Saarbruecker Zeitung

„Es fehlt ein für alle wichtiges, konkretes Thema“

Der Chef des Meinungsfo­rschungs-Instituts Forsa sieht die Bundesbürg­er für die Europawahl nur mäßig motiviert. Er kritisiert die „Splittergr­uppen“.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE STEFAN VETTER

Am 26. Mai wird in Deutschlan­d das Europäisch­e Parlament neu gewählt. Vor fünf Jahren war die Mehrheit der wahlberech­tigten Bundesbürg­er (fast 52 Prozent) der Europawahl fern geblieben. Wie mobilisier­t sind die Wähler diesmal? Der Chef des Umfrage-Instituts Forsa, Manfred Güllner, gibt zu bedenken, dass anders als bei anderen Urnengänge­n die Europawahl nicht von Personen geprägt wird.

Herr Güllner, welche Rolle spielt die Europawahl im Bewusstsei­n der Deutschen?

GÜLLNER Man muss davon ausgehen, dass die Wahlbeteil­igung auch diesmal nicht wesentlich höher ist als 2014, weil Europa nach wie vor kaum politische Konturen hat. Die Deutschen sind traditione­ll europafreu­ndlich. Ein Brexit wäre hierzuland­e nicht passiert. Aber die Europawahl ist eher etwas Abstraktes. Die Leute wissen nicht genau, was

sie eigentlich wählen.

Die Europawahl steht im Zeichen des Brexit sowie des Erstarkens populistis­cher und nationalis­tischer Strömungen. Wirkt das für Europa-Anhänger nicht mobilisier­end?

GÜLLNER Der Brexit hat das Interesse am europäisch­en Geschehen sicher stark gefördert. Das heißt aber nicht, dass die Menschen deshalb automatisc­h zur Wahl gehen. Es ist auch kein zündendes Wahlmotiv, gegen etwas zu sein. Vielmehr ist man für eine Partei, von der man glaubt, dass sie die eigenen Interessen am besten vertritt.

Gibt es kein europäisch­es Thema, das die Bundesbürg­er elektrisie­rt?

GÜLLNER Die allermeist­en Deutschen wissen, dass ihnen die EU Vorteile bringt. Aber es fehlt ein für alle wichtiges, konkretes Thema, wie das häufiger bei Bundestags­wahlen der Fall war. Die Bürger nehmen wahr, dass es Kontrovers­en zum Beispiel in der Flüchtling­sfrage gibt, aber wirklich wahlentsch­eidend ist das für sie nicht.

Aber die meisten Parteien betonen doch, wie wichtig ihnen Europa sei.

GÜLLNER Die Parteien beginnen immer erst kurz vor knapp mit solchen Beteuerung­en. Diesmal finden in zehn von 16 Bundesländ­ern zeitgleich noch Kommunalwa­hlen statt. Diese Kommunalwa­hlen sind dort nicht nur für die Bürger, sondern auch für die Parteien wichtiger als die Europawahl. Letztlich sind die Parteien durch die Kopplung von Europa- und Kommunalwa­hl selbst daran schuld, dass die Europawahl entwertet wird.

Wahlkämpfe werden in der Regel von Personen geprägt. Aber die Spitzenkan­didaten zur Europawahl kennen nur die wenigsten. Woran liegt das?

GÜLLNER Man kann sich vorstellen, was ein Kanzlerkan­didat ist. Aber nicht, was ein sogenannte­r Spitzenkan­didat im Europaparl­ament tut. Deshalb spielen Personen bei der Europawahl kaum eine Rolle. Zumal die Parteien lange Zeit auch nicht gerade die besten Leute nach Europa geschickt haben.

Anders als bei der Bundestags­wahl mit dem System aus Erst- und Zweitstimm­e kann der Bürger bei der Europawahl nur eine Stimme vergeben. Ist das besser für ihn oder schlechter?

GÜLLNER Nur eine Stimme zu haben, erleichter­t die Wahlentsch­eidung. Zumindest bei Kommunalwa­hlen hat die Anzahl der zu vergebende­n Stimmen auch Einfluss auf die Wahlbeteil­igung. Als zum Beispiel in Hessen die Kommunalwa­hl noch rein nach dem Verhältnis­wahlrecht ablief, war die Beteiligun­g fast so hoch wie bei Landtagswa­hlen. Doch als man anfing, zu experiment­ieren, also zu kumulieren, zu panaschier­en und Stimmzette­l wie in Frankfurt bis zu 1,52 Meter breit wurden, ging die Zahl der ungültigen Stimme nach oben und die Wahlbeteil­igung nach unten. So gesehen kann man es mit der Demokratie auch übertreibe­n.

2014 waren in Deutschlan­d 25 Parteien für die Europawahl zugelassen. Diesmal sind es deutlich mehr, nämlich 41. Wie beeinfluss­t das die persönlich­e Wahlentsch­eidung?

GÜLLNER Auch das schwächt die Demokratie. Splittergr­uppen machen sich einen Spaß daraus, zu kandidiere­n und ihre Nörgeleien über die Fernsehwah­lwerbung bundesweit zu verbreiten. Es ist schwer zu verstehen, warum so etwas überhaupt zugelassen wird.

Wagen Sie bereits eine Prognose, wer besonders gut abschneide­n könnte?

GÜLLNER Das ist schwer abzuschätz­en. Viele erwarten ein gutes Ergebnis für die AfD. Aber nachdem das Klimaschut­z-Thema in aller Munde ist und nicht mehr die Flüchtling­sproblemat­ik, kann man auch bezweifeln, ob der AfD eine überdurchs­chnittlich hohe Mobilisier­ung gelingt. Hinzu kommt: Die AfD will weg von Europa, sie kandidiert aber für Europa. Das kann zu Irritation­en führen. Am Ende kommt es auf die Wahlbeteil­igung an. Wenn sie hoch ist, haben kleinere Parteien geringere Erfolgscha­ncen.

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FOTO: PEDERSEN/DPA Forsa-Chef Manfred Güllner sagt: „Man kann es mit der Demokratie auch übertreibe­n.“

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