Saarbruecker Zeitung

Zündstoff in der Debatte ums Wahlalter

Entgegen der bisherigen Parteilini­e wollte die AfD im Landtag die Wahlen für Jugendlich­e öffnen – mit einem „abgekupfer­ten Antrag“der Linken.

- VON TOBIAS FUCHS

Es steckte reichlich Zündstoff in der Landtagsde­batte ums Wahlalter. Und das, obwohl es nicht um eine Absenkung auf 16 Jahre zur Kommunalwa­hl am 26. Mai gehen konnte. Zu nah ist der Wahltermin. Die AfD hatte das Thema am Mittwoch dennoch auf die Tagesordnu­ng gebracht.

Sie tat das auf eine Weise, die im Plenum für Unmut sorgte. Linken-Politiker Jochen Flackus warf der AfD „politische­n Datendiebs­tahl“vor. Auch die Begründung für das Umschwenke­n der Rechtspopu­listen, die bisher auf die Volljährig­keit beharrten, löste Empörung aus.

Zugleich legte die Debatte den Dissens in der großen Koalition aus CDU und SPD noch einmal offen. Denn die Sozialdemo­kraten sprechen sich für eine Wahlbeteil­igung von Jugendlich­en aus, die Union als größte Fraktion ist dagegen. Ohne sie geht beim Wahlalter jedoch nichts. Die Hürden sind hoch, es bedürfte einer Änderung der saarländis­chen Verfassung – und somit der Stimmen der CDU für eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Aber der Reihe nach: Es ist zweieinhal­b Wochen her, dass das Parlament die Kommunalwa­hl für Menschen mit einem gesetzlich­en Betreuer und schuldunfä­hige Straftäter öffnete – unter dem Druck eines Urteils des Bundesverf­assungsger­ichts. Die AfD lehnte den Schritt ab, mit Ausnahme des Abgeordnet­en Lutz Hecker. Es bestehe die Gefahr, dass das Wahlrecht abgewertet werde, sagte Fraktionsc­hef Josef Dörr auch diesmal. Daher rückten die AfD-Abgeordnet­en beim Wahlalter von ihrer Parteilini­e ab. Das Argument: „Wenn alle wählen können, stellt sich für die AfD die Frage nach dem Wahlalter ab 16 neu.“

Statt einen eigenen Antrag zu formuliere­n, griff die AfD bei der Linksfrakt­ion zu. Die war vor einem Jahr mit einer Gesetzesno­velle zum Wahlalter gescheiter­t. Nun kopierte die AfD ihren Text von damals. „Das sind praktisch zwei identische Anträge“, sagte Dörr. Weshalb es für Gelächter sorgte, als er erklärte: „Wir sind für unseren Antrag.“

Dennis Lander von der Linken übte harsche Kritik an der AfD, über den „abgekupfer­ten Antrag“wollte seine Fraktion nicht abstimmen. Man werde das „alberne Spiel nicht mitspielen“, so Lander. Die Linke reagierte kurzfristi­g, indem sie ihren Gesetzeste­xt vom Juni 2018 selbst noch einmal einbrachte. Lander erinnerte die AfD an ihre Ablehnung einer Absenkung des Wahltalter­s. AfD-Mann Rudolf Müller hatte damals erklärt, die Jugend sei leichter manipulier­bar, egal aus welcher Richtung. Das wisse man aus allen möglichen Diktaturen. Auch sah Müller die „Ernsthafti­gkeit der Wahl aus der Sicht der Älteren“in Gefahr.

Nun sagte Lander: „Heute stellt sich diese Diebesband­e hierher und bringt genau denselben Gesetzentw­urf wieder ein.“Was Landtagspr­äsident Stephan Toscani (CDU) zum Hinweis veranlasst­e, von einer „Diebesband­e“zu sprechen, sei „nicht parlamenta­risch“. Lander legte nach, als er die Argumentat­ion der AfD für ihre geänderte Haltung beim Wahlalter aufgriff. „Die Begründung­en für Ihren Sinneswand­el sind eine Schande“, sagte er. „Es ist unglaublic­h, dass Sie die Jugendlich­en auf diese Art und Weise instrument­alisieren, um gegen Menschen mit Behinderun­g zu hetzen.“

Auch CDU-Politiker Alexander Zeyer griff die AfD frontal ab. Sie sei ein Fähnchen im Wind, sagte er. Es gehe der Partei um Aufmerksam­keit für die bevorstehe­nde Europaund Kommunalwa­hl am 26. Mai. Zeyer hatte im Plenum keine leichte Aufgabe. Der Landeschef der Jungen Union, des CDU-Nachwuchse­s, soll sich im vergangene­n Jahr bei einer Vollversam­mlung des Landesjuge­ndrings persönlich offen gezeigt haben, auf kommunaler Ebene das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken.

Als Abgeordnet­er des Landtages erklärte Zeyer wenige Monate später, weshalb seine Fraktion gegen den Vorstoß der Linken zum Wahlalter votiert. „Wir werden das heute auch wieder tun“, sagte er am Mittwoch bei der erneuten Debatte. Doch in der Zwischenze­it hat der Kreistag von St. Wendel, dem Heimatkrei­s von Zeyer, einstimmig eine Resolution zur Wahlbeteil­igung von Jugendlich­en verabschie­det. Die CDU hat dort die Mehrheit. Wie also würde Zeyer argumentie­ren? „Wir sollten den jungen Menschen nicht irgendeine Beruhigung­stablette geben“, sagte er. Die Vermischun­g der „Fridays for Future“-Demonstrat­ionen mit einer Diskussion über das Wahlalter führe zu einer „schiefen Debatte“, so Zeyer.

Sebastian Thul (SPD) sagte in der Debatte: „Ich muss der AfD gratuliere­n, sie hat zum ersten Mal einen handwerkli­ch guten Gesetzentw­urf eingebrach­t – das liegt aber nur daran, dass er von den Linken abgekupfer­t wurde“, so Thul, der anschloss: „Ich fühle mich etwas verarscht.“Es sei bekannt, dass die Koalitions­fraktionen beim Wahlalter unterschie­dlicher Meinung sind. Jedoch sieht Thul derzeit Anzeichen dafür, „dass die ablehnende Haltung in der CDU bröckelt“, wie er mit Blick auf die Resolution aus St. Wendel erklärte. Ähnlich äußerte sich der SPD-Fraktionsv­orsitzende Stefan Pauluhn: „Spätestens zur nächsten Legislatur wird es einen breiten politische­n Konsens über die Notwendigk­eit dieser Änderung geben.“Diesmal stimmte die SPD mit der CDU gegen beide Anträge zur Absenkung des Wahlalters.

„Heute stellt sich diese Diebesband­e hierher und bringt genau denselben Gesetzentw­urf wieder ein.“

Dennis Lander (Linke)

über einen Antrag seiner Fraktion zum

Wahlalter, den die AfD übernahm

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FOTO: BECKER&BREDEL Dennis Lander von der Linksfrakt­ion ging die AfD in der Landtagsde­batte hart an.

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