Frau gesteht nach Püttlinger Bluttat
Günter Georgi floh vor über 60 Jahren aus der DDR ins Saarland. An diesem Dienstag spricht er mit dem Bundespräsidenten über die Wiedervereinigung.
SAARBRÜCKEN (wi) Im Prozess um die auf offener Straße abgefeuerten tödlichen Schüsse auf einen Familienvater in Püttlingen hat die angeklagte 58-jährige Ex-Lebensgefährtin die Tat gestanden. Vor dem Schwurgericht in Saarbrücken ließ sie erklären, ihr Motiv sei „Wut und Eifersucht“gewesen.
„Ich bin ein Ost-West-Brückenbauer“, sagt Günter Georgi, ehemaliger DDR-Bürger und seit über 60 Jahren im Saarland zu Hause. Wegen seiner bewegten Geschichte und seiner Verdienste für die Wiedervereinigung empfängt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den 90-Jährigen an diesem Dienstag im Schloss Bellevue in Berlin. Bei der Veranstaltung „von Mut- und Glücksmomenten“geht es um die Frage, was Deutschlands Einheit ausmacht. Georgi selbst hat viel gemacht, viel gesehen und viel erlebt.
Eine Ausbildung zum Sparkassenkaufmann hatte er begonnen, musste die Lehre aber nach zwei Jahren unterbrechen. Im Januar 1945 wurde er mit 16 Jahren zum Reichsarbeitsdienst beordert, anderthalb Monate später zur Wehrmacht. „Während wir in Dänemark stationiert waren, bekamen wir noch den Einsatzbefehl an der Schlacht um Berlin teilzunehmen.“Doch das Kriegsende am 8. Mai 1945 kam dem zuvor. Auch in Gefangenschaft musste er nicht. „Das hätte ich vielleicht auch gar nicht überlebt.“
Nach dem Krieg ging Georgi zurück in seine Heimat Lausitz und konnte seine Berufsausbildung zum Sparkassenkaufmann noch abschließen. Warum er 1945 zurück in den Osten ging? „Ich wollte mit ein demokratisches Deutschland aufbauen, ein besseres.“Georgi war Vertreter der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und schrieb für Zeitungen. „Das sah damals noch alles ganz demokratisch aus. Aber als dann der Parteizusammenschluss stattfand, da wurden die Schrauben angezogen. Da hat die Partei einfach alles entschieden, wer wo wohnen darf, wer studieren darf.“1946 wurden die KPD und SPD zwangsvereinigt zur SED.
Mitte der 50er machte Georgi eine zweite Ausbildung zum Gesundheitsfürsorger und arbeitete in der Tuberkulosefürsorge. Nebenbei brachte er als Humorist regelmäßig die Menschen in Gaststätten zum Lachen. „Im Dezember 1957 begann dann aber der Ärger.“Bei einer Vorführung parodierte er Hitler, Mussolini und Goebbels. „Das hat dann jemand in den falschen Hals bekommen.“Prompt gab es eine Anzeige gegen ihn wegen „Verherrlichung des Faschismus.“Er bekam Schreibverbot, wurde aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen und vom Gesundheitsamt entlassen. Ein Satz blieb ihm besonders im Gedächtnis: „Günter Georgi hat sich durch sein Verhalten auf die Seite derjenigen gestellt, die heute im Westen einen neuen Krieg vorbereiten und in der DDR eine sogenannte Aufweichtaktik betreiben.“Einstellen wollte ihn dann niemand mehr.
Weitere Konsequenzen folgten ein halbes Jahr später. Wegen „staatsgefährdender Propaganda und Hetze“wurde Georgi verhaftet und saß 100 Tage in Untersuchungshaft. „Einen Anwalt hab ich da nicht gesehen. Im Gefängnis habe ich zu Mithäftlingen gesagt, wenn ich hier rauskomme, hau ich ab zu Adenauer.“Erst im November 1958, als die Verhandlung begann, erfuhr er, dass der Belastungszeuge in den Westen geflüchtet war. Weil die Beweise nicht ausreichten, sprach die Staatsanwaltschaft Georgi frei.
Arbeiten konnte er trotzdem nicht mehr. Sein ehemaliger Chef sagte ihm zwar, dass er jemanden bräuchte, aber die SED-Kreisleitung untersagte das. „Da habe ich die Entscheidung getroffen, in den Westen zu gehen.“Mit seiner Frau und den beiden Söhnen kam Georgi über Westberlin nach Westdeutschland. Im Saarland, so sagte man ihm, bekäme er schnell eine Wohnung. „Am liebsten wären wir in Berlin geblieben, aber das ging nicht. Da haben wir uns für das Saarland entschieden. Und das habe ich nie bereut.“
Ende 1958 kam er zuerst nach Lebach in die Landeswohnsiedlung. Weiter ging es für die vierköpfige Familie nach St. Johann in Saarbrücken. Dann schlussendlich 1963 nach Niedersalbach bei Heusweiler, wo Günter Georgi bis heute lebt. Sein erster Kontakt für eine Arbeitsstelle war die Saarbrücker Zeitung. „Es war eine große Genugtuung, dass ich wieder schreiben konnte.“
Reisen wurde Anfang der 60er Jahre ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. Senegal, Kongo, Papua-Neuguinea oder Peru. Es gibt nicht viel, was Günter Georgi nicht gesehen hat. Und nicht fotografiert hat. Für beides hat er jeweils einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde bekommen: 92 Länderreisen und 235 Fotoausstellungen. Regelmäßig besuchte er noch vor der Wiedervereinigung Freunde und Verwandte in der DDR, in der alten Heimat, wie er sie wiederholt nennt. „Nach der Wende habe ich dann gleich in meine Stasiakte geschaut. 356 Seiten. Der ganze Briefverkehr war abgelichtet, Fotowettbewerbe aus Westdeutschland, Zeitungsartikel.“Und es gab eine große Enttäuschung für ihn. Den Namen eines langjährigen Freundes und Arbeitskollegen fand er in den Akten. „I.M. stand da. Informeller Mitarbeiter. Jahrelang hat er regelmäßig über mich berichtet.“
Die Lausitz-Besuche führte Georgi auch nach der Wiedervereinigung noch lange fort. Er gab Lesungen, organisierte Spendenaktionen, verkaufte Kalender und Postkarten für gute Zwecke.
„Ich habe nie bereut, mich für das Saarland entschieden zu haben.“Günter Georgi