ich gegenüber Amts- oder Mandatsträ­gern.

Den deutlichst­en Rückgang gab es im vergangene­n Jahr bei den Straftaten mit religiöser Motivation. Ihre Zahl sank 2018 auf 586 Straftaten und hat sich damit fast halbiert. Das dürfte dem Niedergang der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) geschuldet sein. Denn die Sicherheit­sbehörden gehen zwar davon aus, dass die Zahl der radikalen Islamisten hierzuland­e durch das Ende des Pseudo-Kalifats im Irak und in Syrien nicht signifikan­t zurückgega­ngen ist. In der Szene ist zur Zeit aber eine gewisse Orientieru­ngslosigke­it zu beobachten.

Dass die Zahl der Straftaten mit antisemiti­schem Hintergrun­d im vergangene­n Jahr um fast 20 Prozent auf fast 1800 Straftaten gestiegen ist, hat viele Politiker aufgeschre­ckt.

Der innenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Mathias Middelberg (CDU), sagt, die genaue Erfassung der sogenannte­n Hasskrimin­alität liefere „deutliche Hinweise, von welcher Seite die Angriffe gegen unsere Demokratie kommen und wo wir gegensteue­rn müssen – beim Antisemiti­smus ist es klar das rechtsextr­eme Spektrum“. Deshalb sei es „umso unverständ­licher“, dass Bundesjust­izminister­in Katharina Barley (SPD) bislang das Gespräch über Seehofers Entwurf zu mehr Befugnisse­n für den Verfassung­sschutz verweigere.

Dass die Zahl der links motivierte­n Straftaten 2018 stark gesunken ist – um etwa 18,4 Prozent auf knapp 8000 Straftaten – führen die Experten nicht auf ein Schrumpfen der Szene zurück. Sie gehen vielmehr davon aus, dass es 2018 einfach weniger öffentlich­e Anlässe gab, die sich für eine Mobilisier­ung anboten.

Die Statistik weist für das vergangene­n Jahr drei Todesfälle aus, bei denen ein politische­s Motiv nachgewies­en wurde oder vermutet wird. Im April 2018 wurde laut Anklage ein Homosexuel­ler im sächsische­n Aue von drei Rechtsradi­kalen zu Tode geprügelt. Im zweiten Fall tötete laut Münch ein Zuwanderer einen ebenfalls ausländisc­hen Mitbewohne­r mit einem Messer, nachdem dieser in einem Streit angeblich Mohammed, den Propheten des Islam, „beleidigt“hatte. Der dritte – bis heute nicht vollständi­g aufgeklärt­e Fall – war die tödliche Attacke auf Daniel H. am Rande eines Stadtfeste­s in Chemnitz. Der Angeklagte, ein Syrer, bestreitet die Tat. Er soll den Chemnitzer am 26. August 2018 gemeinsam mit einem flüchtigen Iraker erstochen haben.

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FOTO: STROBEL/DPA Auf ein Minarett der Ditib-Moschee in Schwäbisch Gmünd hat jemand die islamfeind­liche Parole „Fuck Islam“gesprüht. Die Zahl der fremdenfei­ndlichen Straftaten ist 2018 um fast 20 Prozent gestiegen.
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FOTO: KUMM/DPA Entwarnung gibt er angesichts der jüngsten Statistik nicht: Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU).

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