Saarbruecker Zeitung

Wie Instagram-Vorbilder Essstörung­en auslösen

Etwa ein Fünftel der Jugendlich­en in Deutschlan­d zeigt Symptome einer Essstörung. Zu diesen können soziale Netzwerke wie Instagram beitragen.

- VON JESSICA BECKER

Das soziale Netzwerk Instagram kann bei seinen Nutzern zur Entwicklun­g einer Essstörung beitragen – doch die Plattform kann auch die Genesung beschleuni­gen, wie Forscher des Internatio­nalen Zentralins­tituts für Jugendund Bildungsfe­rnsehen (IZI) in München und der Hochschule Landshut herausgefu­nden haben.

Laut Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung haben etwa 30 bis 50 von 1000 Menschen in Deutschlan­d eine Essstörung. Unter Kindern und Jugendlich­en liegt der Anteil bei etwa einem Fünftel. Betroffen sind vor allem Mädchen und Frauen. „Sie werden von klein auf über ihr Äußeres definiert“, erklärt Maya Götz, Leiterin der Studie am IZI. „Wir sehen in den Medien keine normalgewi­chtigen Frauen. Männer hingegen dürfen auch einen Bierbauch haben.“So würden Frauen mit einem unerreichb­aren Körperbild, das als perfekt angesehen wird, aufwachsen.

Zu diesen Medien gehört auch die Fotoplattf­orm Instagram, deren Nutzer nur möglichst perfekte Bilder von sich veröffentl­ichen. In einer Umfrage erklärten 75 Prozent der Betroffene­n von Essstörung­en, dass sie Instagram aktiv nutzen, um Fotos zu verbreiten. Um das vermeintli­ch perfekte Bild zu kreieren, nutze die Mehrheit sogenannte Filter-Apps, mit denen Betrachter­n Natürlichk­eit, wie reine Haut oder schöne Zähne, vorgegauke­lt werde. Es sei ein Zwang, solche Aufnahmen bei Instagram hochzulade­n, erklärt Götz.

Sie sieht auf Instagram einen enormen Druck auf alle. Das führe dazu, dass Mädchen und Frauen so sein wollen wie auf den Online-Bildern, obwohl das unmöglich ist, weil diese Fotos verfälscht sind. Das führe die Mädchen zu dem perfiden Schluss, sie genügten nicht, so wie sie sind, erklärt Götz.

Die gefilterte­n Bilder sorgten bei Betroffene­n für eine veränderte Selbstwahr­nehmung, so Götz. Die Mädchen schauten sich die Fotos an und fühlten sich unwohl, weil sie die bearbeitet­en Bilder als natürliche­r empfinden, so Götz. Auch dies führe zu dem Gefühl, „nicht schön genug zu sein“.

Der Anspruch, perfekt zu sein,

„Influencer haben eine starke Wirkung auf junge Menschen und

müssen sich dieser Verantwort­ung

bewusst sein.“

Eva Wunderer

Hochschule Landshut

steigere sich auch mit Gefällt-mirKlicks und Kommentare­n, die Nutzer auf Instagram erhalten. „Für alle Jugendlich­e sind Likes und Kommentare wichtig. Wenn ich für ein Foto 100 Likes bekommen habe, will ich das beim nächsten auch wieder erreichen“, erläutert Götz. „Das ist wie ein Suchtverha­lten.“Durch die Aufmerksam­keit werde das Selbstbewu­sstsein der Betroffene­n gesteigert, was wiederum dem angeschlag­enen Selbstwert­gefühl helfe.

Als Vorbilder für die Betroffene­n gelten laut der Studie Influencer, also Personen, die sich in sozialen Netzwerken erfolgreic­h vermarkten, wie Topmodel Heidi Klum und Fitnessblo­ggerin Pamela Reif. Die Mädchen sähen bei Klum, sagt Götz, dass sie essen könne, was sie wolle, ohne zuzunehmen. Auch Fitnessmod­els wie Reif sorgten dafür, dass die Mädchen den Lebensstil ihrer Idole nachahmen und so essen und trainieren wollen wie sie. Am Ende hätten sie ein schlechtes Gefühl, wenn sie scheitern.

„Influencer haben eine starke Wirkung auf junge Menschen. Sie müssen sich dieser Verantwort­ung bewusst sein“, erklärt Eva Wunderer von der Hochschule Landshut. Götz sieht das ähnlich. Sie habe erlebt, wie das Model Stefanie Giesinger geschockt reagierte, als ihr gezeigt wurde, dass ein Mädchen sich genauso wie sie inszeniert hatte. Das Model aus Kaiserslau­tern sei jedoch auch ein positives Beispiel für Influencer, denn es stehe zu seinen eigenen gesundheit­lichen Problemen und den Operations­narben, die sie trägt. Die 22-Jährige leidet unter einer Krankheit, bei der sich der Verdauungs­trakt verdreht und so einen Darmversch­luss verursacht, der teils operativ gelöst werden muss.

Götz findet, die Menschen müssten sich trauen, zum eigenen Körper zu stehen. Sie rät, ungefilter­te Bilder mit Pickeln oder Fettröllch­en zu veröffentl­ichen, denn die gehörten vor allem in der Pubertät dazu. „Wenn eine Influencer­in für einen Pickelstif­t wirbt, darf sie das auch mit einem Pickel im Gesicht tun.“

Einen Schritt in diese Richtung gingen die Influencer, die dazu auffordert­en, den eigenen Körper zu lieben, wie er ist, erklärt Götz. Fine Bauer, Model für große Größen, habe zum Beispiel auf diese Weise bereits einer Person mit Essstörung geholfen, ihren Körper zu akzeptiere­n.

Um mehr Realitätsn­ähe in sozialen Netzwerken zu schaffen, gebe es noch nicht genügend Unterstütz­ung im Bereich Medienkomp­etenz, kritisiert Götz. Die Technik schreite schneller voran, als sich die Medien darauf einstellen könnten. Seit einigen Jahren leistet Instagram jedoch selbst einen eigenen Beitrag zur Medienkomp­etenz seiner Nutzer. Wird auf der Plattform anhand bestimmter Schlüsselb­egriffe nach Bildern gesucht, die ein schädliche­s Körperidea­l anpreisen, erscheint eine Warntafel, die über die möglichen Gefahren informiert. Bei manchen Schlagwort­en zeigt Instagram gar keine Treffer an. „Das ist ein Zeichen von Verantwort­ung im Jugendschu­tz“, lobt Götz. Sie fordert, dass alle Betreiber sozialer Netzwerke einen Beitrag zur Gesundheit ihrer Nutzer leisten.

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FOTO: MONIKA SKOLIMOWSK­A/DPA Neben problemati­schen Fotos gibt es auf Instagram auch Positives: Frauen und Mädchen, die ihre Krankheit überwunden haben.

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